Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

Bild:
<< vorherige Seite

ich hatte wie ein Hund umkommen müssen; aber
Fräulein Julie besuchte mich alle Tage und sorg¬
te für Medizin und alles, wofür sie Gott be¬
lohnen wird. Ich wußte nichts von mir. Sie
sagt mir aber, ich hätte immerfort von Ihnen
beyden phantasiert und oft auch gar in Reimen
gesprochen. Ich muß mir, das Zeug durch die
Erkältung zugezogen haben. -- Jetzt bin ich,
Gott sey Dank, wieder hergestellt und mache
wieder fleißig Uhren. -- Neues weiß ich weiter
nichte, als daß seit mehreren Wochen ein frem¬
der Kavalier, der in der Nachbarschaft große
Herrschaften gekauft, zu uns auf das Schloß
kommt. Er soll viele Sprachen kennen und, sehr
gelehrt und bereist seyn und will unser Fräu¬
lein Julie haben. Die gnädige Frau möchte es
gern sehen, aber dem Fräulein gefällt er gar
nicht. Wenn sie Nachmittags oben im Garten
beym Lusthause sitzt und ihn von weitem unten
um die Ecke heran reiten sieht, klettert sie ge¬
schwinde über den Gartenzaun und kommt zu
mir. Was will ich thun? Ich muß sie in mei¬
ner Kammer einsperren und gehe unterdeß
spazieren. Neulich, als ich schon ziemlich spät
wieder zurückkam und meine Thüre aufschloß,
fand ich sie ganz blaß und am ganzen Leibe
zitternd. Sie war noch völlig athemlos vor
Schreck und fragte mich schnell, ob ich Ihn
nicht gesehen? Dann erzählte sie mir: Als es
angefangen finster zu werden, habe sie auf

ich hatte wie ein Hund umkommen müſſen; aber
Fräulein Julie beſuchte mich alle Tage und ſorg¬
te für Medizin und alles, wofür ſie Gott be¬
lohnen wird. Ich wußte nichts von mir. Sie
ſagt mir aber, ich hätte immerfort von Ihnen
beyden phantaſiert und oft auch gar in Reimen
geſprochen. Ich muß mir, das Zeug durch die
Erkältung zugezogen haben. — Jetzt bin ich,
Gott ſey Dank, wieder hergeſtellt und mache
wieder fleißig Uhren. — Neues weiß ich weiter
nichte, als daß ſeit mehreren Wochen ein frem¬
der Kavalier, der in der Nachbarſchaft große
Herrſchaften gekauft, zu uns auf das Schloß
kommt. Er ſoll viele Sprachen kennen und, ſehr
gelehrt und bereist ſeyn und will unſer Fräu¬
lein Julie haben. Die gnädige Frau möchte es
gern ſehen, aber dem Fräulein gefällt er gar
nicht. Wenn ſie Nachmittags oben im Garten
beym Luſthauſe ſitzt und ihn von weitem unten
um die Ecke heran reiten ſieht, klettert ſie ge¬
ſchwinde über den Gartenzaun und kommt zu
mir. Was will ich thun? Ich muß ſie in mei¬
ner Kammer einſperren und gehe unterdeß
ſpazieren. Neulich, als ich ſchon ziemlich ſpät
wieder zurückkam und meine Thüre aufſchloß,
fand ich ſie ganz blaß und am ganzen Leibe
zitternd. Sie war noch völlig athemlos vor
Schreck und fragte mich ſchnell, ob ich Ihn
nicht geſehen? Dann erzählte ſie mir: Als es
angefangen finſter zu werden, habe ſie auf

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <floatingText>
            <body>
              <div type="letter">
                <p><pb facs="#f0304" n="298"/>
ich hatte wie ein Hund umkommen mü&#x017F;&#x017F;en; aber<lb/>
Fräulein Julie be&#x017F;uchte mich alle Tage und &#x017F;org¬<lb/>
te für Medizin und alles, wofür &#x017F;ie Gott be¬<lb/>
lohnen wird. Ich wußte nichts von mir. Sie<lb/>
&#x017F;agt mir aber, ich hätte immerfort von Ihnen<lb/>
beyden phanta&#x017F;iert und oft auch gar in Reimen<lb/>
ge&#x017F;prochen. Ich muß mir, das Zeug durch die<lb/>
Erkältung zugezogen haben. &#x2014; Jetzt bin ich,<lb/>
Gott &#x017F;ey Dank, wieder herge&#x017F;tellt und mache<lb/>
wieder fleißig Uhren. &#x2014; Neues weiß ich weiter<lb/>
nichte, als daß &#x017F;eit mehreren Wochen ein frem¬<lb/>
der Kavalier, der in der Nachbar&#x017F;chaft große<lb/>
Herr&#x017F;chaften gekauft, zu uns auf das Schloß<lb/>
kommt. Er &#x017F;oll viele Sprachen kennen und, &#x017F;ehr<lb/>
gelehrt und bereist &#x017F;eyn und will un&#x017F;er Fräu¬<lb/>
lein Julie haben. Die gnädige Frau möchte es<lb/>
gern &#x017F;ehen, aber dem Fräulein gefällt er gar<lb/>
nicht. Wenn &#x017F;ie Nachmittags oben im Garten<lb/>
beym Lu&#x017F;thau&#x017F;e &#x017F;itzt und ihn von weitem unten<lb/>
um die Ecke heran reiten &#x017F;ieht, klettert &#x017F;ie ge¬<lb/>
&#x017F;chwinde über den Gartenzaun und kommt zu<lb/>
mir. Was will ich thun? Ich muß &#x017F;ie in mei¬<lb/>
ner Kammer ein&#x017F;perren und gehe unterdeß<lb/>
&#x017F;pazieren. Neulich, als ich &#x017F;chon ziemlich &#x017F;pät<lb/>
wieder zurückkam und meine Thüre auf&#x017F;chloß,<lb/>
fand ich &#x017F;ie ganz blaß und am ganzen Leibe<lb/>
zitternd. Sie war noch völlig athemlos vor<lb/>
Schreck und fragte mich &#x017F;chnell, ob ich Ihn<lb/>
nicht ge&#x017F;ehen? Dann erzählte &#x017F;ie mir: Als es<lb/>
angefangen fin&#x017F;ter zu werden, habe &#x017F;ie auf<lb/></p>
              </div>
            </body>
          </floatingText>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[298/0304] ich hatte wie ein Hund umkommen müſſen; aber Fräulein Julie beſuchte mich alle Tage und ſorg¬ te für Medizin und alles, wofür ſie Gott be¬ lohnen wird. Ich wußte nichts von mir. Sie ſagt mir aber, ich hätte immerfort von Ihnen beyden phantaſiert und oft auch gar in Reimen geſprochen. Ich muß mir, das Zeug durch die Erkältung zugezogen haben. — Jetzt bin ich, Gott ſey Dank, wieder hergeſtellt und mache wieder fleißig Uhren. — Neues weiß ich weiter nichte, als daß ſeit mehreren Wochen ein frem¬ der Kavalier, der in der Nachbarſchaft große Herrſchaften gekauft, zu uns auf das Schloß kommt. Er ſoll viele Sprachen kennen und, ſehr gelehrt und bereist ſeyn und will unſer Fräu¬ lein Julie haben. Die gnädige Frau möchte es gern ſehen, aber dem Fräulein gefällt er gar nicht. Wenn ſie Nachmittags oben im Garten beym Luſthauſe ſitzt und ihn von weitem unten um die Ecke heran reiten ſieht, klettert ſie ge¬ ſchwinde über den Gartenzaun und kommt zu mir. Was will ich thun? Ich muß ſie in mei¬ ner Kammer einſperren und gehe unterdeß ſpazieren. Neulich, als ich ſchon ziemlich ſpät wieder zurückkam und meine Thüre aufſchloß, fand ich ſie ganz blaß und am ganzen Leibe zitternd. Sie war noch völlig athemlos vor Schreck und fragte mich ſchnell, ob ich Ihn nicht geſehen? Dann erzählte ſie mir: Als es angefangen finſter zu werden, habe ſie auf

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/304
Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 298. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/304>, abgerufen am 23.11.2024.