Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804.

Bild:
<< vorherige Seite

p1c_414.001
. Man ist übrigens ungerecht, wenn man den Fehler p1c_414.002
eines schlechten Declamators, der immer eine und eben dieselbe p1c_414.003
Cäsur macht, wo sie nicht hin gehört, oder den Fehler p1c_414.004
eines Dichters, der sie immer beobachtet, auf die Versart p1c_414.005
selbst überträgt und sie deshalb unbedingt verdammt. Der p1c_414.006
Hexameter selbst wird monoton, wenn der Abschnitt allemal p1c_414.007
auf der ersten Sylbe des dritten Fußes fällt. Man hat p1c_414.008
neuere deutsche Gedichte in Hexametern, wo dies immer beobachtet p1c_414.009
ist, vermuthlich, weil die Dichter es für eine p1c_414.010
Schönheit hielten. Allein es ermüdet in der Fortdauer. p1c_414.011
Kann aber der Hexameter selbst dafür? - Jedoch ists ausgemacht, p1c_414.012
daß der reimfreye Jambe und der Hexameter bey p1c_414.013
erhabenen Gegenständen auch schon für das deutsche Ohr gewöhnlicher p1c_414.014
geworden ist, als die Alexandriner, in denen p1c_414.015
sonst die Tragödien geschrieben wurden. Auch wird nicht p1c_414.016
leicht ein Deutscher heut zu Tage ein ganzes Gedicht in Alexandrinern p1c_414.017
schreiben, es müßte denn ein Lehrgedicht, eine p1c_414.018
scherzhafte Comödie seyn. - So viel von den vorzüglichsten p1c_414.019
Metris, in denen das trochäische Gesetz herrscht, oder p1c_414.020
die wenigstens hierher gerechnet werden. Der Unterschied p1c_414.021
übrigens zwischen Trochäen mit jambischem Auftakt und p1c_414.022
ohne denselben ist in allen Sprachen von Vedeutung. - p1c_414.023
Auch die Franzosen haben rein trochäische Verse. Z. B. p1c_414.024
Quelle erreur te vois-je suivre - Ou te menent p1c_414.025
tant d'efforts, tu consume sur un livre - tes organes, p1c_414.026
tes ressorts
? oder im Boileau: Quelle docte et sainte p1c_414.027
yvresse
. Die kurze trochäische Reihe ohne Auftakt hat p1c_414.028
etwas sehr Weiches und Fließendes, auch Wehmüthiges:

p1c_414.001
. Man ist übrigens ungerecht, wenn man den Fehler p1c_414.002
eines schlechten Declamators, der immer eine und eben dieselbe p1c_414.003
Cäsur macht, wo sie nicht hin gehört, oder den Fehler p1c_414.004
eines Dichters, der sie immer beobachtet, auf die Versart p1c_414.005
selbst überträgt und sie deshalb unbedingt verdammt. Der p1c_414.006
Hexameter selbst wird monoton, wenn der Abschnitt allemal p1c_414.007
auf der ersten Sylbe des dritten Fußes fällt. Man hat p1c_414.008
neuere deutsche Gedichte in Hexametern, wo dies immer beobachtet p1c_414.009
ist, vermuthlich, weil die Dichter es für eine p1c_414.010
Schönheit hielten. Allein es ermüdet in der Fortdauer. p1c_414.011
Kann aber der Hexameter selbst dafür? ─ Jedoch ists ausgemacht, p1c_414.012
daß der reimfreye Jambe und der Hexameter bey p1c_414.013
erhabenen Gegenständen auch schon für das deutsche Ohr gewöhnlicher p1c_414.014
geworden ist, als die Alexandriner, in denen p1c_414.015
sonst die Tragödien geschrieben wurden. Auch wird nicht p1c_414.016
leicht ein Deutscher heut zu Tage ein ganzes Gedicht in Alexandrinern p1c_414.017
schreiben, es müßte denn ein Lehrgedicht, eine p1c_414.018
scherzhafte Comödie seyn. ─ So viel von den vorzüglichsten p1c_414.019
Metris, in denen das trochäische Gesetz herrscht, oder p1c_414.020
die wenigstens hierher gerechnet werden. Der Unterschied p1c_414.021
übrigens zwischen Trochäen mit jambischem Auftakt und p1c_414.022
ohne denselben ist in allen Sprachen von Vedeutung. ─ p1c_414.023
Auch die Franzosen haben rein trochäische Verse. Z. B. p1c_414.024
Quelle erreúr te vois-je suivre ─ Oú te ménent p1c_414.025
tant d'efforts, tu consúme sur un livre ─ tés organes, p1c_414.026
tes ressorts
? oder im Boileau: Quélle docte et sainte p1c_414.027
yvresse
. Die kurze trochäische Reihe ohne Auftakt hat p1c_414.028
etwas sehr Weiches und Fließendes, auch Wehmüthiges:

