Kerner, Justinus: Geschichten Besessener neuerer Zeit. Karlsruhe, 1834.der Mauer gekommen, welche das Eck des Hauses bildete, Der Vater zeigte mir hierauf das verbrannte Tuch, das der Mauer gekommen, welche das Eck des Hauſes bildete, Der Vater zeigte mir hierauf das verbrannte Tuch, das <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0059" n="45"/> der Mauer gekommen, welche das Eck des Hauſes bildete,<lb/> und von ganz anderer Beſchaffenheit als der übrige Theil<lb/> war. Während die andern Mauern nur von Leim aufge-<lb/> führt waren, ſo war dieſes Stück mit ganz beſonderem<lb/> Kalk und feſter verbunden, ſo daß es wirklich ſcheint, dieſe<lb/> Mauer ſtamme von einem ſehr alten Gebäude her. Mit dem<lb/> Sinken dieſes Theils des Gebäudes auch (was das Mäd-<lb/> chen nicht ſehen konnte) es war jetzt halb zwölf Uhr, und<lb/> zwar mit dem Abbruch des letzten Steins deſſelben, trat bey<lb/> dem Mädchen ein dreymaliges Neigen des Kopfes auf die<lb/> rechte Seite ein, ihre Augen ſchlugen ſich auf. Der Dämon<lb/> war aus ihr gewichen und ihr natürliches Leben war wie-<lb/> der da. Herr Pfarrer <hi rendition="#g">Gerber</hi> beſchreibt als Augenzeuge<lb/> den Moment, nachdem der letzte Stein jener Mauer ge-<lb/> fallen war, alſo: „In dieſem Moment wendete ſich ihr<lb/> Haupt auf die rechte Seite und ſie ſchlug die Augen auf,<lb/> die nun hell und voll Verwunderung über die vielen Per-<lb/> ſonen, welche ſie umgaben, um ſich ſchauten. Auf einmal<lb/> fiel es ihr ein, was mit ihr vorgegangen war, ſie deckte<lb/> beſchämt mit beyden Händen das Geſicht — fing an zu<lb/> weinen, erhob ſich, noch halb taumelnd, wie ein Menſch,<lb/> der aus einem ſchweren Schlaf erwacht — und eilte fort.<lb/> Ich ſah nach der Uhr, — es war — halb zwölf! Nie<lb/> werde ich das Ueberraſchende dieſes Anblicks vergeſſen, nie<lb/> den wunderbaren Uebergang von den entſtellten dämoni-<lb/> ſchen Geſichtzügen der, wie ſoll ich ſie nennen — Kranken,<lb/> zu dem rein menſchlichen, freundlichen Antlitz der Erwachten;<lb/> von der widrigen hohlen Geiſterſtimme zu dem gewohnten<lb/> Klange der Mädchenſtimme, von der verborgenen, theils<lb/> gelähmten, theils raſtlos bewegten Stellung des Körpers,<lb/> zu der ſchönen Geſtalt, die wie mit einem Zauberſchlage<lb/> vor uns ſtund. Alles freute ſich, alles wünſchte dem<lb/> Mädchen, wünſchte den Eltern Glück: denn die guten<lb/> Menſchen waren feſt überzeugt, daß nun der ſchwarze Geiſt<lb/> zum letztenmale da geweſen ſey.</p><lb/> <p>Der Vater zeigte mir hierauf das verbrannte Tuch, das<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [45/0059]
der Mauer gekommen, welche das Eck des Hauſes bildete,
und von ganz anderer Beſchaffenheit als der übrige Theil
war. Während die andern Mauern nur von Leim aufge-
führt waren, ſo war dieſes Stück mit ganz beſonderem
Kalk und feſter verbunden, ſo daß es wirklich ſcheint, dieſe
Mauer ſtamme von einem ſehr alten Gebäude her. Mit dem
Sinken dieſes Theils des Gebäudes auch (was das Mäd-
chen nicht ſehen konnte) es war jetzt halb zwölf Uhr, und
zwar mit dem Abbruch des letzten Steins deſſelben, trat bey
dem Mädchen ein dreymaliges Neigen des Kopfes auf die
rechte Seite ein, ihre Augen ſchlugen ſich auf. Der Dämon
war aus ihr gewichen und ihr natürliches Leben war wie-
der da. Herr Pfarrer Gerber beſchreibt als Augenzeuge
den Moment, nachdem der letzte Stein jener Mauer ge-
fallen war, alſo: „In dieſem Moment wendete ſich ihr
Haupt auf die rechte Seite und ſie ſchlug die Augen auf,
die nun hell und voll Verwunderung über die vielen Per-
ſonen, welche ſie umgaben, um ſich ſchauten. Auf einmal
fiel es ihr ein, was mit ihr vorgegangen war, ſie deckte
beſchämt mit beyden Händen das Geſicht — fing an zu
weinen, erhob ſich, noch halb taumelnd, wie ein Menſch,
der aus einem ſchweren Schlaf erwacht — und eilte fort.
Ich ſah nach der Uhr, — es war — halb zwölf! Nie
werde ich das Ueberraſchende dieſes Anblicks vergeſſen, nie
den wunderbaren Uebergang von den entſtellten dämoni-
ſchen Geſichtzügen der, wie ſoll ich ſie nennen — Kranken,
zu dem rein menſchlichen, freundlichen Antlitz der Erwachten;
von der widrigen hohlen Geiſterſtimme zu dem gewohnten
Klange der Mädchenſtimme, von der verborgenen, theils
gelähmten, theils raſtlos bewegten Stellung des Körpers,
zu der ſchönen Geſtalt, die wie mit einem Zauberſchlage
vor uns ſtund. Alles freute ſich, alles wünſchte dem
Mädchen, wünſchte den Eltern Glück: denn die guten
Menſchen waren feſt überzeugt, daß nun der ſchwarze Geiſt
zum letztenmale da geweſen ſey.
Der Vater zeigte mir hierauf das verbrannte Tuch, das
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