Allgemeine Zeitung, Nr. 44, 31. Oktober 1914.31. Oktober 1914. Allgemeine Zeitung [Spaltenumbruch]
eines Teiles der schweizerischen Presse, die sich ja häufig genugwiederholt haben -- alles das gräbt sich in der Erinnerung ein und macht sich eines Tages als Rückwirkung fühlbar. Das möchte bedacht werden! Stelle man sich einmal eine "Saison" ohne deut- sches Publikum vor! Das wäre zunächst ein Schnitt ins eigene Fleisch! Soll sich die Schweiz von einer Handvoll landesfeindlicher Schweizer Volk, denke nach! Es handelt sich um deine Einigkeit, die allein stark macht! Planegg bei München, Oktober 1914. Stephana Schwertner.1) Die bekannte österreichische Romanschriftstellerin Enrica v. Han- Wieder sind die Glaubenskämpfe zwischen Katholiken und Prote- Der ganze Roman ist in einem archaisierenden Deutsch geschrie- 1) Stephana Schwertner, ein Stehrer Roman von E. von Handel-Mazzetti. Verlag der J. Köselschen Buchhandlung, Kempten und München 1914. Erster Teil: Unter dem Richter von Steyr, geh. 4 M. Zweiter Teil: Das Geheimnis des Königs, geh. 3.50 M. Dritter Teil- Jungfrau und Marthrin, geh. 5 M. 2) So sinde ich z. B. im Abendblatt der Wiener "Neuen Freien Presse"
vom 20. Oktober zwei Stellen, die das oben Gesagte heiter illustrieren. Die eine steht in dem Bericht über den Prozeß Princip, in der Schilderung jener unseligen letzten Fahrt des Thronfolgerpaares in Serajewo: "Das zweite Auto machte jedoch bald halt und über Erkundigung erfuhr man, daß der Adjutant des Zeugen, Oberstleutnant v. Merizzi, von einem Bomben- splitter leicht verletzt worden war." -- Die andere in derselben Nummer betrisst den lieblichen Gebrauch des Wortes "nach" statt des einfachen Genetios und lautet: "Frau Jenny Kohler, Witwe nach unserem Kollegen Karl Felix Kohler, hatte gestern abend bei der Großmarkthalle das Unglück zu stürzen" usw. 31. Oktober 1914. Allgemeine Zeitung [Spaltenumbruch]
eines Teiles der ſchweizeriſchen Preſſe, die ſich ja häufig genugwiederholt haben — alles das gräbt ſich in der Erinnerung ein und macht ſich eines Tages als Rückwirkung fühlbar. Das möchte bedacht werden! Stelle man ſich einmal eine „Saiſon“ ohne deut- ſches Publikum vor! Das wäre zunächſt ein Schnitt ins eigene Fleiſch! Soll ſich die Schweiz von einer Handvoll landesfeindlicher Schweizer Volk, denke nach! Es handelt ſich um deine Einigkeit, die allein ſtark macht! Planegg bei München, Oktober 1914. Stephana Schwertner.1) Die bekannte öſterreichiſche Romanſchriftſtellerin Enrica v. Han- Wieder ſind die Glaubenskämpfe zwiſchen Katholiken und Prote- Der ganze Roman iſt in einem archaiſierenden Deutſch geſchrie- 1) Stephana Schwertner, ein Stehrer Roman von E. von Handel-Mazzetti. Verlag der J. Köſelſchen Buchhandlung, Kempten und München 1914. Erſter Teil: Unter dem Richter von Steyr, geh. 4 M. Zweiter Teil: Das Geheimnis des Königs, geh. 3.50 M. Dritter Teil- Jungfrau und Marthrin, geh. 5 M. 2) So ſinde ich z. B. im Abendblatt der Wiener „Neuen Freien Preſſe“
