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Lehmann, Henni: Das Kunst-Studium der Frauen. Darmstadt, 1914.

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sein. Die Platzfrage wird aber seitens der preußischen Regierung erschwert
dadurch, daß man anscheinend das Prinzip des getrennten Unterrichts für
beide Geschlechter aufstellt, wesentlich für bestimmte Klassen, das Arbeiten
vor dem unbekleideten Modell. Eine solche Trennung mag wünschens-
wert sein, notwendig ist sie nicht. Jch verkenne natürlich nicht, daß für
den ersten Augenblick der Gedanke, junge Menschen beiderlei Geschlechts
gemeinsam vor den nackten Körper zu stellen, etwas Befremdendes hat,
vielleicht für viele etwas Verletzendes, indes für die meisten wird das
Befremdende und Verletzende schon in dem Gedanken liegen, daß junge
Mädchen überhaupt den nackten Manneskörper studieren. Wenn da viel-
leicht zuerst von der Arbeitenden etwas zu überwinden ist, so ergeht das
doch der Medizinerin auch nicht anders. Ein nackter Menschenkörper ist
aber auch etwas Schönes, an dessen Anblick man sich erbaut, und daß man
lernt, ihn unter diesem Gesichtspunkt zu betrachten, hat etwas Sittlichendes.
Und wenn man glaubt, daß das Studium des Nackten Bedenklichkeiten
gebe, so wird man doch in erster Linie das Studium des nackten weib-
lichen
Modells für den reifenden Jüngling beanstanden müssen. Für
diesen kann in der Tat unter Umständen ein Reiz des sexuellen Trieb-
lebens entstehen. Aber ob diese Gefahr nicht gerade vermindert würde,
wenn der Unterricht in gemischten Klassen erteilt würde und dadurch wohl
voraussichtlich eine Hebung des Verkehrstons in den Klassen sich einstellte,
das wäre mindestens der Erwägung wert. Die preußische Regierung hat
jedenfalls die Auffassung, daß getrennte Klassen nötig sind, und ließ daher,
da es an Raum mangelte, in Königsberg die Damenklassen eingehen, und
läßt Damen nur für solche Klassen zu, in denen sie, wie man schreibt, "mit
Herren zusammen arbeiten können". Jn gleichem Sinne hat seinerzeit
das Lehrerkollegium der Berliner Hochschule für bildende Kunst sich
ausgesprochen, aus "ästhetischen und Schicklichkeitsgründen" gegen das
gemeinsame Arbeiten vor dem nackten Modell, und hinzugefügt: Es könne
kein Lehrer gezwungen werden, "Damen überhaupt in so delikaten Unter
richtsfächern zu unterrichten". Nun, diese Schwierigkeit ließe sich beheben,

