Gotthelf, Jeremias [d. i. Albert Bitzius]: Der Notar in der Falle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–43. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Schnupftuch wurde ganz naß, aber es waren selige Thränen, sie rieselten ganz weich und warm über die Wangen nieder. Der Notar dagegen weinte nicht, aber er machte einen steifen Hals und gab genau Acht, ob Alles pünktlich nach Gesetz und Propheten vor sich gehe, nicht irgend ein Formfehler passire, daß er hintendrein sagen könne: die Sache sei zwar vorbei, aber wenn er wollte, er könnte den Pfaffen ringgeln, daß ihm die Schwarten wehe thäten, er möchte es aber seinem Freunde nicht zu Leide thun und dessen Fraueli, die könnten ihn dauern. Der Notar war von Natur eine ganz gute Seele, d. h. eigentlich eine gute Haut. Ob er eine Seele hatte, das wissen wir nicht. Wenn er eine hatte, so bestand sie hauptsächlich in dem eminenten Vermögen, ein Gsätzlein nachzupfeifen und zwar ununterbrochen so lange, bis man ihm wieder ein anderes vorpfiff. Wahrscheinlich hatte sie ein ähnliches Eingericht wie trompetende Tabaksdosen oder Kasten eines Leiermannes. Nun, Alles auf Erden geht zu Ende, selbst die Zeit, in welcher gepreßte Helden des Zeitgeistes und hölzerne Subjecte in der Kirche sein müssen. Aus dicken Wolken strömte dicker Regen nieder, aber eben das war wieder unaussprechlich schön und heimelig. Nun kam der Herr Notar in seiner unaussprechlichen Holdseligkeit, verbeugte sich, so schön er konnte, nahm Luise nicht bloß untern Arm, sondern auch unter seinen Regenschirm, und zog dicht hinter dem Ehepaar mit ihr davon. Das war schön, und was das für Gedanken gab! Aber nicht bloß das war schön, sondern der Notar entfaltete eine Sorglichkeit und Höflichkeit, welche Luise nie erlebt hatte. Er trat ihr nicht bloß nie auf die Füße, sondern er leitete sie sogar auf die besten Stellen des Weges; er hielt sie nicht bloß nicht unter der Traufe seines Regenschirms, sondern er gab sich wirklich Mühe, sie trocken zu erhalten, so daß seine linke Seite ganz naß wurde, was zu einem edlen Wettstreit fortdauernd Anlaß gab, und welchen der Notar mit so schönen Manieren und Redensarten führte, daß Luise ein Mal über das Schnupftuch wurde ganz naß, aber es waren selige Thränen, sie rieselten ganz weich und warm über die Wangen nieder. Der Notar dagegen weinte nicht, aber er machte einen steifen Hals und gab genau Acht, ob Alles pünktlich nach Gesetz und Propheten vor sich gehe, nicht irgend ein Formfehler passire, daß er hintendrein sagen könne: die Sache sei zwar vorbei, aber wenn er wollte, er könnte den Pfaffen ringgeln, daß ihm die Schwarten wehe thäten, er möchte es aber seinem Freunde nicht zu Leide thun und dessen Fraueli, die könnten ihn dauern. Der Notar war von Natur eine ganz gute Seele, d. h. eigentlich eine gute Haut. Ob er eine Seele hatte, das wissen wir nicht. Wenn er eine hatte, so bestand sie hauptsächlich in dem eminenten Vermögen, ein Gsätzlein nachzupfeifen und zwar ununterbrochen so lange, bis man ihm wieder ein anderes vorpfiff. Wahrscheinlich hatte sie ein ähnliches Eingericht wie trompetende Tabaksdosen oder Kasten eines Leiermannes. Nun, Alles auf Erden geht zu Ende, selbst die Zeit, in welcher gepreßte Helden des Zeitgeistes und hölzerne Subjecte in der Kirche sein müssen. Aus dicken Wolken strömte dicker Regen nieder, aber eben das war wieder unaussprechlich schön und heimelig. Nun kam der Herr Notar in seiner unaussprechlichen Holdseligkeit, verbeugte sich, so schön er konnte, nahm Luise nicht bloß untern Arm, sondern auch unter seinen Regenschirm, und zog dicht hinter dem Ehepaar mit ihr davon. Das war schön, und was das für Gedanken gab! Aber nicht bloß das war schön, sondern der Notar entfaltete eine Sorglichkeit und Höflichkeit, welche Luise nie erlebt hatte. Er trat ihr nicht bloß nie auf die Füße, sondern er leitete sie sogar auf die besten Stellen des Weges; er hielt sie nicht bloß nicht unter der Traufe seines Regenschirms, sondern er gab sich wirklich Mühe, sie trocken zu erhalten, so daß seine linke Seite ganz naß wurde, was zu einem edlen Wettstreit fortdauernd Anlaß gab, und welchen der Notar mit so schönen Manieren und Redensarten führte, daß Luise ein Mal über das <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="0"> <p><pb facs="#f0022"/> Schnupftuch wurde ganz naß, aber es waren selige Thränen, sie rieselten ganz weich und warm über die Wangen nieder. Der Notar dagegen weinte nicht, aber er machte einen steifen Hals und gab genau Acht, ob Alles pünktlich nach Gesetz und Propheten vor sich gehe, nicht irgend ein Formfehler passire, daß er hintendrein sagen könne: die Sache sei zwar vorbei, aber wenn er wollte, er könnte den Pfaffen ringgeln, daß ihm die Schwarten wehe thäten, er möchte es aber seinem Freunde nicht zu Leide thun und dessen Fraueli, die könnten ihn dauern. Der Notar war von Natur eine ganz gute Seele, d. h. eigentlich eine gute Haut. Ob er eine Seele hatte, das wissen wir nicht. Wenn er eine hatte, so bestand sie hauptsächlich in dem eminenten Vermögen, ein Gsätzlein nachzupfeifen und zwar ununterbrochen so lange, bis man ihm wieder ein anderes vorpfiff. Wahrscheinlich hatte sie ein ähnliches Eingericht wie trompetende Tabaksdosen oder Kasten eines Leiermannes. Nun, Alles auf Erden geht zu Ende, selbst die Zeit, in welcher gepreßte Helden des Zeitgeistes und hölzerne Subjecte in der Kirche sein müssen. Aus dicken Wolken strömte dicker Regen nieder, aber eben das war wieder unaussprechlich schön und heimelig. Nun kam der Herr Notar in seiner unaussprechlichen Holdseligkeit, verbeugte sich, so schön er konnte, nahm Luise nicht bloß untern Arm, sondern auch unter seinen Regenschirm, und zog dicht hinter dem Ehepaar mit ihr davon. Das war schön, und was das für Gedanken gab! Aber nicht bloß das war schön, sondern der Notar entfaltete eine Sorglichkeit und Höflichkeit, welche Luise nie erlebt hatte. Er trat ihr nicht bloß nie auf die Füße, sondern er leitete sie sogar auf die besten Stellen des Weges; er hielt sie nicht bloß nicht unter der Traufe seines Regenschirms, sondern er gab sich wirklich Mühe, sie trocken zu erhalten, so daß seine linke Seite ganz naß wurde, was zu einem edlen Wettstreit fortdauernd Anlaß gab, und welchen der Notar mit so schönen Manieren und Redensarten führte, daß Luise ein Mal über das<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0022]
Schnupftuch wurde ganz naß, aber es waren selige Thränen, sie rieselten ganz weich und warm über die Wangen nieder. Der Notar dagegen weinte nicht, aber er machte einen steifen Hals und gab genau Acht, ob Alles pünktlich nach Gesetz und Propheten vor sich gehe, nicht irgend ein Formfehler passire, daß er hintendrein sagen könne: die Sache sei zwar vorbei, aber wenn er wollte, er könnte den Pfaffen ringgeln, daß ihm die Schwarten wehe thäten, er möchte es aber seinem Freunde nicht zu Leide thun und dessen Fraueli, die könnten ihn dauern. Der Notar war von Natur eine ganz gute Seele, d. h. eigentlich eine gute Haut. Ob er eine Seele hatte, das wissen wir nicht. Wenn er eine hatte, so bestand sie hauptsächlich in dem eminenten Vermögen, ein Gsätzlein nachzupfeifen und zwar ununterbrochen so lange, bis man ihm wieder ein anderes vorpfiff. Wahrscheinlich hatte sie ein ähnliches Eingericht wie trompetende Tabaksdosen oder Kasten eines Leiermannes. Nun, Alles auf Erden geht zu Ende, selbst die Zeit, in welcher gepreßte Helden des Zeitgeistes und hölzerne Subjecte in der Kirche sein müssen. Aus dicken Wolken strömte dicker Regen nieder, aber eben das war wieder unaussprechlich schön und heimelig. Nun kam der Herr Notar in seiner unaussprechlichen Holdseligkeit, verbeugte sich, so schön er konnte, nahm Luise nicht bloß untern Arm, sondern auch unter seinen Regenschirm, und zog dicht hinter dem Ehepaar mit ihr davon. Das war schön, und was das für Gedanken gab! Aber nicht bloß das war schön, sondern der Notar entfaltete eine Sorglichkeit und Höflichkeit, welche Luise nie erlebt hatte. Er trat ihr nicht bloß nie auf die Füße, sondern er leitete sie sogar auf die besten Stellen des Weges; er hielt sie nicht bloß nicht unter der Traufe seines Regenschirms, sondern er gab sich wirklich Mühe, sie trocken zu erhalten, so daß seine linke Seite ganz naß wurde, was zu einem edlen Wettstreit fortdauernd Anlaß gab, und welchen der Notar mit so schönen Manieren und Redensarten führte, daß Luise ein Mal über das
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