vom 20. Oktober zwei Stellen, die das oben Geſagte heiter illuſtrieren. Die eine ſteht in dem Bericht über den Prozeß Princip, in der Schilderung jener unſeligen letzten Fahrt des Thronfolgerpaares in Serajewo: „Das zweite Auto machte jedoch bald halt und über Erkundigung erfuhr man, daß der Adjutant des Zeugen, Oberſtleutnant v. Merizzi, von einem Bomben- ſplitter leicht verletzt worden war.“ — Die andere in derſelben Nummer betriſſt den lieblichen Gebrauch des Wortes „nach“ ſtatt des einfachen Genetios und lautet: „Frau Jenny Kohler, Witwe nach unſerem Kollegen Karl Felix Kohler, hatte geſtern abend bei der Großmarkthalle das Unglück zu ſtürzen“ uſw. <TEI> <text> <body> <div type="jCulturalNews" n="1"> <div type="jComment" n="2"> <p><pb facs="#f0009" n="641"/><fw place="top" type="header">31. Oktober 1914. <hi rendition="#b">Allgemeine Zeitung</hi></fw><lb/><cb/> eines Teiles der ſchweizeriſchen Preſſe, die ſich ja häufig genug<lb/> wiederholt haben — alles das gräbt ſich in der Erinnerung ein<lb/> und macht ſich eines Tages als Rückwirkung fühlbar. Das möchte<lb/> bedacht werden! Stelle man ſich einmal eine „Saiſon“ ohne deut-<lb/> ſches Publikum vor! Das wäre zunächſt ein Schnitt ins eigene<lb/> Fleiſch!</p><lb/> <p>Soll ſich die Schweiz von einer Handvoll landesfeindlicher<lb/> Leute um ihren guten Ruf bringen laſſen, wichtige Lebensfragen<lb/> aufs Spiel ſetzen? Die Sache iſt der Erwägung wohl wert, ehe<lb/> man durch Schaden klug werden muß.</p><lb/> <p>Schweizer Volk, denke nach!</p><lb/> <p>Es handelt ſich um deine Einigkeit, die allein ſtark macht!<lb/> Leicht geht ſie unwiederbringlich verloren. Soll ſie unklaren<lb/> Köpfen, bewußt zerſtörend wirkenden Elementen ausgeliefert wer-<lb/> den? Sieht man nicht an Belgien, wie ein kleines Land, auf-<lb/> geſtachelt, zu den ſchwerſten Opfern unter lügenhaften Vorſtellun-<lb/> gen durch ſeine Freunde gezwungen und dann, niedergerungen,<lb/> ſeinem Schickſal überlaſſen ward! Den Briten wie den übrigen<lb/> Hetzern treibt kein Schamgefühl mehr das Blut in die Wangen<lb/> bei der Nennung des Wortes „Antwerpen“. Sie kennen den<lb/> Ausdruck „<hi rendition="#aq">To be ashamed</hi>“ nicht mehr. Wir kennen ihn hoffent-<lb/> lich alle! Gegebenenfalls hätte die Schweiz von dieſen Mächten<lb/> nichts anderes zu erwarten! Falſche Propheten ſtreben ſolches<lb/> an! Drum weiſt ſie dahin, wo ſie hingehören. Im Leben der<lb/> Völker entſtehen wie im perſönlichen Verkehr durch Leichtſinn und<lb/> Unüberlegtheit wie durch böſen Willen oft Riſſe, die nie wieder<lb/> verharſchen. Unſere Tage ſehen das in fürchterlicher Weiſe ſich<lb/> vollziehen. Davor ſchütze dich der Scharfblick unbeugſam rechtlich<lb/> denkender, unbeſtechlich handelnder Leiter und — ein gütig<lb/> Schickſal, mein Heimatland!</p><lb/> <p>Planegg bei München, Oktober 1914.</p><lb/> <byline><hi rendition="#g">Berlepſch-Valend<hi rendition="#aq">à</hi>s</hi>, B. D. A.</byline> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div type="jComment" n="2"> <head> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#b">Stephana Schwertner.</hi> </hi> <note place="foot" n="1)"><hi rendition="#g">Stephana Schwertner,</hi> ein Stehrer Roman von E. <hi rendition="#g">von<lb/> Handel-Mazzetti.