Kerner, Justinus: Geschichten Besessener neuerer Zeit. Karlsruhe, 1834.Sollten wir das Ganze als eine Ausgeburt der Phantasie Einem Denkgläubigen war wohl mit noch Vielen, ein "Diese Bedenklichkeit ist gegründet und jedenfalls ver- Sollten wir das Ganze als eine Ausgeburt der Phantaſie Einem Denkgläubigen war wohl mit noch Vielen, ein „Dieſe Bedenklichkeit iſt gegründet und jedenfalls ver- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0064" n="50"/> Sollten wir das Ganze als eine Ausgeburt der Phantaſie<lb/> halten, ſo iſt es ſchwer zu begreifen, wie das Mädchen mit<lb/> ſo beharrlicher Conſequenz immer auf dieſelben Ideen zurück-<lb/> kommen, und allmählig ganze Charakterbilder und eine fort-<lb/> laufende Erzählung erdichten konnte; ſo iſt eben ſo wenig<lb/> erklärbar, wie ſie zuletzt noch gar die Rolle dieſes ruchlo-<lb/> ſen Mönchs, eines Charakters, der ihren natürlichen Ge-<lb/> ſinnungen und ihrem ganzen Ideenkreis ſo ganz fremd iſt,<lb/> in Ton und Sprache ſo richtig ſpielen konnte, wie es nur<lb/> ein Dichter und geübter Schauſpieler vermag.“</p><lb/> <p>Einem Denkgläubigen war wohl mit noch Vielen, ein<lb/> Räthſel, wie der Abbruch eines Bauernhauſes Bedingung<lb/> der Erlöſung eines abgeſchiedenen Geiſtes ſeyn könne. Ein<lb/> Freund der Bibel und der Wahrheit antwortet:</p><lb/> <p>„Dieſe Bedenklichkeit iſt gegründet und jedenfalls ver-<lb/> zeihlich, ſie trägt aber die Ermahnung in ſich, das Para-<lb/> doxe dieſer Art an ſeinen Ort geſtellt ſeyn zu laſſen, bis<lb/> nach geſammelten Erfahrungen über ihren Grund weiteres<lb/> Licht kommt. So viel iſt gewiß, daß auch in der Sinnen-<lb/> welt ſich täglich eine Menge begibt, wovon wir den Zu-<lb/> ſammenhang und die Urſache der Zulaſſung nicht einſehen.<lb/> Daß den böſen Buben im Reich der Geiſter Langmuth wi-<lb/> derfährt, wie in dieſem Leben, ſcheint nicht ſo abnorm zu<lb/> ſeyn. Daß es dort Beziehungen, Bedingungen und Ver-<lb/> hältniſſe zur Dieſſeite gibt, die aus der Dieſſeite nicht er-<lb/> klärbar ſind, iſt gerade recht und nothwendig, weil dort<lb/> ganz andere, dem Geſetz des Sichtbaren wahrhaft oder<lb/> ſcheinbar widerſprechende Geſetze im Großen und Kleinen<lb/> walten. Man kann einen Menſchen von einer angehenden<lb/> Blindheit erretten, wenn man eine gegenüberſtehende weiße<lb/> Mauer abbricht; wer weiß, was zur Beruhigung einer Seele<lb/> dienen kann, wenn man ein Haus abbricht, in welchem ſie<lb/> gewohnt oder Uebels gethan hat? oder worin ein ſchlim-<lb/> mer Bezug zu ihr ſich befindet? Daß dieſes unbedingt nö-<lb/> thig ſey, um eine ſolche Seele zum Frieden zu fördern,<lb/> iſt damit keineswegs geſagt; aber daß es vermöge ihrer<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [50/0064]
Sollten wir das Ganze als eine Ausgeburt der Phantaſie
halten, ſo iſt es ſchwer zu begreifen, wie das Mädchen mit
ſo beharrlicher Conſequenz immer auf dieſelben Ideen zurück-
kommen, und allmählig ganze Charakterbilder und eine fort-
laufende Erzählung erdichten konnte; ſo iſt eben ſo wenig
erklärbar, wie ſie zuletzt noch gar die Rolle dieſes ruchlo-
ſen Mönchs, eines Charakters, der ihren natürlichen Ge-
ſinnungen und ihrem ganzen Ideenkreis ſo ganz fremd iſt,
in Ton und Sprache ſo richtig ſpielen konnte, wie es nur
ein Dichter und geübter Schauſpieler vermag.“
Einem Denkgläubigen war wohl mit noch Vielen, ein
Räthſel, wie der Abbruch eines Bauernhauſes Bedingung
der Erlöſung eines abgeſchiedenen Geiſtes ſeyn könne. Ein
Freund der Bibel und der Wahrheit antwortet:
„Dieſe Bedenklichkeit iſt gegründet und jedenfalls ver-
zeihlich, ſie trägt aber die Ermahnung in ſich, das Para-
doxe dieſer Art an ſeinen Ort geſtellt ſeyn zu laſſen, bis
nach geſammelten Erfahrungen über ihren Grund weiteres
Licht kommt. So viel iſt gewiß, daß auch in der Sinnen-
welt ſich täglich eine Menge begibt, wovon wir den Zu-
ſammenhang und die Urſache der Zulaſſung nicht einſehen.
Daß den böſen Buben im Reich der Geiſter Langmuth wi-
derfährt, wie in dieſem Leben, ſcheint nicht ſo abnorm zu
ſeyn. Daß es dort Beziehungen, Bedingungen und Ver-
hältniſſe zur Dieſſeite gibt, die aus der Dieſſeite nicht er-
klärbar ſind, iſt gerade recht und nothwendig, weil dort
ganz andere, dem Geſetz des Sichtbaren wahrhaft oder
ſcheinbar widerſprechende Geſetze im Großen und Kleinen
walten. Man kann einen Menſchen von einer angehenden
Blindheit erretten, wenn man eine gegenüberſtehende weiße
Mauer abbricht; wer weiß, was zur Beruhigung einer Seele
dienen kann, wenn man ein Haus abbricht, in welchem ſie
gewohnt oder Uebels gethan hat? oder worin ein ſchlim-
mer Bezug zu ihr ſich befindet? Daß dieſes unbedingt nö-
thig ſey, um eine ſolche Seele zum Frieden zu fördern,
iſt damit keineswegs geſagt; aber daß es vermöge ihrer
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |