Die wahre Macht eines Staats besteht zwar, wie der Herr von Justi b] behauptet, eigentlich nicht blos in einem weitläuftigen Umfange von Ländern, starker Be- völkerung, ansehnlichen Reichthümern, zahlreichen Kriegsheeren, vielen und starken Festungen, und was man sonst gewönlich dahin rechnet, sondern hauptsäch- lich in dem zweckmäsigen Gebrauche und der innern guten Einrichtung aller dieser Stücke; besonders auch in einer weisen und volkomnen Regierungsverfassung; iedoch wird bey dem politischen Gleichgewichte nicht sowohl auf diese innere Vergrösserung, wodurch den übrigen Staaten geradezu nichts abgenommen wird, als auf die äussere in Erweiterung der Grenzen, Rücksicht genommen c]. Ansehnliche, wohlgelegene Lande bleiben immer ein Hauptzweig der Macht, weil sie, wenn sie sich auch nicht in dem blühendsten Zustande befinden, doch durch die guten Anstalten des Erwerbers vielleicht einer bessern Einrichtung fähig sind, und weitläuftige Staaten gemeiniglich auch mehrere Mittel zur innern Vergrösserung gewähren.
Nicht ieder geringe Zuwachs eines Mächtigen aber ist dem Gleichgewicht allemal nachtheilig. Es komt meistens auf die iedesmaligen dabey obwaltenden Um- stände an. Zuweilen kan die Erwerbung eines geringen Landes oder Vortheils das Gleichgewicht aufheben; zu- weilen schadet eine beträchtliche Vergrösserung der Macht demselben nicht d]. So lange die übrigen Nazionen dem mächtigen Volke, im Nothfall, durch Verbindun- gen und gemeinschaftliche Kräfte noch gleiche Gewalt entgegensetzen können, ist noch keine Uebermacht vor- handen e].
Uebrigens wird niemand zweifeln, daß auch die Erlangung gewisser Gerechtsame, Bündnisse mit andern mächtigen Staaten, zumal mit denen, die ein beständi- ges oder langwieriges, gemeinschaftliches Interesse
haben,
Von der Macht der Nazionen
Die wahre Macht eines Staats beſteht zwar, wie der Herr von Juſti b] behauptet, eigentlich nicht blos in einem weitlaͤuftigen Umfange von Laͤndern, ſtarker Be- voͤlkerung, anſehnlichen Reichthuͤmern, zahlreichen Kriegsheeren, vielen und ſtarken Feſtungen, und was man ſonſt gewoͤnlich dahin rechnet, ſondern hauptſaͤch- lich in dem zweckmaͤſigen Gebrauche und der innern guten Einrichtung aller dieſer Stuͤcke; beſonders auch in einer weiſen und volkomnen Regierungsverfaſſung; iedoch wird bey dem politiſchen Gleichgewichte nicht ſowohl auf dieſe innere Vergroͤſſerung, wodurch den uͤbrigen Staaten geradezu nichts abgenommen wird, als auf die aͤuſſere in Erweiterung der Grenzen, Ruͤckſicht genommen c]. Anſehnliche, wohlgelegene Lande bleiben immer ein Hauptzweig der Macht, weil ſie, wenn ſie ſich auch nicht in dem bluͤhendſten Zuſtande befinden, doch durch die guten Anſtalten des Erwerbers vielleicht einer beſſern Einrichtung faͤhig ſind, und weitlaͤuftige Staaten gemeiniglich auch mehrere Mittel zur innern Vergroͤſſerung gewaͤhren.
Nicht ieder geringe Zuwachs eines Maͤchtigen aber iſt dem Gleichgewicht allemal nachtheilig. Es komt meiſtens auf die iedesmaligen dabey obwaltenden Um- ſtaͤnde an. Zuweilen kan die Erwerbung eines geringen Landes oder Vortheils das Gleichgewicht aufheben; zu- weilen ſchadet eine betraͤchtliche Vergroͤſſerung der Macht demſelben nicht d]. So lange die uͤbrigen Nazionen dem maͤchtigen Volke, im Nothfall, durch Verbindun- gen und gemeinſchaftliche Kraͤfte noch gleiche Gewalt entgegenſetzen koͤnnen, iſt noch keine Uebermacht vor- handen e].
Uebrigens wird niemand zweifeln, daß auch die Erlangung gewiſſer Gerechtſame, Buͤndniſſe mit andern maͤchtigen Staaten, zumal mit denen, die ein beſtaͤndi- ges oder langwieriges, gemeinſchaftliches Intereſſe
haben,
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Von der Macht der Nazionen
Die wahre Macht eines Staats beſteht zwar, wie
der Herr von Juſti b] behauptet, eigentlich nicht blos in
einem weitlaͤuftigen Umfange von Laͤndern, ſtarker Be-
voͤlkerung, anſehnlichen Reichthuͤmern, zahlreichen
Kriegsheeren, vielen und ſtarken Feſtungen, und was
man ſonſt gewoͤnlich dahin rechnet, ſondern hauptſaͤch-
lich in dem zweckmaͤſigen Gebrauche und der innern
guten Einrichtung aller dieſer Stuͤcke; beſonders auch in
einer weiſen und volkomnen Regierungsverfaſſung;
iedoch wird bey dem politiſchen Gleichgewichte nicht
ſowohl auf dieſe innere Vergroͤſſerung, wodurch den
uͤbrigen Staaten geradezu nichts abgenommen wird, als
auf die aͤuſſere in Erweiterung der Grenzen, Ruͤckſicht
genommen c]. Anſehnliche, wohlgelegene Lande bleiben
immer ein Hauptzweig der Macht, weil ſie, wenn ſie
ſich auch nicht in dem bluͤhendſten Zuſtande befinden,
doch durch die guten Anſtalten des Erwerbers vielleicht
einer beſſern Einrichtung faͤhig ſind, und weitlaͤuftige
Staaten gemeiniglich auch mehrere Mittel zur innern
Vergroͤſſerung gewaͤhren.
Nicht ieder geringe Zuwachs eines Maͤchtigen aber
iſt dem Gleichgewicht allemal nachtheilig. Es komt
meiſtens auf die iedesmaligen dabey obwaltenden Um-
ſtaͤnde an. Zuweilen kan die Erwerbung eines geringen
Landes oder Vortheils das Gleichgewicht aufheben; zu-
weilen ſchadet eine betraͤchtliche Vergroͤſſerung der Macht
demſelben nicht d]. So lange die uͤbrigen Nazionen
dem maͤchtigen Volke, im Nothfall, durch Verbindun-
gen und gemeinſchaftliche Kraͤfte noch gleiche Gewalt
entgegenſetzen koͤnnen, iſt noch keine Uebermacht vor-
handen e].
Uebrigens wird niemand zweifeln, daß auch die
Erlangung gewiſſer Gerechtſame, Buͤndniſſe mit andern
maͤchtigen Staaten, zumal mit denen, die ein beſtaͤndi-
ges oder langwieriges, gemeinſchaftliches Intereſſe
haben,
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Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen, mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 1. Altenburg, 1787, S. 330. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/guenther_voelkerrecht01_1787/356>, abgerufen am 23.11.2024.
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