</hi> Verlag der J. Köſelſchen Buchhandlung, Kempten<lb/> und München 1914. Erſter Teil: <hi rendition="#g">Unter dem Richter von Steyr,</hi><lb/> geh. 4 M. Zweiter Teil: <hi rendition="#g">Das Geheimnis des Königs,</hi> geh.<lb/> 3.50 M. Dritter Teil- <hi rendition="#g">Jungfrau und Marthrin,</hi> geh. 5 M.</note> </head><lb/> <p>Die bekannte öſterreichiſche Romanſchriftſtellerin Enrica v. <hi rendition="#g">Han-<lb/> del-Mazzetti</hi> hat unlängſt den Ebner-Eſchenbach-Preis erhal-<lb/> ten. Ich weiß nicht, ob für dieſen ihren letzten Roman „Stephana<lb/> Schwertner“. Jedenfalls aber las man, daß ſie ihn mit Zuſtimmung<lb/> der Stifterin, der ehrwürdigen hochgefeierten Seniorin der deutſchen<lb/> Schriftſtellerwelt Marie v. Ebner-Eſchenbach, erhalten hat, die ja<lb/> ſchon nach den erſten Aufſehen erregenden Romanen der Handel-<lb/> Mazzetti vor ihr eine tiefe Reverenz gemacht hat, die ihre eigene<lb/> Beſcheidenheit noch mehr ehrt, als die jüngere Kollegin. Vielleicht<lb/> verſtehen ſich dieſe beiden Frauen ſo gut, weil ſie ſich ſo unähnlich<lb/> ſind. Die Ebner-Eſchenbach iſt die ungleich univerſellere, die Handel-<lb/> Mazzetti dagegen iſt auf ihrem engen Gebiete geradezu eine Virtuo-<lb/> ſin der Variation. Auch ihr neuer Roman ſpielt wieder in der<lb/> Stadt Steyr, die ſie ſelbſt erſt kürzlich verlaſſen hat, um nach Linz<lb/> zu ziehen.</p><lb/> <p>Wieder ſind die Glaubenskämpfe zwiſchen Katholiken und Prote-<lb/> ſtanten der ſtürmiſch bewegte Inhalt des Buches, das diesmal ein<lb/> großer dreibändiger Roman geworden iſt von einem Umfang, wie<lb/> er heute längſt nicht mehr Mode iſt. Und doch wird er geleſen wer-<lb/> den, denn wer die erſten Seiten geleſen hat, den läßt die Geſchichte<lb/> nicht mehr los. Die Handel-Mazzetti verſteht die Kunſt ſelbſt den<lb/> widerwilligſten Leſer zu packen und ihn durch eine atemverſetzende<lb/> Handlung von dramatiſcher Gewalt bis zum Schluſſe zu feſſeln. Auch<lb/> hier frappiert uns an der katholiſchen Schriftſtellerin anfangs wieder<lb/> die ſcheinbare Objektivität, mit der ſie Licht und Schatten nach beiden<lb/> Seiten gleichmäßig verteilt. Dann wendet ſich allerdings das Blatt;<lb/> die katholiſche Tendenz tritt noch deutlicher als bei den früheren<lb/> Romanen zutage, und das Ganze ſchließt mit einem großartigen<lb/> inneren und äußeren Triumph der katholiſchen Kirche. Der Roman<lb/> beginnt mit dem Jahre 1615, mit der Wahl Händels zum Richter<lb/> von Steyr, und er ſpielt zum größten Teile in Steyr ſelbſt mit Aus-<lb/> nahme einer beſonders lebensvoll gezeichneten Epiſode am Hofe des<lb/><cb/> Kaiſers Mathias in Wien, wo wir auch dem Biſchof Kleſel begegnen,<lb/> der uns aus Grillparzers „Bruderzwiſt in Habsburg“ ſo gut bekannt<lb/> iſt. Die Handel-Mazzetti zeichnet ihn nicht um ein Haar ſympati-<lb/> ſcher als Grillparzer. Wir würden ein paar Spalten brauchen, um<lb/> die wildbewegte Handlung des Romans zu erzählen. Es iſt dies<lb/> aber auch gar nicht notwendig, es muß uns genügen feſtzuſtellen,<lb/> daß auch der neue Roman der Handel-Mazzetti alle ihre großen<lb/> Vorzüge und ihre kleinen charakteriſtiſchen Schwächen aufweiſt, die<lb/> wir ſchon aus den früheren Werken der Verfaſſerin kennen, viel-<lb/> leicht im verſtärkten Grade.