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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832.

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vor der Hand; zuvörderst ist es meine Pflicht und
Schuldigkeit, daß ich Ihnen gegenwärtiges Schreiben
übermache, denn es wird wohl für Sie gehören; man
fand es, wie es ist, auf dem Tisch in Josephs
Stube liegen.

Begierig nahm Theobald den dargebotenen
Brief und eilte damit in ein anderes Zimmer. Als
er nach einer ziemlichen Weile wieder zurückkam, konnte
man auf seinem Gesicht eine gewisse feierliche Ruhe
bemerken, er sprach gelassener, gefaßter, und wußte
namentlich den gekränkten Handwerker bald wieder zu
beruhigen. Uebrigens entließ er für jezt die beiden
Kameraden, um mit Agnesen und der Schwester
allein zu seyn und ihnen das Wesentlichste vom Zu-
sammenhang der Sache zu eröffnen. Oft unterbrach
ihn der Schmerz, er stockte, und seine Blicke wühlten
verworren am Boden.

Von dem Inhalt jenes hinterlassenen Schreibens
wissen wir nur das Allgemeinste, da Nolten selbst
ein Geheimniß daraus machte. So viel wir darüber
erfahren konnten, war es eine kurze, nüchterne, ja
für das Gefühl der Hinterbliebenen gewissermaßen
versöhnende Rechtfertigung der schauderhaften That,
welche seit längerer Zeit im Stillen vorbereitet gewe-
sen seyn mußte, und deren Ausführung allerdings
durch Noltens Erscheinen beschleunigt worden war,
wiewohl in einem Sinne, der für Nolten selbst kei-
nen Vorwurf enthielt. Auch wäre die Meinung irrig,

vor der Hand; zuvörderſt iſt es meine Pflicht und
Schuldigkeit, daß ich Ihnen gegenwärtiges Schreiben
übermache, denn es wird wohl für Sie gehören; man
fand es, wie es iſt, auf dem Tiſch in Joſephs
Stube liegen.

Begierig nahm Theobald den dargebotenen
Brief und eilte damit in ein anderes Zimmer. Als
er nach einer ziemlichen Weile wieder zurückkam, konnte
man auf ſeinem Geſicht eine gewiſſe feierliche Ruhe
bemerken, er ſprach gelaſſener, gefaßter, und wußte
namentlich den gekränkten Handwerker bald wieder zu
beruhigen. Uebrigens entließ er für jezt die beiden
Kameraden, um mit Agneſen und der Schweſter
allein zu ſeyn und ihnen das Weſentlichſte vom Zu-
ſammenhang der Sache zu eröffnen. Oft unterbrach
ihn der Schmerz, er ſtockte, und ſeine Blicke wühlten
verworren am Boden.

Von dem Inhalt jenes hinterlaſſenen Schreibens
wiſſen wir nur das Allgemeinſte, da Nolten ſelbſt
ein Geheimniß daraus machte. So viel wir darüber
erfahren konnten, war es eine kurze, nüchterne, ja
für das Gefühl der Hinterbliebenen gewiſſermaßen
verſöhnende Rechtfertigung der ſchauderhaften That,
welche ſeit längerer Zeit im Stillen vorbereitet gewe-
ſen ſeyn mußte, und deren Ausführung allerdings
durch Noltens Erſcheinen beſchleunigt worden war,
wiewohl in einem Sinne, der für Nolten ſelbſt kei-
nen Vorwurf enthielt. Auch wäre die Meinung irrig,

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[505/0191] vor der Hand; zuvörderſt iſt es meine Pflicht und Schuldigkeit, daß ich Ihnen gegenwärtiges Schreiben übermache, denn es wird wohl für Sie gehören; man fand es, wie es iſt, auf dem Tiſch in Joſephs Stube liegen. Begierig nahm Theobald den dargebotenen Brief und eilte damit in ein anderes Zimmer. Als er nach einer ziemlichen Weile wieder zurückkam, konnte man auf ſeinem Geſicht eine gewiſſe feierliche Ruhe bemerken, er ſprach gelaſſener, gefaßter, und wußte namentlich den gekränkten Handwerker bald wieder zu beruhigen. Uebrigens entließ er für jezt die beiden Kameraden, um mit Agneſen und der Schweſter allein zu ſeyn und ihnen das Weſentlichſte vom Zu- ſammenhang der Sache zu eröffnen. Oft unterbrach ihn der Schmerz, er ſtockte, und ſeine Blicke wühlten verworren am Boden. Von dem Inhalt jenes hinterlaſſenen Schreibens wiſſen wir nur das Allgemeinſte, da Nolten ſelbſt ein Geheimniß daraus machte. So viel wir darüber erfahren konnten, war es eine kurze, nüchterne, ja für das Gefühl der Hinterbliebenen gewiſſermaßen verſöhnende Rechtfertigung der ſchauderhaften That, welche ſeit längerer Zeit im Stillen vorbereitet gewe- ſen ſeyn mußte, und deren Ausführung allerdings durch Noltens Erſcheinen beſchleunigt worden war, wiewohl in einem Sinne, der für Nolten ſelbſt kei- nen Vorwurf enthielt. Auch wäre die Meinung irrig,

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 505. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/191>, abgerufen am 23.11.2024.