Cramer, Johann Andreas: Andachten in Betrachtungen, Gebeten und Liedern über Gott, seine Eigenschaften und Werke. Erster Theil. Schleßwig, 1764.einige unter ihnen anfiengen, einzusehen, daß der Aberglaube des großen Haufens der tiefste Ver- fall der menschlichen Vernunft, und der ganze Götzendienst nichts als eine beständige Entheili- gung und Verspottung des göttlichen Namens wäre? Sie fiengen an, zu erkennen, daß Gott ein ganz anderes Wesen seyn müßte, als die Gö- tzen waren, die in ihren Tempeln angebetet wur- den. Wagten sie es aber deswegen, die schänd- lichen Jrrthümer des großen Haufens anzugrei- fen? Wagten sie es wohl, ihm edlere Begriffe von der Gottheit beyzubringen? Woher hätte ih- nen der Muth kommen sollen, die Gebräuche ih- rer Götter, ihre unreinen Geheimnisse, ihre schändlichen Liebesverständnisse und alle ihre Aus- schweifungen anzutasten, worauf sich alle öffent- lichen Feste und Opfer, Lieder und Gemälde be- zogen, die in ihren Tempeln aufgehangen waren? Der Ernsthafteste unter den heidnischen Weltwei- sen, Plato, verbot die Trunkenheit, als eins von den niedrigsten Lastern, erlaubte sie aber doch an den Festen, welche dem Bacchus, dem Gotte des Weins und der Trunkenheit zu Ehren ange- stellt wurden. Ein andrer tadelte alle unreinen Gemälde mit der größten Strenge, die Gemälde der Götter ausgenommen, welche durch schand- bare Bildnisse verehrt werden sollten. Jn den ge-
einige unter ihnen anfiengen, einzuſehen, daß der Aberglaube des großen Haufens der tiefſte Ver- fall der menſchlichen Vernunft, und der ganze Götzendienſt nichts als eine beſtändige Entheili- gung und Verſpottung des göttlichen Namens wäre? Sie fiengen an, zu erkennen, daß Gott ein ganz anderes Weſen ſeyn müßte, als die Gö- tzen waren, die in ihren Tempeln angebetet wur- den. Wagten ſie es aber deswegen, die ſchänd- lichen Jrrthümer des großen Haufens anzugrei- fen? Wagten ſie es wohl, ihm edlere Begriffe von der Gottheit beyzubringen? Woher hätte ih- nen der Muth kommen ſollen, die Gebräuche ih- rer Götter, ihre unreinen Geheimniſſe, ihre ſchändlichen Liebesverſtändniſſe und alle ihre Aus- ſchweifungen anzutaſten, worauf ſich alle öffent- lichen Feſte und Opfer, Lieder und Gemälde be- zogen, die in ihren Tempeln aufgehangen waren? Der Ernſthafteſte unter den heidniſchen Weltwei- ſen, Plato, verbot die Trunkenheit, als eins von den niedrigſten Laſtern, erlaubte ſie aber doch an den Feſten, welche dem Bacchus, dem Gotte des Weins und der Trunkenheit zu Ehren ange- ſtellt wurden. Ein andrer tadelte alle unreinen Gemälde mit der größten Strenge, die Gemälde der Götter ausgenommen, welche durch ſchand- bare Bildniſſe verehrt werden ſollten. Jn den ge-
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einige unter ihnen anfiengen, einzuſehen, daß der
Aberglaube des großen Haufens der tiefſte Ver-
fall der menſchlichen Vernunft, und der ganze
Götzendienſt nichts als eine beſtändige Entheili-
gung und Verſpottung des göttlichen Namens
wäre? Sie fiengen an, zu erkennen, daß Gott
ein ganz anderes Weſen ſeyn müßte, als die Gö-
tzen waren, die in ihren Tempeln angebetet wur-
den. Wagten ſie es aber deswegen, die ſchänd-
lichen Jrrthümer des großen Haufens anzugrei-
fen? Wagten ſie es wohl, ihm edlere Begriffe
von der Gottheit beyzubringen? Woher hätte ih-
nen der Muth kommen ſollen, die Gebräuche ih-
rer Götter, ihre unreinen Geheimniſſe, ihre
ſchändlichen Liebesverſtändniſſe und alle ihre Aus-
ſchweifungen anzutaſten, worauf ſich alle öffent-
lichen Feſte und Opfer, Lieder und Gemälde be-
zogen, die in ihren Tempeln aufgehangen waren?
Der Ernſthafteſte unter den heidniſchen Weltwei-
ſen, Plato, verbot die Trunkenheit, als eins
von den niedrigſten Laſtern, erlaubte ſie aber doch
an den Feſten, welche dem Bacchus, dem Gotte
des Weins und der Trunkenheit zu Ehren ange-
ſtellt wurden. Ein andrer tadelte alle unreinen
Gemälde mit der größten Strenge, die Gemälde
der Götter ausgenommen, welche durch ſchand-
bare Bildniſſe verehrt werden ſollten. Jn den
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