</p><lb/> <p>Der ganze Roman iſt in einem archaiſierenden Deutſch geſchrie-<lb/> ben, bei dem die Kontrolle auf deſſen Richtigkeit glatt unmöglich iſt;<lb/> man müßte denn vielleicht jene alte Chronik von Steyr beſitzen, aus<lb/> der die Dichterin wie man hört, alle ihre Stoffe ſchöpft und die ſtets<lb/> auf ihrem Schreibtiſche liegt. Alle Sprachen geben ſich in dieſem<lb/> Deutſch ein Rendezvous: Franzöſiſch, Italieniſch, Spaniſch, Unga-<lb/> riſch; vor allem aber gibt es halbe Seiten lang altfranzöſiſchen und<lb/> lateiniſchen Text: erſteren aus kalviniſchen Büchern, letzteren meiſt<lb/> der katholiſchen Liturgie entnommen. Unſereins wird ja mit derlei<lb/> zur Not fertig, aber unſere Damen werden ſich dabei hart tun,<lb/> denn die Handel-Mazzetti gibt grundſätzlich keine Ueberſetzung bei<lb/> derartigen Auszügen. Zu dieſem Sprachengemiſch, das ja aller-<lb/> dings in jener Zeit vorlag, kommt nun der altſteyriſche Dialekt, der<lb/> durch das ganze Buch geht. Für den norddeutſchen Leſer ſtelle ich<lb/> mir die Lektüre dieſes Romans als faſt unmöglich, mindeſtens über-<lb/> aus hinderlich vor. Doch iſt der erſte Band zuerſt in Rodenbergs<lb/> „Deutſcher Rundſchau“ erſchienen. Die Fortſetzung konnte die Dich-<lb/> terin damals nicht rechtzeitig fertig bringen, und Rodenberg brach<lb/> die Veröffentlichung darauf einfach mit dem Abdruck des Entſchuldi-<lb/> gungsſchreibens der Handel-Mazzetti ab. Dieſer nun als Buch vor-<lb/> liegende erſte Band iſt der druckfehlerfreieſte, die beiden anderen<lb/> haben aber ſo viele Druckfehler, daß der Verlag ſich veranlaßt ſah,<lb/> jedem ein eigenes Druckfehler-Verzeichnis beizugeben. Aber auch<lb/> dieſes enthält nicht alle, denn wir haben noch manch Unkorrigiertes<lb/> gefunden. Auch an jenem gräßlichen Oeſterreichiſch-Deutſch fehlt es<lb/> nicht ganz, das dort bei den Behörden und in den Zeitungen<note place="foot" n="2)">So ſinde ich z. B. im Abendblatt der Wiener „Neuen Freien Preſſe“<lb/> vom 20. Oktober zwei Stellen, die das oben Geſagte heiter illuſtrieren.<lb/> Die eine ſteht in dem Bericht über den Prozeß Princip, in der Schilderung<lb/> jener unſeligen letzten Fahrt des Thronfolgerpaares in Serajewo: „Das<lb/> zweite Auto machte jedoch bald halt und <hi rendition="#g">über</hi> Erkundigung erfuhr man,<lb/> daß der Adjutant des Zeugen, Oberſtleutnant v. Merizzi, von einem Bomben-<lb/> ſplitter leicht verletzt worden war.“ — Die andere in derſelben Nummer<lb/> betriſſt den lieblichen Gebrauch des Wortes „nach“ ſtatt des einfachen<lb/> Genetios und lautet: „Frau Jenny Kohler, Witwe <hi rendition="#g">nach</hi> unſerem Kollegen<lb/> Karl Felix Kohler, hatte geſtern abend bei der Großmarkthalle das Unglück<lb/> zu ſtürzen“ uſw.</note> üblich<lb/> iſt: auch Handel-Mazzetti ſchreibt: „Ueber Befehl des Richters“ ſtatt<lb/> „Auf Befehl“, und auch ihr iſt der Unterſchied zwiſchen „ſcheinbar“<lb/> und „anſcheinend“ noch nicht aufgegangen: eine Verarmung der<lb/> Sprache, die ja freilich auch bei uns im Reiche leider üblich gewor-<lb/> den iſt. Echt weibliche Romanmanier iſt es, wenn es z. B. (<hi rendition="#aq">III,</hi> 30)<lb/> heißt: „Aber ja! ſchritt er, ohne ihren glänzenden Blick aufzufangen<lb/> oder zu erwidern, an ſeinen Platz zurück“. Dieſelben Lieblingsver-<lb/> gleiche kehren immer wieder, wenn die Verfaſſerin auf die körper-<lb/> lichen Vorzüge ihres Helden oder ihrer Heldin zu ſprechen kommt.