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0472" n="414"/><lb n="p1c_414.001"/>
. Man ist übrigens ungerecht, wenn man den Fehler <lb n="p1c_414.002"/>
eines schlechten Declamators, der immer eine und eben dieselbe <lb n="p1c_414.003"/>
Cäsur macht, wo sie nicht hin gehört, oder den Fehler <lb n="p1c_414.004"/>
eines Dichters, der sie immer beobachtet, auf die Versart <lb n="p1c_414.005"/>
selbst überträgt und sie deshalb unbedingt verdammt. Der <lb n="p1c_414.006"/>
Hexameter selbst wird monoton, wenn der Abschnitt allemal <lb n="p1c_414.007"/>
auf der ersten Sylbe des dritten Fußes fällt. Man hat <lb n="p1c_414.008"/>
neuere deutsche Gedichte in Hexametern, wo dies immer beobachtet <lb n="p1c_414.009"/>
ist, vermuthlich, weil die Dichter es für eine <lb n="p1c_414.010"/>
Schönheit hielten. Allein es ermüdet in der Fortdauer. <lb n="p1c_414.011"/>
Kann aber der Hexameter selbst dafür? &#x2500; Jedoch ists ausgemacht, <lb n="p1c_414.012"/>
daß der reimfreye Jambe und der Hexameter bey <lb n="p1c_414.013"/>
erhabenen Gegenständen auch schon für das deutsche Ohr gewöhnlicher <lb n="p1c_414.014"/>
geworden ist, als die Alexandriner, in denen <lb n="p1c_414.015"/>
sonst die Tragödien geschrieben wurden. Auch wird nicht <lb n="p1c_414.016"/>
leicht ein Deutscher heut zu Tage ein ganzes Gedicht in Alexandrinern <lb n="p1c_414.017"/>
schreiben, es müßte denn ein Lehrgedicht, eine <lb n="p1c_414.018"/>
scherzhafte Comödie seyn. &#x2500; So viel von den vorzüglichsten <lb n="p1c_414.019"/>
Metris, in denen das trochäische Gesetz herrscht, oder <lb n="p1c_414.020"/>
die wenigstens hierher gerechnet werden. Der Unterschied <lb n="p1c_414.021"/>
übrigens zwischen Trochäen mit jambischem Auftakt und <lb n="p1c_414.022"/>
ohne denselben ist in allen Sprachen von Vedeutung. &#x2500; <lb n="p1c_414.023"/>
Auch die Franzosen haben rein trochäische Verse. Z. B. <lb n="p1c_414.024"/> <hi rendition="#aq">Quelle erreúr te vois-je suivre &#x2500; Oú te ménent <lb n="p1c_414.025"/>
tant d'efforts, tu consúme sur un livre &#x2500; tés organes, <lb n="p1c_414.026"/>
tes ressorts</hi>? oder im Boileau: <hi rendition="#aq">Quélle docte et sainte <lb n="p1c_414.027"/>
yvresse</hi>. Die kurze trochäische Reihe ohne Auftakt hat <lb n="p1c_414.028"/>
etwas sehr Weiches und Fließendes, auch Wehmüthiges:
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[414/0472] p1c_414.001 . Man ist übrigens ungerecht, wenn man den Fehler p1c_414.002 eines schlechten Declamators, der immer eine und eben dieselbe p1c_414.003 Cäsur macht, wo sie nicht hin gehört, oder den Fehler p1c_414.004 eines Dichters, der sie immer beobachtet, auf die Versart p1c_414.005 selbst überträgt und sie deshalb unbedingt verdammt. Der p1c_414.006 Hexameter selbst wird monoton, wenn der Abschnitt allemal p1c_414.007 auf der ersten Sylbe des dritten Fußes fällt. Man hat p1c_414.008 neuere deutsche Gedichte in Hexametern, wo dies immer beobachtet p1c_414.009 ist, vermuthlich, weil die Dichter es für eine p1c_414.010 Schönheit hielten. Allein es ermüdet in der Fortdauer. p1c_414.011 Kann aber der Hexameter selbst dafür? ─ Jedoch ists ausgemacht, p1c_414.012 daß der reimfreye Jambe und der Hexameter bey p1c_414.013 erhabenen Gegenständen auch schon für das deutsche Ohr gewöhnlicher p1c_414.014 geworden ist, als die Alexandriner, in denen p1c_414.015 sonst die Tragödien geschrieben wurden. Auch wird nicht p1c_414.016 leicht ein Deutscher heut zu Tage ein ganzes Gedicht in Alexandrinern p1c_414.017 schreiben, es müßte denn ein Lehrgedicht, eine p1c_414.018 scherzhafte Comödie seyn. ─ So viel von den vorzüglichsten p1c_414.019 Metris, in denen das trochäische Gesetz herrscht, oder p1c_414.020 die wenigstens hierher gerechnet werden. Der Unterschied p1c_414.021 übrigens zwischen Trochäen mit jambischem Auftakt und p1c_414.022 ohne denselben ist in allen Sprachen von Vedeutung. ─ p1c_414.023 Auch die Franzosen haben rein trochäische Verse. Z. B. p1c_414.024 Quelle erreúr te vois-je suivre ─ Oú te ménent p1c_414.025 tant d'efforts, tu consúme sur un livre ─ tés organes, p1c_414.026 tes ressorts? oder im Boileau: Quélle docte et sainte p1c_414.027 yvresse. Die kurze trochäische Reihe ohne Auftakt hat p1c_414.028 etwas sehr Weiches und Fließendes, auch Wehmüthiges:

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/472
Zitationshilfe: Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804, S. 414. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/472>, abgerufen am 23.11.2024.