p1c_387.001 des Tons aufhalten. Dennoch werden sich Völker, die p1c_387.002 mehr auf den Sinn als auf den Laut sehen, schwerlich an p1c_387.003 die Position gewöhnen können, und mit Recht. Zumal bey p1c_387.004 gelindern Consonanten würde ihnen das Verlängern unausstehlich p1c_387.005 vorkommen. Klopstock fragt, welcher Deutsche p1c_387.006 einen Hexameter aushalten würde, wie folgender ist: "Liebender p1c_387.007 sangen verborgene Nachtigallen." Antwort: Keiner. p1c_387.008 Warum? Fürs erste ist die Position, wenn liquidae, p1c_387.009 wie n und r, unter den Consonanten sind, schon weniger p1c_387.010 natürliche Regel. Die Sprache sey welche sie wolle, p1c_387.011 so wird doch hier die Sylbe kürzer seyn, als in andern Fällen. p1c_387.012 Fürs zweyte ist ja doch die Sprache, selbst beym Dichter, p1c_387.013 nicht des Tons, sondern des Sinnes wegen da, und p1c_387.014 eine Langsamkeit in der Aussprache bey Sylben, die nichts p1c_387.015 bedeuten, muß geziert vorkommen. Mögen die ältern Sprachen p1c_387.016 musikalischer seyn durch ihre Position, die neuern sind p1c_387.017 mehr für den Geist. Ueberhaupt ist es noch sehr die Frage, p1c_387.018 ob es nicht vielmehr selbst ein musikalischer Reichthum ist, p1c_387.019 lange, kürzere, und kurze Sylben zu haben, als bestimmt p1c_387.020 lange und bestimmt kurze. So wenig man in der Musik p1c_387.021 im Takte blos Viertel und Achtel hat, so wenig kann irgend p1c_387.022 eine Sprache der Welt hier genau messen. Vielleicht ist es p1c_387.023 gar blos ein Fehler in der Theorie der alten Sprachen, daß p1c_387.024 sie zu wenig auf den Unterschied in den Längen sahen. Klopstock p1c_387.025 giebt die Regel, beym deutschen Daktylus müsse erst p1c_387.026 die Länge, dann die kürzere, und endlich die kurze Sylbe p1c_387.027 folgen; ließe man erst die lange, dann die kurze, dann die
p1c_387.001 des Tons aufhalten. Dennoch werden sich Völker, die p1c_387.002 mehr auf den Sinn als auf den Laut sehen, schwerlich an p1c_387.003 die Position gewöhnen können, und mit Recht. Zumal bey p1c_387.004 gelindern Consonanten würde ihnen das Verlängern unausstehlich p1c_387.005 vorkommen. Klopstock fragt, welcher Deutsche p1c_387.006 einen Hexameter aushalten würde, wie folgender ist: „Līebēndēr p1c_387.007 sāngēn vērbōrgene Nachtigallen.“ Antwort: Keiner. p1c_387.008 Warum? Fürs erste ist die Position, wenn liquidae, p1c_387.009 wie n und r, unter den Consonanten sind, schon weniger p1c_387.010 natürliche Regel. Die Sprache sey welche sie wolle, p1c_387.011 so wird doch hier die Sylbe kürzer seyn, als in andern Fällen. p1c_387.012 Fürs zweyte ist ja doch die Sprache, selbst beym Dichter, p1c_387.013 nicht des Tons, sondern des Sinnes wegen da, und p1c_387.014 eine Langsamkeit in der Aussprache bey Sylben, die nichts p1c_387.015 bedeuten, muß geziert vorkommen. Mögen die ältern Sprachen p1c_387.016 musikalischer seyn durch ihre Position, die neuern sind p1c_387.017 mehr für den Geist. Ueberhaupt ist es noch sehr die Frage, p1c_387.018 ob es nicht vielmehr selbst ein musikalischer Reichthum ist, p1c_387.019 lange, kürzere, und kurze Sylben zu haben, als bestimmt p1c_387.020 lange und bestimmt kurze. So wenig man in der Musik p1c_387.021 im Takte blos Viertel und Achtel hat, so wenig kann irgend p1c_387.022 eine Sprache der Welt hier genau messen. Vielleicht ist es p1c_387.023 gar blos ein Fehler in der Theorie der alten Sprachen, daß p1c_387.024 sie zu wenig auf den Unterschied in den Längen sahen. Klopstock p1c_387.025 giebt die Regel, beym deutschen Daktylus müsse erst p1c_387.026 die Länge, dann die kürzere, und endlich die kurze Sylbe p1c_387.027 folgen; ließe man erst die lange, dann die kurze, dann die
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wie n und r, unter den Consonanten sind, schon weniger p1c_387.010
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ob es nicht vielmehr selbst ein musikalischer Reichthum ist, p1c_387.019
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Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804, S. 387. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/445>, abgerufen am 23.11.2024.
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