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Marezoll, Johann Gottlob: Andachtsbuch für das weibliche Geschlecht vorzüglich für den aufgeklärten Theil desselben. Bd. 2. Leipzig, 1788.

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Die ältere Wittwe.

Zwar beweine ich itzt den Tod meines besten
und bewährtesten Freundes; aber Thränen der Dank-
barkeit vermischen sich mit den Thränen des Kummers,
der Dankbarkeit gegen dich, der du mir diesen treuen
und edeln Freund so viele Jahre erhalten hast. O wie
glücklich kann und muß ich mich in dieser Betrachtung
schätzen! Wie wenige meiner Schwestern genießen das
eheliche Glück so lange, als ich dasselbe genossen habe!
Wie viele derselben sehen sich schon in der Blüthe ih-
rer Jahre von dem getrennt, an dessen Hand sie das
Ziel zu erreichen wünschten! Sollte ich itzt in den
Stunden der Widerwärtigkeit dieses vergessen! Sollte
ich nicht in dem Andenken an die Vorzüge, die mir
zu Theil geworden sind, Trost und Stärkung finden!
Sollte ich nicht mit standhaftem Muthe das ertragen,
was ich in jeder Rücksicht weit leichter als andere er-
tragen kann!

Ja, itzt erinnere ich mich an alle Freuden, die
ich in reichem Maße und so viele Jahre hindurch in
der Gesellschaft meines Gatten genossen, an alle frohen
Tage und Stunden, die ich mit ihm durchlebt habe.
Itzt rufe ich mir die mannichfaltigen, kleinern und
größern Unglücksfälle, die wir durch deine Hülfe über-
standen, die unzählichen Wohlthaten und Segnungen,
die wir aus deiner Hand erhalten haben, ins Gedächt-
niß zurück. O wie ungleich größer ist die Summe
des Guten, das uns zu Theil wurde, als die Sum-
me des Bösen, das wir erfuhren! Wie gering an
Zahl sind die Tage der Leiden und des Kummers ge-

gen
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Die ältere Wittwe.

Zwar beweine ich itzt den Tod meines beſten
und bewährteſten Freundes; aber Thränen der Dank-
barkeit vermiſchen ſich mit den Thränen des Kummers,
der Dankbarkeit gegen dich, der du mir dieſen treuen
und edeln Freund ſo viele Jahre erhalten haſt. O wie
glücklich kann und muß ich mich in dieſer Betrachtung
ſchätzen! Wie wenige meiner Schweſtern genießen das
eheliche Glück ſo lange, als ich daſſelbe genoſſen habe!
Wie viele derſelben ſehen ſich ſchon in der Blüthe ih-
rer Jahre von dem getrennt, an deſſen Hand ſie das
Ziel zu erreichen wünſchten! Sollte ich itzt in den
Stunden der Widerwärtigkeit dieſes vergeſſen! Sollte
ich nicht in dem Andenken an die Vorzüge, die mir
zu Theil geworden ſind, Troſt und Stärkung finden!
Sollte ich nicht mit ſtandhaftem Muthe das ertragen,
was ich in jeder Rückſicht weit leichter als andere er-
tragen kann!

Ja, itzt erinnere ich mich an alle Freuden, die
ich in reichem Maße und ſo viele Jahre hindurch in
der Geſellſchaft meines Gatten genoſſen, an alle frohen
Tage und Stunden, die ich mit ihm durchlebt habe.
Itzt rufe ich mir die mannichfaltigen, kleinern und
größern Unglücksfälle, die wir durch deine Hülfe über-
ſtanden, die unzählichen Wohlthaten und Segnungen,
die wir aus deiner Hand erhalten haben, ins Gedächt-
niß zurück. O wie ungleich größer iſt die Summe
des Guten, das uns zu Theil wurde, als die Sum-
me des Böſen, das wir erfuhren! Wie gering an
Zahl ſind die Tage der Leiden und des Kummers ge-

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[341/0353] Die ältere Wittwe. Zwar beweine ich itzt den Tod meines beſten und bewährteſten Freundes; aber Thränen der Dank- barkeit vermiſchen ſich mit den Thränen des Kummers, der Dankbarkeit gegen dich, der du mir dieſen treuen und edeln Freund ſo viele Jahre erhalten haſt. O wie glücklich kann und muß ich mich in dieſer Betrachtung ſchätzen! Wie wenige meiner Schweſtern genießen das eheliche Glück ſo lange, als ich daſſelbe genoſſen habe! Wie viele derſelben ſehen ſich ſchon in der Blüthe ih- rer Jahre von dem getrennt, an deſſen Hand ſie das Ziel zu erreichen wünſchten! Sollte ich itzt in den Stunden der Widerwärtigkeit dieſes vergeſſen! Sollte ich nicht in dem Andenken an die Vorzüge, die mir zu Theil geworden ſind, Troſt und Stärkung finden! Sollte ich nicht mit ſtandhaftem Muthe das ertragen, was ich in jeder Rückſicht weit leichter als andere er- tragen kann! Ja, itzt erinnere ich mich an alle Freuden, die ich in reichem Maße und ſo viele Jahre hindurch in der Geſellſchaft meines Gatten genoſſen, an alle frohen Tage und Stunden, die ich mit ihm durchlebt habe. Itzt rufe ich mir die mannichfaltigen, kleinern und größern Unglücksfälle, die wir durch deine Hülfe über- ſtanden, die unzählichen Wohlthaten und Segnungen, die wir aus deiner Hand erhalten haben, ins Gedächt- niß zurück. O wie ungleich größer iſt die Summe des Guten, das uns zu Theil wurde, als die Sum- me des Böſen, das wir erfuhren! Wie gering an Zahl ſind die Tage der Leiden und des Kummers ge- gen Y 3

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Zitationshilfe: Marezoll, Johann Gottlob: Andachtsbuch für das weibliche Geschlecht vorzüglich für den aufgeklärten Theil desselben. Bd. 2. Leipzig, 1788, S. 341. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marezoll_andachtsbuch02_1788/353>, abgerufen am 23.11.2024.