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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

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prächtige Seiden- und Goldstickereien sind keine Selten-
heit. Es ist ein prunkvolles Schauspiel, bei hervor-
ragenden Beerdigungen oder sonst einer besonderen
Feierlichkeit Dutzende von Priestern bei einander zu
sehen, in Gewändern eines prächtiger als das andere,
und wenn in eintönig singendem Ton die Litaneien
und Responsorien ertönen und die anbetenden Ver-
neigungen der knieenden Priester erfolgen und die
Weihrauchkessel geschwenkt werden, daß einem der eigen-
tümliche und so wohlbekannte Geruch in die Nase steigt,
so gehört keine übergroße Phantasie dazu, um sich in
einen katholischen Gottesdienst oder in eine Ritualkirche
Englands versetzt zu fühlen.

Auch der Bonze hat die Tonsur, nur daß er sich
nicht mit einer kleinen kahlen Stelle auf dem Hinter-
haupt begnügt, sondern den ganzen Kopf glatt rasiert.
Auch für den Bonzen gilt das Gebot der Ehelosigkeit
-- mit einziger Ausnahme der Shinsekte. Das Mönch-
tum existiert hier wie dort, und hier wie dort besteht
neben dem Cölibatsgelübde auch das der freiwilligen
Armut. Hier wie dort leben die Mönche bald in
Klöstern zusammen, bald als Einsiedler in Klausen.
Bei beiden hat das Fasten eine bedeutungsvolle Stelle,
und strenger Asketismus und Quietismus blüht neben
Üppigkeit und Lüderlichkeit. Da sind kaum irgend welche
Auswüchse, die sich nicht bei den einen genau so fänden
wie bei den andern, und wenn auch nicht der welt-
freundliche japanische, so hat doch der weltflüchtige in-
dische Buddhismus genau dasselbe Kuriosum aufzuweisen
wie das christliche Mönchtum Ägyptens: Ich meine die
Styliten, jene merkwürdigen Heiligen, welche, abgeschieden
von der Welt, ihr sündiges Wesen auf Säulen (Pyra-
miden etc.) verbüßen. Giebt es auch Nonnen in Japan

prächtige Seiden- und Goldſtickereien ſind keine Selten-
heit. Es iſt ein prunkvolles Schauſpiel, bei hervor-
ragenden Beerdigungen oder ſonſt einer beſonderen
Feierlichkeit Dutzende von Prieſtern bei einander zu
ſehen, in Gewändern eines prächtiger als das andere,
und wenn in eintönig ſingendem Ton die Litaneien
und Reſponſorien ertönen und die anbetenden Ver-
neigungen der knieenden Prieſter erfolgen und die
Weihrauchkeſſel geſchwenkt werden, daß einem der eigen-
tümliche und ſo wohlbekannte Geruch in die Naſe ſteigt,
ſo gehört keine übergroße Phantaſie dazu, um ſich in
einen katholiſchen Gottesdienſt oder in eine Ritualkirche
Englands verſetzt zu fühlen.

Auch der Bonze hat die Tonſur, nur daß er ſich
nicht mit einer kleinen kahlen Stelle auf dem Hinter-
haupt begnügt, ſondern den ganzen Kopf glatt raſiert.
Auch für den Bonzen gilt das Gebot der Eheloſigkeit
— mit einziger Ausnahme der Shinſekte. Das Mönch-
tum exiſtiert hier wie dort, und hier wie dort beſteht
neben dem Cölibatsgelübde auch das der freiwilligen
Armut. Hier wie dort leben die Mönche bald in
Klöſtern zuſammen, bald als Einſiedler in Klauſen.
Bei beiden hat das Faſten eine bedeutungsvolle Stelle,
und ſtrenger Asketismus und Quietismus blüht neben
Üppigkeit und Lüderlichkeit. Da ſind kaum irgend welche
Auswüchſe, die ſich nicht bei den einen genau ſo fänden
wie bei den andern, und wenn auch nicht der welt-
freundliche japaniſche, ſo hat doch der weltflüchtige in-
diſche Buddhismus genau dasſelbe Kurioſum aufzuweiſen
wie das chriſtliche Mönchtum Ägyptens: Ich meine die
Styliten, jene merkwürdigen Heiligen, welche, abgeſchieden
von der Welt, ihr ſündiges Weſen auf Säulen (Pyra-
miden ꝛc.) verbüßen. Giebt es auch Nonnen in Japan

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[244/0258] prächtige Seiden- und Goldſtickereien ſind keine Selten- heit. Es iſt ein prunkvolles Schauſpiel, bei hervor- ragenden Beerdigungen oder ſonſt einer beſonderen Feierlichkeit Dutzende von Prieſtern bei einander zu ſehen, in Gewändern eines prächtiger als das andere, und wenn in eintönig ſingendem Ton die Litaneien und Reſponſorien ertönen und die anbetenden Ver- neigungen der knieenden Prieſter erfolgen und die Weihrauchkeſſel geſchwenkt werden, daß einem der eigen- tümliche und ſo wohlbekannte Geruch in die Naſe ſteigt, ſo gehört keine übergroße Phantaſie dazu, um ſich in einen katholiſchen Gottesdienſt oder in eine Ritualkirche Englands verſetzt zu fühlen. Auch der Bonze hat die Tonſur, nur daß er ſich nicht mit einer kleinen kahlen Stelle auf dem Hinter- haupt begnügt, ſondern den ganzen Kopf glatt raſiert. Auch für den Bonzen gilt das Gebot der Eheloſigkeit — mit einziger Ausnahme der Shinſekte. Das Mönch- tum exiſtiert hier wie dort, und hier wie dort beſteht neben dem Cölibatsgelübde auch das der freiwilligen Armut. Hier wie dort leben die Mönche bald in Klöſtern zuſammen, bald als Einſiedler in Klauſen. Bei beiden hat das Faſten eine bedeutungsvolle Stelle, und ſtrenger Asketismus und Quietismus blüht neben Üppigkeit und Lüderlichkeit. Da ſind kaum irgend welche Auswüchſe, die ſich nicht bei den einen genau ſo fänden wie bei den andern, und wenn auch nicht der welt- freundliche japaniſche, ſo hat doch der weltflüchtige in- diſche Buddhismus genau dasſelbe Kurioſum aufzuweiſen wie das chriſtliche Mönchtum Ägyptens: Ich meine die Styliten, jene merkwürdigen Heiligen, welche, abgeſchieden von der Welt, ihr ſündiges Weſen auf Säulen (Pyra- miden ꝛc.) verbüßen. Giebt es auch Nonnen in Japan

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Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 244. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/258>, abgerufen am 23.11.2024.