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Herder, Johann Gottfried von: Von der Ähnlichkeit der mittlern englischen und deutschen Dichtkunst. In: Deutsches Museum. Bd. 2, Stück 11 (1777), S. 421–435.

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dirt, und etwa nur Warton über Spenser gelesen hat, und dann nur die schlechtesten Romanzen und Lieder unsres Volks kennet, wird Beyspiele und Belege genug darüber zu geben wissen, und ich selbst könnte es durch alle Kapitel und Klassen geben. Was diese Vergleichung nun für einen Strom Bemerkungen über die Bildung beyder Sprachen und der Schriftsteller in beyden Sprachen geben müsse, wenn sich eine Sprachgesellschaft oder belles-Lettres-Academie einer solchen Kleinigkeit annähme, erhellet von selbst. Hier ist dazu weder Ort noch Zeit.

Ich sage nur so viel: Hätten wir wenigstens die Stücke gesammlet, aus denen sich Bemerkungen oder Nuzbarkeiten der Art ergäben - aber wo sind sie? Die Engländer - mit welcher Begierde haben sie ihre alte Gesänge und Melodien gesammlet, gedruckt und wieder gedruckt genuzt, gelesen! Ramsay, Percy und ihres Gleichen sind mit Beyfall aufgenommen, ihre neuern Dichter Shenstone, Mason, Mallet haben sich, wenigstens schön und müssig, in die Manier hineingearbeitet: Dryden, Pope, Addison, Swift sie nach ihrer Art gebrauchet: die ältern Dichter, Chaucer, Spenser, Shakespear, Milton haben in Gesängen der Art gelebet, andre edle Männer, Philipp Sidney, Selden, und wie viel müste ich nennen, haben gesammlet, gelobt, bewundert; aus Samenkörnern der Art ist der Britten beste lyrische, dramatische, mythische, epische Dichtkunst erwachsen; und wir - wir überfüllte, satte, klassische Deutsche - wir? - Man lasse in Deutschland nur Lieder drucken, wie sie Ramsay, Percy u.a. zum Theil haben drucken lassen, und höre, was unsre geschmackvolle, klassische Kunstrichter sagen!

An allgemeinen Wünschen fehlts freylich nicht. Als vor weniger Zeit die Barden-Windsbraut brauste: wie wurde nach den Gesängen gerufen, die der grosse Karl gesammlet haben soll! Wie wurden diese völlig unbekannter Weise gelobt, nachgeahmt, gesungen - ihr Fund so leicht gemacht, als ob sie nur aus der Hand gelegt wären, an ihnen

dirt, und etwa nur Warton über Spenser gelesen hat, und dann nur die schlechtesten Romanzen und Lieder unsres Volks kennet, wird Beyspiele und Belege genug darüber zu geben wissen, und ich selbst könnte es durch alle Kapitel und Klassen geben. Was diese Vergleichung nun für einen Strom Bemerkungen über die Bildung beyder Sprachen und der Schriftsteller in beyden Sprachen geben müsse, wenn sich eine Sprachgesellschaft oder belles-Lettres-Academie einer solchen Kleinigkeit annähme, erhellet von selbst. Hier ist dazu weder Ort noch Zeit.

Ich sage nur so viel: Hätten wir wenigstens die Stücke gesammlet, aus denen sich Bemerkungen oder Nuzbarkeiten der Art ergäben – aber wo sind sie? Die Engländer – mit welcher Begierde haben sie ihre alte Gesänge und Melodien gesammlet, gedruckt und wieder gedruckt genuzt, gelesen! Ramsay, Percy und ihres Gleichen sind mit Beyfall aufgenommen, ihre neuern Dichter Shenstone, Mason, Mallet haben sich, wenigstens schön und müssig, in die Manier hineingearbeitet: Dryden, Pope, Addison, Swift sie nach ihrer Art gebrauchet: die ältern Dichter, Chaucer, Spenser, Shakespear, Milton haben in Gesängen der Art gelebet, andre edle Männer, Philipp Sidney, Selden, und wie viel müste ich nennen, haben gesammlet, gelobt, bewundert; aus Samenkörnern der Art ist der Britten beste lyrische, dramatische, mythische, epische Dichtkunst erwachsen; und wir – wir überfüllte, satte, klassische Deutsche – wir? – Man lasse in Deutschland nur Lieder drucken, wie sie Ramsay, Percy u.a. zum Theil haben drucken lassen, und höre, was unsre geschmackvolle, klassische Kunstrichter sagen!

An allgemeinen Wünschen fehlts freylich nicht. Als vor weniger Zeit die Barden-Windsbraut brauste: wie wurde nach den Gesängen gerufen, die der grosse Karl gesammlet haben soll! Wie wurden diese völlig unbekannter Weise gelobt, nachgeahmt, gesungen – ihr Fund so leicht gemacht, als ob sie nur aus der Hand gelegt wären, an ihnen

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[426/0007] dirt, und etwa nur Warton über Spenser gelesen hat, und dann nur die schlechtesten Romanzen und Lieder unsres Volks kennet, wird Beyspiele und Belege genug darüber zu geben wissen, und ich selbst könnte es durch alle Kapitel und Klassen geben. Was diese Vergleichung nun für einen Strom Bemerkungen über die Bildung beyder Sprachen und der Schriftsteller in beyden Sprachen geben müsse, wenn sich eine Sprachgesellschaft oder belles-Lettres-Academie einer solchen Kleinigkeit annähme, erhellet von selbst. Hier ist dazu weder Ort noch Zeit. Ich sage nur so viel: Hätten wir wenigstens die Stücke gesammlet, aus denen sich Bemerkungen oder Nuzbarkeiten der Art ergäben – aber wo sind sie? Die Engländer – mit welcher Begierde haben sie ihre alte Gesänge und Melodien gesammlet, gedruckt und wieder gedruckt genuzt, gelesen! Ramsay, Percy und ihres Gleichen sind mit Beyfall aufgenommen, ihre neuern Dichter Shenstone, Mason, Mallet haben sich, wenigstens schön und müssig, in die Manier hineingearbeitet: Dryden, Pope, Addison, Swift sie nach ihrer Art gebrauchet: die ältern Dichter, Chaucer, Spenser, Shakespear, Milton haben in Gesängen der Art gelebet, andre edle Männer, Philipp Sidney, Selden, und wie viel müste ich nennen, haben gesammlet, gelobt, bewundert; aus Samenkörnern der Art ist der Britten beste lyrische, dramatische, mythische, epische Dichtkunst erwachsen; und wir – wir überfüllte, satte, klassische Deutsche – wir? – Man lasse in Deutschland nur Lieder drucken, wie sie Ramsay, Percy u.a. zum Theil haben drucken lassen, und höre, was unsre geschmackvolle, klassische Kunstrichter sagen! An allgemeinen Wünschen fehlts freylich nicht. Als vor weniger Zeit die Barden-Windsbraut brauste: wie wurde nach den Gesängen gerufen, die der grosse Karl gesammlet haben soll! Wie wurden diese völlig unbekannter Weise gelobt, nachgeahmt, gesungen – ihr Fund so leicht gemacht, als ob sie nur aus der Hand gelegt wären, an ihnen

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Von der Ähnlichkeit der mittlern englischen und deutschen Dichtkunst. In: Deutsches Museum. Bd. 2, Stück 11 (1777), S. 421–435, hier S. 426. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_aehnlichkeit_1777/7>, abgerufen am 29.03.2024.