Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776.
Betragen gegen den Prediger! Nach dem Kaffee giengen sie in den Garten, und bewunderten die schöne Ordnung, die der Prediger drinn erhielt. Da sind noch Nelken und Levkojen, sagte er; da hat sie ein Scherchen, Jungfer Therese, schneid sie welche davon ab! Sie schnitt eine Nelke, und ein paar Levkojenstengel ab, band sie zusammen, und gab sie Kronhelm, dem die Blumen ganz heilig waren, weil er sie von Theresen empfan- gen hatte; denn seine Seele war schon unsicht- bar mit der ihrigen verbunden. Er steckte den Straus an seinen Busen, sah ihn alle Augenblik- ke an, und roch daran. Jm Baumgarten besa- hen sie die schönen goldnen Früchte, sammelten welche davon auf, und assen sie. Sie blieben bis an den Abend da, und giengen sehr vergnügt nach Haus. Auf dem Wege schmückten sie ih- ren Traum von der Einsiedeley noch mehr aus, und beschlossen, auch den alten Prediger zuweilen zu sich kommen zu lassen. Sie kamen erst in der Dämmerung nach Hause. Kronhelm führte Theresen. Ein paarmal legte er seine Hand in die ihrige; und unwillkührlich, wie es schien, ga- ben sie sich einen sanften Händedruck; beyde fühl- ten dieß im Jnnersten, sahn sich eine Zeitlang Betragen gegen den Prediger! Nach dem Kaffee giengen ſie in den Garten, und bewunderten die ſchoͤne Ordnung, die der Prediger drinn erhielt. Da ſind noch Nelken und Levkojen, ſagte er; da hat ſie ein Scherchen, Jungfer Thereſe, ſchneid ſie welche davon ab! Sie ſchnitt eine Nelke, und ein paar Levkojenſtengel ab, band ſie zuſammen, und gab ſie Kronhelm, dem die Blumen ganz heilig waren, weil er ſie von Thereſen empfan- gen hatte; denn ſeine Seele war ſchon unſicht- bar mit der ihrigen verbunden. Er ſteckte den Straus an ſeinen Buſen, ſah ihn alle Augenblik- ke an, und roch daran. Jm Baumgarten beſa- hen ſie die ſchoͤnen goldnen Fruͤchte, ſammelten welche davon auf, und aſſen ſie. Sie blieben bis an den Abend da, und giengen ſehr vergnuͤgt nach Haus. Auf dem Wege ſchmuͤckten ſie ih- ren Traum von der Einſiedeley noch mehr aus, und beſchloſſen, auch den alten Prediger zuweilen zu ſich kommen zu laſſen. Sie kamen erſt in der Daͤmmerung nach Hauſe. Kronhelm fuͤhrte Thereſen. Ein paarmal legte er ſeine Hand in die ihrige; und unwillkuͤhrlich, wie es ſchien, ga- ben ſie ſich einen ſanften Haͤndedruck; beyde fuͤhl- ten dieß im Jnnerſten, ſahn ſich eine Zeitlang <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0360" n="356"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> Betragen gegen den Prediger! Nach dem Kaffee<lb/> giengen ſie in den Garten, und bewunderten die<lb/> ſchoͤne Ordnung, die der Prediger drinn erhielt.<lb/> Da ſind noch Nelken und Levkojen, ſagte er; da<lb/> hat ſie ein Scherchen, Jungfer <hi rendition="#fr">Thereſe,</hi> ſchneid<lb/> ſie welche davon ab! Sie ſchnitt eine Nelke, und<lb/> ein paar Levkojenſtengel ab, band ſie zuſammen,<lb/> und gab ſie <hi rendition="#fr">Kronhelm,</hi> dem die Blumen ganz<lb/> heilig waren, weil er ſie von <hi rendition="#fr">Thereſen</hi> empfan-<lb/> gen hatte; denn ſeine Seele war ſchon unſicht-<lb/> bar mit der ihrigen verbunden. Er ſteckte den<lb/> Straus an ſeinen Buſen, ſah ihn alle Augenblik-<lb/> ke an, und roch daran. Jm Baumgarten beſa-<lb/> hen ſie die ſchoͤnen goldnen Fruͤchte, ſammelten<lb/> welche davon auf, und aſſen ſie. Sie blieben<lb/> bis an den Abend da, und giengen ſehr vergnuͤgt<lb/> nach Haus. Auf dem Wege ſchmuͤckten ſie ih-<lb/> ren Traum von der Einſiedeley noch mehr aus,<lb/> und beſchloſſen, auch den alten Prediger zuweilen<lb/> zu ſich kommen zu laſſen. Sie kamen erſt in der<lb/> Daͤmmerung nach Hauſe. <hi rendition="#fr">Kronhelm</hi> fuͤhrte<lb/><hi rendition="#fr">Thereſen.</hi> Ein paarmal legte er ſeine Hand in<lb/> die ihrige; und unwillkuͤhrlich, wie es ſchien, ga-<lb/> ben ſie ſich einen ſanften Haͤndedruck; beyde fuͤhl-<lb/> ten dieß im Jnnerſten, ſahn ſich eine Zeitlang<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [356/0360]
Betragen gegen den Prediger! Nach dem Kaffee
giengen ſie in den Garten, und bewunderten die
ſchoͤne Ordnung, die der Prediger drinn erhielt.
Da ſind noch Nelken und Levkojen, ſagte er; da
hat ſie ein Scherchen, Jungfer Thereſe, ſchneid
ſie welche davon ab! Sie ſchnitt eine Nelke, und
ein paar Levkojenſtengel ab, band ſie zuſammen,
und gab ſie Kronhelm, dem die Blumen ganz
heilig waren, weil er ſie von Thereſen empfan-
gen hatte; denn ſeine Seele war ſchon unſicht-
bar mit der ihrigen verbunden. Er ſteckte den
Straus an ſeinen Buſen, ſah ihn alle Augenblik-
ke an, und roch daran. Jm Baumgarten beſa-
hen ſie die ſchoͤnen goldnen Fruͤchte, ſammelten
welche davon auf, und aſſen ſie. Sie blieben
bis an den Abend da, und giengen ſehr vergnuͤgt
nach Haus. Auf dem Wege ſchmuͤckten ſie ih-
ren Traum von der Einſiedeley noch mehr aus,
und beſchloſſen, auch den alten Prediger zuweilen
zu ſich kommen zu laſſen. Sie kamen erſt in der
Daͤmmerung nach Hauſe. Kronhelm fuͤhrte
Thereſen. Ein paarmal legte er ſeine Hand in
die ihrige; und unwillkuͤhrlich, wie es ſchien, ga-
ben ſie ſich einen ſanften Haͤndedruck; beyde fuͤhl-
ten dieß im Jnnerſten, ſahn ſich eine Zeitlang
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| Zitationshilfe: | Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 356. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776/360>, abgerufen am 23.11.2024. |
