Cramer, Johann Andreas: Andachten in Betrachtungen, Gebeten und Liedern über Gott, seine Eigenschaften und Werke. Erster Theil. Schleßwig, 1764.Die Sinne, die Leidenschaften, die Unwissen- heit, das Vorurtheil des Alterthums, der Stolz, der Eigennutz der Privatpersonen, und der ein- gebildete Vortheil der Staaten, alles stritt wider die Erkenntniß und Anbetung des wahren Gottes. Darf man sich verwundern, daß die Kaiser und Götzenpriester alle ihre Gewalt anwendeten, die Ausbreitung des Christenthums zu verhindern; daß die Philosophen die künstlichsten Listen eines feinen und verführerischen Verstandes anwende- ten, die Ungereimtheiten des Götzendienstes zu verringern, und in allerley verblendende Gestal- ten zu verkleiden? Wenn ich alle diese unläugbaren historischen keine J 3
Die Sinne, die Leidenſchaften, die Unwiſſen- heit, das Vorurtheil des Alterthums, der Stolz, der Eigennutz der Privatperſonen, und der ein- gebildete Vortheil der Staaten, alles ſtritt wider die Erkenntniß und Anbetung des wahren Gottes. Darf man ſich verwundern, daß die Kaiſer und Götzenprieſter alle ihre Gewalt anwendeten, die Ausbreitung des Chriſtenthums zu verhindern; daß die Philoſophen die künſtlichſten Liſten eines feinen und verführeriſchen Verſtandes anwende- ten, die Ungereimtheiten des Götzendienſtes zu verringern, und in allerley verblendende Geſtal- ten zu verkleiden? Wenn ich alle dieſe unläugbaren hiſtoriſchen keine J 3
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Die Sinne, die Leidenſchaften, die Unwiſſen-
heit, das Vorurtheil des Alterthums, der Stolz,
der Eigennutz der Privatperſonen, und der ein-
gebildete Vortheil der Staaten, alles ſtritt wider
die Erkenntniß und Anbetung des wahren Gottes.
Darf man ſich verwundern, daß die Kaiſer und
Götzenprieſter alle ihre Gewalt anwendeten, die
Ausbreitung des Chriſtenthums zu verhindern;
daß die Philoſophen die künſtlichſten Liſten eines
feinen und verführeriſchen Verſtandes anwende-
ten, die Ungereimtheiten des Götzendienſtes zu
verringern, und in allerley verblendende Geſtal-
ten zu verkleiden?
Wenn ich alle dieſe unläugbaren hiſtoriſchen
Wahrheiten zuſammen nehme und ſie mit einan-
der vergleiche: ſo muß ich nothwendig den Schluß
daraus machen, daß die Vernunft nicht zureiche,
wenn der Menſch entweder noch gar keine Erkennt-
niß Gottes gehabt, oder ſie wieder verloren hat,
und auf ſolche Jrrthümer in der Religion gefallen
iſt, welche ſeinen Leidenſchaften und Laſtern
ſchmeicheln, ihn zu richtigen Begriffen von ihm
zurück zu bringen. Wäre die Vernunft in dieſer
Beſchäfftigung zureichend, warum würde eine
wahre, gegründete und ausgebreitete Erkenntniß
Gottes nur unter einem Volke gefunden, welches
keine
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