Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847.gen vermochte er zuletzt gar nicht mehr zu arbeiten, und ge¬ Nach den bisherigen Mittheilungen wird man sich leicht gen vermochte er zuletzt gar nicht mehr zu arbeiten, und ge¬ Nach den bisherigen Mittheilungen wird man ſich leicht <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0189" n="181"/> gen vermochte er zuletzt gar nicht mehr zu arbeiten, und ge¬<lb/> rieth, von dem Meiſter zur Thaͤtigkeit aufgefordert, gegen den¬<lb/> ſelben in einen ſolchen Ungeſtuͤm, daß er behauptete, deſſen<lb/> Wohnung gehoͤre ihm, ſo daß jener ſich genoͤthigt ſah, ihm<lb/> bei ſeiner Wiederkehr die Thuͤre zu verſchließen. Auch gegen<lb/> ſeine Schweſter behauptete er, Chriſtus zu ſein, und einen<lb/> babyloniſchen Thurm bauen zu wollen, ſo daß ſie durch dieſe<lb/> und aͤhnliche Faſeleien genoͤthigt wurde, ſeine Aufnahme in die<lb/> Charité zu veranlaſſen, in welche er am 30. Juni 1846 ge¬<lb/> bracht wurde.</p><lb/> <p>Nach den bisherigen Mittheilungen wird man ſich leicht<lb/> ein Bild von ſeinem Zuſtande entwerfen koͤnnen. Vorzugs¬<lb/> weiſe ſprach er ſeine religioͤſen Wahnvorſtellungen aus, indem<lb/> er ſich wiederholt fuͤr Chriſtus erklaͤrte, und bei anderen Ge¬<lb/> legenheiten verſicherte, daß Gott ihm den Thron der Welt uͤber¬<lb/> laſſen werde. Auch nannte er ſich einen Nachfolger Napoleon's,<lb/> denn auch dieſer ſei Gott geweſen, und habe die Beſtimmung<lb/> gehabt, das Reich Gottes auf Erden zu verwirklichen. In<lb/> den erſten Naͤchten ſah er noch Gott und die himmliſchen<lb/> Heerſchaaren, aber Alles in magiſchen, unbeſtimmten Zeichnun¬<lb/> gen; am Tage ſprach er oft vor ſich hin, meiſt ſinnloſe und<lb/> unverſtaͤndliche Worte, oder er fing an zu ſingen, wofuͤr er<lb/> als Grund angab, daß er ſeine Stimme uͤben muͤſſe. Dabei<lb/> herrſchte eine außerordentliche Verworrenheit in ſeinem Kopfe,<lb/> welche es ihm nicht geſtattete, ihn zu beſtimmten Erlaͤuterun¬<lb/> gen ſeiner aberwitzigen Aeußerungen zu bewegen; namentlich<lb/> war durch ſeine planloſe Lectuͤre der verſchiedenſten Buͤcher ein<lb/> wahrer Strudel von Chimaͤren erzeugt worden, indem er fuͤr<lb/> Alles einen Beruf zu haben glaubte, und ſich den heterogen¬<lb/> ſten Geſchaͤften widmen wollte, um ſich zu vervollkommnen.<lb/> Bei dem Singen aͤußerte er gelegentlich, er muͤſſe Operncom¬<lb/> poniſt und Taͤnzer werden, weil David vor der Bundeslade<lb/> getanzt habe, Militaͤr-Chirurgus, weil in der Bibel oft von<lb/> geheilten Wunden die Rede ſei. Das Maurerhandwerk muͤſſe<lb/> er erlernen, um dem Fuͤrſten von Sonnenburg ein großes<lb/> Triumphthor zu erbauen. Auf dem Theater wollte er wiſſen¬<lb/> ſchaftliche Ausbildung ſuchen, durch den Gebrauch der Dreh¬<lb/> orgel ſich in der Muſik vervollkommnen, ſelbſt das Gewerbe<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [181/0189]
gen vermochte er zuletzt gar nicht mehr zu arbeiten, und ge¬
rieth, von dem Meiſter zur Thaͤtigkeit aufgefordert, gegen den¬
ſelben in einen ſolchen Ungeſtuͤm, daß er behauptete, deſſen
Wohnung gehoͤre ihm, ſo daß jener ſich genoͤthigt ſah, ihm
bei ſeiner Wiederkehr die Thuͤre zu verſchließen. Auch gegen
ſeine Schweſter behauptete er, Chriſtus zu ſein, und einen
babyloniſchen Thurm bauen zu wollen, ſo daß ſie durch dieſe
und aͤhnliche Faſeleien genoͤthigt wurde, ſeine Aufnahme in die
Charité zu veranlaſſen, in welche er am 30. Juni 1846 ge¬
bracht wurde.
Nach den bisherigen Mittheilungen wird man ſich leicht
ein Bild von ſeinem Zuſtande entwerfen koͤnnen. Vorzugs¬
weiſe ſprach er ſeine religioͤſen Wahnvorſtellungen aus, indem
er ſich wiederholt fuͤr Chriſtus erklaͤrte, und bei anderen Ge¬
legenheiten verſicherte, daß Gott ihm den Thron der Welt uͤber¬
laſſen werde. Auch nannte er ſich einen Nachfolger Napoleon's,
denn auch dieſer ſei Gott geweſen, und habe die Beſtimmung
gehabt, das Reich Gottes auf Erden zu verwirklichen. In
den erſten Naͤchten ſah er noch Gott und die himmliſchen
Heerſchaaren, aber Alles in magiſchen, unbeſtimmten Zeichnun¬
gen; am Tage ſprach er oft vor ſich hin, meiſt ſinnloſe und
unverſtaͤndliche Worte, oder er fing an zu ſingen, wofuͤr er
als Grund angab, daß er ſeine Stimme uͤben muͤſſe. Dabei
herrſchte eine außerordentliche Verworrenheit in ſeinem Kopfe,
welche es ihm nicht geſtattete, ihn zu beſtimmten Erlaͤuterun¬
gen ſeiner aberwitzigen Aeußerungen zu bewegen; namentlich
war durch ſeine planloſe Lectuͤre der verſchiedenſten Buͤcher ein
wahrer Strudel von Chimaͤren erzeugt worden, indem er fuͤr
Alles einen Beruf zu haben glaubte, und ſich den heterogen¬
ſten Geſchaͤften widmen wollte, um ſich zu vervollkommnen.
Bei dem Singen aͤußerte er gelegentlich, er muͤſſe Operncom¬
poniſt und Taͤnzer werden, weil David vor der Bundeslade
getanzt habe, Militaͤr-Chirurgus, weil in der Bibel oft von
geheilten Wunden die Rede ſei. Das Maurerhandwerk muͤſſe
er erlernen, um dem Fuͤrſten von Sonnenburg ein großes
Triumphthor zu erbauen. Auf dem Theater wollte er wiſſen¬
ſchaftliche Ausbildung ſuchen, durch den Gebrauch der Dreh¬
orgel ſich in der Muſik vervollkommnen, ſelbſt das Gewerbe
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