Kronhelm. Vielleicht. Aber muß Hoch- achtung und Liebe gleich beysammen stehen?
Siegwart. Das nun eben nicht; aber ich denke, die Liebe kommt bald nach, wenn man von einem Frauenzimmer, für das man schon Hoch- achtung fühlt, auch noch geliebt wird?
Kronhelm. Nicht immer, Siegwart; und hier trifts gerade nicht ein. Sieh, ich glaub auch, daß mich das Fräulein liebt; und eben des- wegen nahm ich den kalten Ton an, der mir sonst gar nicht natürlich ist, um ihre Leidenschaft mehr zu dämpfen, als anzufachen. Man kann im Um- gang mit Mädchen nicht vorsichtig genug seyn; jedes Wort muß man abwägen; sie legen gar zu gerne aus, und wir müssen keine Veranlassung dazu geben! Jch ärgere mich doch genug, wenn ich jetzt viele Jünglinge in dem leichtsinnigen und schmeichlerischen Ton mit Mädchen sprechen höre, der jetzt immer allgemeiner wird. Dadurch wer- den die Leichtgläubigen und eiteln Seelen ganz verdorben; ihre Eitelkeit wird genährt, und sie träumen täglich von Eroberungen und von Sie- gen. Jch halte jeden für einen Feind des weib- lichen Geschlechts, der den Mädchen nichts als Süssigkeiten vorsagt; alles an ihnen bewundert
Kronhelm. Vielleicht. Aber muß Hoch- achtung und Liebe gleich beyſammen ſtehen?
Siegwart. Das nun eben nicht; aber ich denke, die Liebe kommt bald nach, wenn man von einem Frauenzimmer, fuͤr das man ſchon Hoch- achtung fuͤhlt, auch noch geliebt wird?
Kronhelm. Nicht immer, Siegwart; und hier trifts gerade nicht ein. Sieh, ich glaub auch, daß mich das Fraͤulein liebt; und eben des- wegen nahm ich den kalten Ton an, der mir ſonſt gar nicht natuͤrlich iſt, um ihre Leidenſchaft mehr zu daͤmpfen, als anzufachen. Man kann im Um- gang mit Maͤdchen nicht vorſichtig genug ſeyn; jedes Wort muß man abwaͤgen; ſie legen gar zu gerne aus, und wir muͤſſen keine Veranlaſſung dazu geben! Jch aͤrgere mich doch genug, wenn ich jetzt viele Juͤnglinge in dem leichtſinnigen und ſchmeichleriſchen Ton mit Maͤdchen ſprechen hoͤre, der jetzt immer allgemeiner wird. Dadurch wer- den die Leichtglaͤubigen und eiteln Seelen ganz verdorben; ihre Eitelkeit wird genaͤhrt, und ſie traͤumen taͤglich von Eroberungen und von Sie- gen. Jch halte jeden fuͤr einen Feind des weib- lichen Geſchlechts, der den Maͤdchen nichts als Suͤſſigkeiten vorſagt; alles an ihnen bewundert
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Kronhelm. Vielleicht. Aber muß Hoch-
achtung und Liebe gleich beyſammen ſtehen?
Siegwart. Das nun eben nicht; aber ich
denke, die Liebe kommt bald nach, wenn man von
einem Frauenzimmer, fuͤr das man ſchon Hoch-
achtung fuͤhlt, auch noch geliebt wird?
Kronhelm. Nicht immer, Siegwart; und
hier trifts gerade nicht ein. Sieh, ich glaub
auch, daß mich das Fraͤulein liebt; und eben des-
wegen nahm ich den kalten Ton an, der mir ſonſt
gar nicht natuͤrlich iſt, um ihre Leidenſchaft mehr
zu daͤmpfen, als anzufachen. Man kann im Um-
gang mit Maͤdchen nicht vorſichtig genug ſeyn;
jedes Wort muß man abwaͤgen; ſie legen gar
zu gerne aus, und wir muͤſſen keine Veranlaſſung
dazu geben! Jch aͤrgere mich doch genug, wenn
ich jetzt viele Juͤnglinge in dem leichtſinnigen und
ſchmeichleriſchen Ton mit Maͤdchen ſprechen hoͤre,
der jetzt immer allgemeiner wird. Dadurch wer-
den die Leichtglaͤubigen und eiteln Seelen ganz
verdorben; ihre Eitelkeit wird genaͤhrt, und ſie
traͤumen taͤglich von Eroberungen und von Sie-
gen. Jch halte jeden fuͤr einen Feind des weib-
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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 290. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776/294>, abgerufen am 23.11.2024.
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