1809 begründet worden. Unsere Zeit ist kaum soweit über jene Zeit hinaus gewachsen, um zu entbehren, was sie für notwendig hielt, und sind wir emporgewachsen in unserm Kunstschaffen, so verdanken wir es vielleicht den Akademien, deren Gründung Goethe begrüßte als eine Errungenschaft aufblühenden Kunstverständnisses. Mag er immerhin in ihnen eine Pfleg- stätte gesehen haben zur Fortentwickelung der Kunst im Geiste der Antike, während man heute gerade umgekehrt diesen Geist bannen will, in der antikisierend akademischen Richtung einen Hemmschuh für zeitgenössisches Fortschreiten sieht, so darf man dennoch auch heut über eine Meinung Goethes in Kunstdingen nicht allzuleicht zur Tagesordnung übergehen. Er schätzte den Wert der großen Tradition, den man jetzt zu unterschätzen geneigt ist.
Ein prinzipielles Hindernis wird ferner, ebenso wie aus der Natur der Akademien, aus der Natur der Frau selbst hergeleitet, die nicht ge- nügend originell schöpferisch sei, um eine Bereicherung der Kunst zu verheißen, deren eigenstes Wesen die schöpferische Kraft ist. Hierüber abschließend zu urteilen ist außerordentlich schwer. (Es ist ja gewiß, daß die allergrößten Künstler Männer waren, jene Großen, deren Werke, wenn Sie mir ein Bild erlauben wollen, sich als Ausdruck machtvoller Persönlich- keit herausheben aus dem rinnenden Strom künstlerischen Schaffens der Zeiten, wie ragender Fels aus der Welle. Aber wie viele sind der Tropfen, die im Strom zum Meere fließen, wie selten der feste Fels im Strudel? - Wie viele solch' überragender künstlerischer Persönlichkeiten kennen wir überhaupt, seit wir die Geschichte künstlerischen Schaffens mit Nennung von Persönlichkeiten aufzeichnen können? Sicher ist wohl, daß, solange es eine bildende Kunst gibt, es auch weibliche Künstler gegeben hat. Das Altertum kannte ihrer eine ganze Anzahl, meist Töchter von Künstlern, auf die sich die künstlerische Veranlagung des Vaters und die handwerkliche Fertigkeit übertrug, wie dies in den berühmten Künstlerfamilien der Renaissancezeit vom Vater auf den Sohn geschah. Diese antiken Künst- lerinnen arbeiteten auf allen Gebieten. So soll einer allerdings bestrittenen
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1809 begründet worden. Unsere Zeit ist kaum soweit über jene Zeit hinaus gewachsen, um zu entbehren, was sie für notwendig hielt, und sind wir emporgewachsen in unserm Kunstschaffen, so verdanken wir es vielleicht den Akademien, deren Gründung Goethe begrüßte als eine Errungenschaft aufblühenden Kunstverständnisses. Mag er immerhin in ihnen eine Pfleg- stätte gesehen haben zur Fortentwickelung der Kunst im Geiste der Antike, während man heute gerade umgekehrt diesen Geist bannen will, in der antikisierend akademischen Richtung einen Hemmschuh für zeitgenössisches Fortschreiten sieht, so darf man dennoch auch heut über eine Meinung Goethes in Kunstdingen nicht allzuleicht zur Tagesordnung übergehen. Er schätzte den Wert der großen Tradition, den man jetzt zu unterschätzen geneigt ist.
Ein prinzipielles Hindernis wird ferner, ebenso wie aus der Natur der Akademien, aus der Natur der Frau selbst hergeleitet, die nicht ge- nügend originell schöpferisch sei, um eine Bereicherung der Kunst zu verheißen, deren eigenstes Wesen die schöpferische Kraft ist. Hierüber abschließend zu urteilen ist außerordentlich schwer. (Es ist ja gewiß, daß die allergrößten Künstler Männer waren, jene Großen, deren Werke, wenn Sie mir ein Bild erlauben wollen, sich als Ausdruck machtvoller Persönlich- keit herausheben aus dem rinnenden Strom künstlerischen Schaffens der Zeiten, wie ragender Fels aus der Welle. Aber wie viele sind der Tropfen, die im Strom zum Meere fließen, wie selten der feste Fels im Strudel? – Wie viele solch' überragender künstlerischer Persönlichkeiten kennen wir überhaupt, seit wir die Geschichte künstlerischen Schaffens mit Nennung von Persönlichkeiten aufzeichnen können? Sicher ist wohl, daß, solange es eine bildende Kunst gibt, es auch weibliche Künstler gegeben hat. Das Altertum kannte ihrer eine ganze Anzahl, meist Töchter von Künstlern, auf die sich die künstlerische Veranlagung des Vaters und die handwerkliche Fertigkeit übertrug, wie dies in den berühmten Künstlerfamilien der Renaissancezeit vom Vater auf den Sohn geschah. Diese antiken Künst- lerinnen arbeiteten auf allen Gebieten. So soll einer allerdings bestrittenen
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1809 begründet worden. Unsere Zeit ist kaum soweit über jene Zeit hinaus
gewachsen, um zu entbehren, was sie für notwendig hielt, und sind wir
emporgewachsen in unserm Kunstschaffen, so verdanken wir es vielleicht
den Akademien, deren Gründung Goethe begrüßte als eine Errungenschaft
aufblühenden Kunstverständnisses. Mag er immerhin in ihnen eine Pfleg-
stätte gesehen haben zur Fortentwickelung der Kunst im Geiste der Antike,
während man heute gerade umgekehrt diesen Geist bannen will, in der
antikisierend akademischen Richtung einen Hemmschuh für zeitgenössisches
Fortschreiten sieht, so darf man dennoch auch heut über eine Meinung
Goethes in Kunstdingen nicht allzuleicht zur Tagesordnung übergehen. Er
schätzte den Wert der großen Tradition, den man jetzt zu unterschätzen
geneigt ist.
Ein prinzipielles Hindernis wird ferner, ebenso wie aus der Natur
der Akademien, aus der Natur der Frau selbst hergeleitet, die nicht ge-
nügend originell schöpferisch sei, um eine Bereicherung der Kunst zu
verheißen, deren eigenstes Wesen die schöpferische Kraft ist. Hierüber
abschließend zu urteilen ist außerordentlich schwer. (Es ist ja gewiß, daß
die allergrößten Künstler Männer waren, jene Großen, deren Werke, wenn
Sie mir ein Bild erlauben wollen, sich als Ausdruck machtvoller Persönlich-
keit herausheben aus dem rinnenden Strom künstlerischen Schaffens der
Zeiten, wie ragender Fels aus der Welle. Aber wie viele sind der Tropfen,
die im Strom zum Meere fließen, wie selten der feste Fels im Strudel?
– Wie viele solch' überragender künstlerischer Persönlichkeiten kennen
wir überhaupt, seit wir die Geschichte künstlerischen Schaffens mit Nennung
von Persönlichkeiten aufzeichnen können? Sicher ist wohl, daß, solange
es eine bildende Kunst gibt, es auch weibliche Künstler gegeben hat. Das
Altertum kannte ihrer eine ganze Anzahl, meist Töchter von Künstlern,
auf die sich die künstlerische Veranlagung des Vaters und die handwerkliche
Fertigkeit übertrug, wie dies in den berühmten Künstlerfamilien der
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Lehmann, Henni: Das Kunst-Studium der Frauen. Darmstadt, 1914, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehmann_kunststudium_1913/21>, abgerufen am 16.02.2025.
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