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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

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vielen Uhren an den Wänden pickten einförmig im¬
merfort, es war eine unendliche Einsamkeit drinnen.
Ich begrüßte ihn endlich mit dem Vers, der ihm
im ganzen Faust der liebste war: "Ich guckte der
Eule in ihr Nest, Hu! die macht' ein Paar Au¬
gen!" Er wandte sich schnell um und als er mein
Gesicht völlig erkannte, sprang er auf, warf die
Bücher und alles, was auf dem Tische lag, auf die
Erde und tanzte wie unsinnig in der Stube herum.
Ich kletterte sogleich durchs Fenster zu ihm hinein,
ergriff eine halbbespannte Geige, die an der Wand
hieng, und so walzten wir beyde mit den seltsam¬
sten Geberden und großem Getös nebeneinander in
der kleinen Stube auf und ab, bis er endlich er¬
schöpft vor Lachen auf den Boden hinsank. Es
dauerte lange, ehe wir zu einem vernünftigen Dis¬
kurs kamen, während welchem er einen ungeheue¬
ren Krug voll Wein anschleppte. Er ist noch immer
der alte, noch immer nicht fetter, nicht ruhiger,
nicht klüger, und, wie sonst, wüthend kriegerisch
gegen alle Sentimentalität, die er ordentlich mi߬
handelt.

Gegen Mitternacht endlich, soviel er auch dage¬
gen hatte, zog ich wieder von dannen, das gelobte
Land in ruhigem Schlafe hinter mir, und die weite
Stille ringsumher gesegnend, während Viktor, der
mich ein Stück begleitet hatte, auf der letzten Höhe
mir wie eine Windmühle in der Dunkelheit mit dem
Hute nachschwenkte und nachrief, bis alles in den
großen, grauen Schooß versunken war.

vielen Uhren an den Wänden pickten einförmig im¬
merfort, es war eine unendliche Einſamkeit drinnen.
Ich begrüßte ihn endlich mit dem Vers, der ihm
im ganzen Fauſt der liebſte war: „Ich guckte der
Eule in ihr Neſt, Hu! die macht' ein Paar Au¬
gen!“ Er wandte ſich ſchnell um und als er mein
Geſicht völlig erkannte, ſprang er auf, warf die
Bücher und alles, was auf dem Tiſche lag, auf die
Erde und tanzte wie unſinnig in der Stube herum.
Ich kletterte ſogleich durchs Fenſter zu ihm hinein,
ergriff eine halbbeſpannte Geige, die an der Wand
hieng, und ſo walzten wir beyde mit den ſeltſam¬
ſten Geberden und großem Getös nebeneinander in
der kleinen Stube auf und ab, bis er endlich er¬
ſchöpft vor Lachen auf den Boden hinſank. Es
dauerte lange, ehe wir zu einem vernünftigen Diſ¬
kurs kamen, während welchem er einen ungeheue¬
ren Krug voll Wein anſchleppte. Er iſt noch immer
der alte, noch immer nicht fetter, nicht ruhiger,
nicht klüger, und, wie ſonſt, wüthend kriegeriſch
gegen alle Sentimentalität, die er ordentlich mi߬
handelt.

Gegen Mitternacht endlich, ſoviel er auch dage¬
gen hatte, zog ich wieder von dannen, das gelobte
Land in ruhigem Schlafe hinter mir, und die weite
Stille ringsumher geſegnend, während Viktor, der
mich ein Stück begleitet hatte, auf der letzten Höhe
mir wie eine Windmühle in der Dunkelheit mit dem
Hute nachſchwenkte und nachrief, bis alles in den
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[370/0376] vielen Uhren an den Wänden pickten einförmig im¬ merfort, es war eine unendliche Einſamkeit drinnen. Ich begrüßte ihn endlich mit dem Vers, der ihm im ganzen Fauſt der liebſte war: „Ich guckte der Eule in ihr Neſt, Hu! die macht' ein Paar Au¬ gen!“ Er wandte ſich ſchnell um und als er mein Geſicht völlig erkannte, ſprang er auf, warf die Bücher und alles, was auf dem Tiſche lag, auf die Erde und tanzte wie unſinnig in der Stube herum. Ich kletterte ſogleich durchs Fenſter zu ihm hinein, ergriff eine halbbeſpannte Geige, die an der Wand hieng, und ſo walzten wir beyde mit den ſeltſam¬ ſten Geberden und großem Getös nebeneinander in der kleinen Stube auf und ab, bis er endlich er¬ ſchöpft vor Lachen auf den Boden hinſank. Es dauerte lange, ehe wir zu einem vernünftigen Diſ¬ kurs kamen, während welchem er einen ungeheue¬ ren Krug voll Wein anſchleppte. Er iſt noch immer der alte, noch immer nicht fetter, nicht ruhiger, nicht klüger, und, wie ſonſt, wüthend kriegeriſch gegen alle Sentimentalität, die er ordentlich mi߬ handelt. Gegen Mitternacht endlich, ſoviel er auch dage¬ gen hatte, zog ich wieder von dannen, das gelobte Land in ruhigem Schlafe hinter mir, und die weite Stille ringsumher geſegnend, während Viktor, der mich ein Stück begleitet hatte, auf der letzten Höhe mir wie eine Windmühle in der Dunkelheit mit dem Hute nachſchwenkte und nachrief, bis alles in den großen, grauen Schooß verſunken war.

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Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 370. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/376>, abgerufen am 23.11.2024.