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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

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Jetzt erst, wo der Missionsapparat im ganzen fertig
war, hatte man die Hände frei zu ausgedehnter Pro-
pagandaarbeit.

Dazu hatte sich die Stimmung für das Christentum
von Jahr zu Jahr gehoben, und Ende der achtziger
Jahre erreichte dieselbe eine Höhe, daß man von einer
Christianisierung des ganzen Volkes in fünfundzwanzig
Jahren zu fabeln begann. Die Gewaltthätigkeiten gegen
die Christen verloren sich mehr und mehr und selbst
Beamte durften ungehindert zum Christentum über-
treten. Schon 1881 hatte der Kaiser die Einführung
einer konstitutionellen Verfassung in Aussicht gestellt,
und als 1883 Ito, welcher zum Studium des euro-
päischen Verfassungswesens den Westen bereist hatte,
nach Japan zurückkehrte, war er von der Notwendigkeit
einer durch die Verfassung verbürgten unbedingten
Religionsfreiheit überzeugt, und die übrigen Glieder der
Regierung dachten nicht anders. Als 1888 Nishima
einen Aufruf zu Geldbeiträgen erließ, um mittels der-
selben die Doshisha zu dem Range einer, wie er aus-
drücklich bemerkte, christlichen Universität zu erheben,
erhielt er aus heidnischen und religionslosen Regierungs-
und Finanzkreisen große Summen. Thatsächlich sind die
damals gesammelten 70000 Yen (1 Yen = 2--2,50 Mk.)
nur zu einem sehr kleinen Teile von den fast durchweg
unbemittelten Christen aufgebracht worden. Auch zu
andern christlichen Schulen und Werken christlicher Liebes-
thätigkeit wurden von hohen Beamten und Kaufleuten
nicht selten große Beiträge geleistet. In der guten
Gesellschaft wurde es Mode, seine Töchter in die
Missionsschulen zu schicken, und der Professor Toyama,
der selbst vom Christentum nichts wissen wollte, empfahl
in Aufsehen erregenden Artikeln die Mädchenerziehung

Jetzt erſt, wo der Miſſionsapparat im ganzen fertig
war, hatte man die Hände frei zu ausgedehnter Pro-
pagandaarbeit.

Dazu hatte ſich die Stimmung für das Chriſtentum
von Jahr zu Jahr gehoben, und Ende der achtziger
Jahre erreichte dieſelbe eine Höhe, daß man von einer
Chriſtianiſierung des ganzen Volkes in fünfundzwanzig
Jahren zu fabeln begann. Die Gewaltthätigkeiten gegen
die Chriſten verloren ſich mehr und mehr und ſelbſt
Beamte durften ungehindert zum Chriſtentum über-
treten. Schon 1881 hatte der Kaiſer die Einführung
einer konſtitutionellen Verfaſſung in Ausſicht geſtellt,
und als 1883 Ito, welcher zum Studium des euro-
päiſchen Verfaſſungsweſens den Weſten bereiſt hatte,
nach Japan zurückkehrte, war er von der Notwendigkeit
einer durch die Verfaſſung verbürgten unbedingten
Religionsfreiheit überzeugt, und die übrigen Glieder der
Regierung dachten nicht anders. Als 1888 Niſhima
einen Aufruf zu Geldbeiträgen erließ, um mittels der-
ſelben die Doſhiſha zu dem Range einer, wie er aus-
drücklich bemerkte, chriſtlichen Univerſität zu erheben,
erhielt er aus heidniſchen und religionsloſen Regierungs-
und Finanzkreiſen große Summen. Thatſächlich ſind die
damals geſammelten 70000 Yen (1 Yen = 2—2,50 Mk.)
nur zu einem ſehr kleinen Teile von den faſt durchweg
unbemittelten Chriſten aufgebracht worden. Auch zu
andern chriſtlichen Schulen und Werken chriſtlicher Liebes-
thätigkeit wurden von hohen Beamten und Kaufleuten
nicht ſelten große Beiträge geleiſtet. In der guten
Geſellſchaft wurde es Mode, ſeine Töchter in die
Miſſionsſchulen zu ſchicken, und der Profeſſor Toyama,
der ſelbſt vom Chriſtentum nichts wiſſen wollte, empfahl
in Aufſehen erregenden Artikeln die Mädchenerziehung

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[278/0292] Jetzt erſt, wo der Miſſionsapparat im ganzen fertig war, hatte man die Hände frei zu ausgedehnter Pro- pagandaarbeit. Dazu hatte ſich die Stimmung für das Chriſtentum von Jahr zu Jahr gehoben, und Ende der achtziger Jahre erreichte dieſelbe eine Höhe, daß man von einer Chriſtianiſierung des ganzen Volkes in fünfundzwanzig Jahren zu fabeln begann. Die Gewaltthätigkeiten gegen die Chriſten verloren ſich mehr und mehr und ſelbſt Beamte durften ungehindert zum Chriſtentum über- treten. Schon 1881 hatte der Kaiſer die Einführung einer konſtitutionellen Verfaſſung in Ausſicht geſtellt, und als 1883 Ito, welcher zum Studium des euro- päiſchen Verfaſſungsweſens den Weſten bereiſt hatte, nach Japan zurückkehrte, war er von der Notwendigkeit einer durch die Verfaſſung verbürgten unbedingten Religionsfreiheit überzeugt, und die übrigen Glieder der Regierung dachten nicht anders. Als 1888 Niſhima einen Aufruf zu Geldbeiträgen erließ, um mittels der- ſelben die Doſhiſha zu dem Range einer, wie er aus- drücklich bemerkte, chriſtlichen Univerſität zu erheben, erhielt er aus heidniſchen und religionsloſen Regierungs- und Finanzkreiſen große Summen. Thatſächlich ſind die damals geſammelten 70000 Yen (1 Yen = 2—2,50 Mk.) nur zu einem ſehr kleinen Teile von den faſt durchweg unbemittelten Chriſten aufgebracht worden. Auch zu andern chriſtlichen Schulen und Werken chriſtlicher Liebes- thätigkeit wurden von hohen Beamten und Kaufleuten nicht ſelten große Beiträge geleiſtet. In der guten Geſellſchaft wurde es Mode, ſeine Töchter in die Miſſionsſchulen zu ſchicken, und der Profeſſor Toyama, der ſelbſt vom Chriſtentum nichts wiſſen wollte, empfahl in Aufſehen erregenden Artikeln die Mädchenerziehung

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Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 278. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/292>, abgerufen am 23.11.2024.