Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Marezoll, Johann Gottlob: Andachtsbuch für das weibliche Geschlecht vorzüglich für den aufgeklärten Theil desselben. Bd. 2. Leipzig, 1788.

Bild:
<< vorherige Seite


III.
Der Wittwenstand als ein Stand der
Prüfung betrachtet.


Jeder Stand, o Gott, ist ein Stand der Prüfung
für den Menschen, ein Stand der Erziehung und
Vorbereitung zur Emigkeit. Jede Lage, worein du
uns setzest, ist so beschaffen, daß wir uns in der Weis-
heit und Tugend und Vollkommenheit üben, daß wir
recht chriftliche Gesinnungen annehmen und äussern
und uns in der Liebe zu allem Guten befestigen können.
Dazu ist auch der Wittwenstand vorzüglich geschickt,
ein Stand, in welchem uns alles daran erinnert, daß
wir hier keine bleibende Stätte haben, sondern die zu-
künftige suchen müssen; ein Stand, der recht eigent-
lich eine Schule der Uebung für uns genannt werden
kann. O wie weise werde ich handeln, welche Vor-
theile werde ich davon haben, wenn ich zum öftern
über das Eigenthümliche und über die Bestimmung
meiner Lage nachdenke, wenn ich in meinem Witt-
wenstande so gesinnt seyn und wünschen und handeln
lerne, wie mich alles in demselben gesinnet zu seyn und
zu wünschen und zu handeln ermuntert!

Denn hier werde ich durch meine eigenen Schick-
sale auf das lebhafteste davon überzeugt, daß alles irr-

dische


III.
Der Wittwenſtand als ein Stand der
Prüfung betrachtet.


Jeder Stand, o Gott, iſt ein Stand der Prüfung
für den Menſchen, ein Stand der Erziehung und
Vorbereitung zur Emigkeit. Jede Lage, worein du
uns ſetzeſt, iſt ſo beſchaffen, daß wir uns in der Weis-
heit und Tugend und Vollkommenheit üben, daß wir
recht chriftliche Geſinnungen annehmen und äuſſern
und uns in der Liebe zu allem Guten befeſtigen können.
Dazu iſt auch der Wittwenſtand vorzüglich geſchickt,
ein Stand, in welchem uns alles daran erinnert, daß
wir hier keine bleibende Stätte haben, ſondern die zu-
künftige ſuchen müſſen; ein Stand, der recht eigent-
lich eine Schule der Uebung für uns genannt werden
kann. O wie weiſe werde ich handeln, welche Vor-
theile werde ich davon haben, wenn ich zum öftern
über das Eigenthümliche und über die Beſtimmung
meiner Lage nachdenke, wenn ich in meinem Witt-
wenſtande ſo geſinnt ſeyn und wünſchen und handeln
lerne, wie mich alles in demſelben geſinnet zu ſeyn und
zu wünſchen und zu handeln ermuntert!

Denn hier werde ich durch meine eigenen Schick-
ſale auf das lebhafteſte davon überzeugt, daß alles irr-

diſche
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0356" n="344"/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <div n="2">
          <head><hi rendition="#aq">III.</hi><lb/>
Der Wittwen&#x017F;tand als ein Stand der<lb/>
Prüfung betrachtet.</head><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p><hi rendition="#in">J</hi>eder Stand, o Gott, i&#x017F;t ein Stand der Prüfung<lb/>
für den Men&#x017F;chen, ein Stand der Erziehung und<lb/>
Vorbereitung zur Emigkeit. Jede Lage, worein du<lb/>
uns &#x017F;etze&#x017F;t, i&#x017F;t &#x017F;o be&#x017F;chaffen, daß wir uns in der Weis-<lb/>
heit und Tugend und Vollkommenheit üben, daß wir<lb/>
recht chriftliche Ge&#x017F;innungen annehmen und äu&#x017F;&#x017F;ern<lb/>
und uns in der Liebe zu allem Guten befe&#x017F;tigen können.<lb/>
Dazu i&#x017F;t auch der Wittwen&#x017F;tand vorzüglich ge&#x017F;chickt,<lb/>
ein Stand, in welchem uns alles daran erinnert, daß<lb/>
wir hier keine bleibende Stätte haben, &#x017F;ondern die zu-<lb/>
künftige &#x017F;uchen mü&#x017F;&#x017F;en; ein Stand, der recht eigent-<lb/>
lich eine Schule der Uebung für uns genannt werden<lb/>
kann. O wie wei&#x017F;e werde ich handeln, welche Vor-<lb/>
theile werde ich davon haben, wenn ich zum öftern<lb/>
über das Eigenthümliche und über die Be&#x017F;timmung<lb/>
meiner Lage nachdenke, wenn ich in meinem Witt-<lb/>
wen&#x017F;tande &#x017F;o ge&#x017F;innt &#x017F;eyn und wün&#x017F;chen und handeln<lb/>
lerne, wie mich alles in dem&#x017F;elben ge&#x017F;innet zu &#x017F;eyn und<lb/>
zu wün&#x017F;chen und zu handeln ermuntert!</p><lb/>
          <p>Denn hier werde ich durch meine eigenen Schick-<lb/>
&#x017F;ale auf das lebhafte&#x017F;te davon überzeugt, daß alles irr-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">di&#x017F;che</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[344/0356] III. Der Wittwenſtand als ein Stand der Prüfung betrachtet. Jeder Stand, o Gott, iſt ein Stand der Prüfung für den Menſchen, ein Stand der Erziehung und Vorbereitung zur Emigkeit. Jede Lage, worein du uns ſetzeſt, iſt ſo beſchaffen, daß wir uns in der Weis- heit und Tugend und Vollkommenheit üben, daß wir recht chriftliche Geſinnungen annehmen und äuſſern und uns in der Liebe zu allem Guten befeſtigen können. Dazu iſt auch der Wittwenſtand vorzüglich geſchickt, ein Stand, in welchem uns alles daran erinnert, daß wir hier keine bleibende Stätte haben, ſondern die zu- künftige ſuchen müſſen; ein Stand, der recht eigent- lich eine Schule der Uebung für uns genannt werden kann. O wie weiſe werde ich handeln, welche Vor- theile werde ich davon haben, wenn ich zum öftern über das Eigenthümliche und über die Beſtimmung meiner Lage nachdenke, wenn ich in meinem Witt- wenſtande ſo geſinnt ſeyn und wünſchen und handeln lerne, wie mich alles in demſelben geſinnet zu ſeyn und zu wünſchen und zu handeln ermuntert! Denn hier werde ich durch meine eigenen Schick- ſale auf das lebhafteſte davon überzeugt, daß alles irr- diſche

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang: Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW): Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/marezoll_andachtsbuch02_1788
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/marezoll_andachtsbuch02_1788/356
Zitationshilfe: Marezoll, Johann Gottlob: Andachtsbuch für das weibliche Geschlecht vorzüglich für den aufgeklärten Theil desselben. Bd. 2. Leipzig, 1788, S. 344. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marezoll_andachtsbuch02_1788/356>, abgerufen am 23.11.2024.