sein. Die Platzfrage wird aber seitens der preußischen Regierung erschwert
dadurch, daß man anscheinend das Prinzip des getrennten Unterrichts für
beide Geschlechter aufstellt, wesentlich für bestimmte Klassen, das Arbeiten
vor dem unbekleideten Modell. Eine solche Trennung mag wünschens-
wert sein, notwendig ist sie nicht. Jch verkenne natürlich nicht, daß für
den ersten Augenblick der Gedanke, junge Menschen beiderlei Geschlechts
gemeinsam vor den nackten Körper zu stellen, etwas Befremdendes hat,
vielleicht für viele etwas Verletzendes, indes für die meisten wird das
Befremdende und Verletzende schon in dem Gedanken liegen, daß junge
Mädchen überhaupt den nackten Manneskörper studieren. Wenn da viel-
leicht zuerst von der Arbeitenden etwas zu überwinden ist, so ergeht das
doch der Medizinerin auch nicht anders. Ein nackter Menschenkörper ist
aber auch etwas Schönes, an dessen Anblick man sich erbaut, und daß man
lernt, ihn unter diesem Gesichtspunkt zu betrachten, hat etwas Sittlichendes.
Und wenn man glaubt, daß das Studium des Nackten Bedenklichkeiten
gebe, so wird man doch in erster Linie das Studium des nackten weib-
lichen
Modells für den reifenden Jüngling beanstanden müssen. Für
diesen kann in der Tat unter Umständen ein Reiz des sexuellen Trieb-
lebens entstehen. Aber ob diese Gefahr nicht gerade vermindert würde,
wenn der Unterricht in gemischten Klassen erteilt würde und dadurch wohl
voraussichtlich eine Hebung des Verkehrstons in den Klassen sich einstellte,
das wäre mindestens der Erwägung wert. Die preußische Regierung hat
jedenfalls die Auffassung, daß getrennte Klassen nötig sind, und ließ daher,
da es an Raum mangelte, in Königsberg die Damenklassen eingehen, und
läßt Damen nur für solche Klassen zu, in denen sie, wie man schreibt, „mit
Herren zusammen arbeiten können“. Jn gleichem Sinne hat seinerzeit
das Lehrerkollegium der Berliner Hochschule für bildende Kunst sich
ausgesprochen, aus „ästhetischen und Schicklichkeitsgründen“ gegen das
gemeinsame Arbeiten vor dem nackten Modell, und hinzugefügt: Es könne
kein Lehrer gezwungen werden, „Damen überhaupt in so delikaten Unter
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[21/0027] sein. Die Platzfrage wird aber seitens der preußischen Regierung erschwert dadurch, daß man anscheinend das Prinzip des getrennten Unterrichts für beide Geschlechter aufstellt, wesentlich für bestimmte Klassen, das Arbeiten vor dem unbekleideten Modell. Eine solche Trennung mag wünschens- wert sein, notwendig ist sie nicht. Jch verkenne natürlich nicht, daß für den ersten Augenblick der Gedanke, junge Menschen beiderlei Geschlechts gemeinsam vor den nackten Körper zu stellen, etwas Befremdendes hat, vielleicht für viele etwas Verletzendes, indes für die meisten wird das Befremdende und Verletzende schon in dem Gedanken liegen, daß junge Mädchen überhaupt den nackten Manneskörper studieren. Wenn da viel- leicht zuerst von der Arbeitenden etwas zu überwinden ist, so ergeht das doch der Medizinerin auch nicht anders. Ein nackter Menschenkörper ist aber auch etwas Schönes, an dessen Anblick man sich erbaut, und daß man lernt, ihn unter diesem Gesichtspunkt zu betrachten, hat etwas Sittlichendes. Und wenn man glaubt, daß das Studium des Nackten Bedenklichkeiten gebe, so wird man doch in erster Linie das Studium des nackten weib- lichen Modells für den reifenden Jüngling beanstanden müssen. Für diesen kann in der Tat unter Umständen ein Reiz des sexuellen Trieb- lebens entstehen. Aber ob diese Gefahr nicht gerade vermindert würde, wenn der Unterricht in gemischten Klassen erteilt würde und dadurch wohl voraussichtlich eine Hebung des Verkehrstons in den Klassen sich einstellte, das wäre mindestens der Erwägung wert. Die preußische Regierung hat jedenfalls die Auffassung, daß getrennte Klassen nötig sind, und ließ daher, da es an Raum mangelte, in Königsberg die Damenklassen eingehen, und läßt Damen nur für solche Klassen zu, in denen sie, wie man schreibt, „mit Herren zusammen arbeiten können“. Jn gleichem Sinne hat seinerzeit das Lehrerkollegium der Berliner Hochschule für bildende Kunst sich ausgesprochen, aus „ästhetischen und Schicklichkeitsgründen“ gegen das gemeinsame Arbeiten vor dem nackten Modell, und hinzugefügt: Es könne kein Lehrer gezwungen werden, „Damen überhaupt in so delikaten Unter richtsfächern zu unterrichten“. Nun, diese Schwierigkeit ließe sich beheben,

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Zitationshilfe: Lehmann, Henni: Das Kunst-Studium der Frauen. Darmstadt, 1914, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehmann_kunststudium_1913/27>, abgerufen am 23.11.2024.