<lb/> Ihr Lieblingswort aber in dieſen Roman iſt das Wort „reiſen“, in<lb/> der alten Bedeutung für gehen, ſich bewegen. In der „Stephana<lb/> Schwertner“ reiſt alles, nicht nur die Menſchen, ſondern auch der<lb/> Sonnenſtrahl, oder das auf dem Boden geworfene Schwert. Ich<lb/> fürchte überhaupt, dieſer, auch wo es nicht notwendig iſt, eigenſinnig<lb/> feſtgehaltene archaiſierende Ton wird der Verbreitung des Romans<lb/> hinderlich ſein. Aber ich kann mich täuſchen: die Romane der Han-<lb/> del-Mazzetti haben, und zwar nach Verdienſt, ein großes und ſicheres<lb/> Publikum. Der erſte Band weiſt in ſeiner Auflage ſchon das zwölfte<lb/> bis ſiebzehnte Tauſend auf. Dies freilich kurz vor Ausbruch des<lb/> Krieges, welcher der Romanlektüre im allgemeinen kaum zuträglich<lb/> ſein wird. „Stephana Schwertner“ aber darf ſelbſt als Kriegslek-<lb/> türe paſſieren, denn der Roman ſpielt ja auch in einer kriegeriſchen,<lb/> zerriſſenen Zeit, und Kampf und Tod, Leben und Erlöſung iſt ihre<lb/> Loſung.</p><lb/> <byline> <hi rendition="#g">Alfred Frhr. v. Menſi.</hi> </byline><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [641/0009]
31. Oktober 1914. Allgemeine Zeitung
eines Teiles der ſchweizeriſchen Preſſe, die ſich ja häufig genug
wiederholt haben — alles das gräbt ſich in der Erinnerung ein
und macht ſich eines Tages als Rückwirkung fühlbar. Das möchte
bedacht werden! Stelle man ſich einmal eine „Saiſon“ ohne deut-
ſches Publikum vor! Das wäre zunächſt ein Schnitt ins eigene
Fleiſch!
Soll ſich die Schweiz von einer Handvoll landesfeindlicher
Leute um ihren guten Ruf bringen laſſen, wichtige Lebensfragen
aufs Spiel ſetzen? Die Sache iſt der Erwägung wohl wert, ehe
man durch Schaden klug werden muß.
Schweizer Volk, denke nach!
Es handelt ſich um deine Einigkeit, die allein ſtark macht!
Leicht geht ſie unwiederbringlich verloren. Soll ſie unklaren
Köpfen, bewußt zerſtörend wirkenden Elementen ausgeliefert wer-
den? Sieht man nicht an Belgien, wie ein kleines Land, auf-
geſtachelt, zu den ſchwerſten Opfern unter lügenhaften Vorſtellun-
gen durch ſeine Freunde gezwungen und dann, niedergerungen,
ſeinem Schickſal überlaſſen ward! Den Briten wie den übrigen
Hetzern treibt kein Schamgefühl mehr das Blut in die Wangen
bei der Nennung des Wortes „Antwerpen“. Sie kennen den
Ausdruck „To be ashamed“ nicht mehr. Wir kennen ihn hoffent-
lich alle! Gegebenenfalls hätte die Schweiz von dieſen Mächten
nichts anderes zu erwarten! Falſche Propheten ſtreben ſolches
an! Drum weiſt ſie dahin, wo ſie hingehören. Im Leben der
Völker entſtehen wie im perſönlichen Verkehr durch Leichtſinn und
Unüberlegtheit wie durch böſen Willen oft Riſſe, die nie wieder
verharſchen. Unſere Tage ſehen das in fürchterlicher Weiſe ſich
vollziehen. Davor ſchütze dich der Scharfblick unbeugſam rechtlich
denkender, unbeſtechlich handelnder Leiter und — ein gütig
Schickſal, mein Heimatland!
Planegg bei München, Oktober 1914.
Berlepſch-Valendàs, B. D. A.
Stephana Schwertner. 1)
Die bekannte öſterreichiſche Romanſchriftſtellerin Enrica v. Han-
del-Mazzetti hat unlängſt den Ebner-Eſchenbach-Preis erhal-
ten. Ich weiß nicht, ob für dieſen ihren letzten Roman „Stephana
Schwertner“. Jedenfalls aber las man, daß ſie ihn mit Zuſtimmung
der Stifterin, der ehrwürdigen hochgefeierten Seniorin der deutſchen
Schriftſtellerwelt Marie v. Ebner-Eſchenbach, erhalten hat, die ja
ſchon nach den erſten Aufſehen erregenden Romanen der Handel-
Mazzetti vor ihr eine tiefe Reverenz gemacht hat, die ihre eigene
Beſcheidenheit noch mehr ehrt, als die jüngere Kollegin. Vielleicht
verſtehen ſich dieſe beiden Frauen ſo gut, weil ſie ſich ſo unähnlich
ſind. Die Ebner-Eſchenbach iſt die ungleich univerſellere, die Handel-
Mazzetti dagegen iſt auf ihrem engen Gebiete geradezu eine Virtuo-
ſin der Variation. Auch ihr neuer Roman ſpielt wieder in der
Stadt Steyr, die ſie ſelbſt erſt kürzlich verlaſſen hat, um nach Linz
zu ziehen.
Wieder ſind die Glaubenskämpfe zwiſchen Katholiken und Prote-
ſtanten der ſtürmiſch bewegte Inhalt des Buches, das diesmal ein
großer dreibändiger Roman geworden iſt von einem Umfang, wie
er heute längſt nicht mehr Mode iſt. Und doch wird er geleſen wer-
den, denn wer die erſten Seiten geleſen hat, den läßt die Geſchichte
nicht mehr los. Die Handel-Mazzetti verſteht die Kunſt ſelbſt den
widerwilligſten Leſer zu packen und ihn durch eine atemverſetzende
Handlung von dramatiſcher Gewalt bis zum Schluſſe zu feſſeln. Auch
hier frappiert uns an der katholiſchen Schriftſtellerin anfangs wieder
die ſcheinbare Objektivität, mit der ſie Licht und Schatten nach beiden
Seiten gleichmäßig verteilt. Dann wendet ſich allerdings das Blatt;
die katholiſche Tendenz tritt noch deutlicher als bei den früheren
Romanen zutage, und das Ganze ſchließt mit einem großartigen
inneren und äußeren Triumph der katholiſchen Kirche. Der Roman
beginnt mit dem Jahre 1615, mit der Wahl Händels zum Richter
von Steyr, und er ſpielt zum größten Teile in Steyr ſelbſt mit Aus-
nahme einer beſonders lebensvoll gezeichneten Epiſode am Hofe des
Kaiſers Mathias in Wien, wo wir auch dem Biſchof Kleſel begegnen,
der uns aus Grillparzers „Bruderzwiſt in Habsburg“ ſo gut bekannt
iſt. Die Handel-Mazzetti zeichnet ihn nicht um ein Haar ſympati-
ſcher als Grillparzer. Wir würden ein paar Spalten brauchen, um
die wildbewegte Handlung des Romans zu erzählen. Es iſt dies
aber auch gar nicht notwendig, es muß uns genügen feſtzuſtellen,
daß auch der neue Roman der Handel-Mazzetti alle ihre großen
Vorzüge und ihre kleinen charakteriſtiſchen Schwächen aufweiſt, die
wir ſchon aus den früheren Werken der Verfaſſerin kennen, viel-
leicht im verſtärkten Grade.
Der ganze Roman iſt in einem archaiſierenden Deutſch geſchrie-
ben, bei dem die Kontrolle auf deſſen Richtigkeit glatt unmöglich iſt;
man müßte denn vielleicht jene alte Chronik von Steyr beſitzen, aus
der die Dichterin wie man hört, alle ihre Stoffe ſchöpft und die ſtets
auf ihrem Schreibtiſche liegt. Alle Sprachen geben ſich in dieſem
Deutſch ein Rendezvous: Franzöſiſch, Italieniſch, Spaniſch, Unga-
riſch; vor allem aber gibt es halbe Seiten lang altfranzöſiſchen und
lateiniſchen Text: erſteren aus kalviniſchen Büchern, letzteren meiſt
der katholiſchen Liturgie entnommen. Unſereins wird ja mit derlei
zur Not fertig, aber unſere Damen werden ſich dabei hart tun,
denn die Handel-Mazzetti gibt grundſätzlich keine Ueberſetzung bei
derartigen Auszügen. Zu dieſem Sprachengemiſch, das ja aller-
dings in jener Zeit vorlag, kommt nun der altſteyriſche Dialekt, der
durch das ganze Buch geht. Für den norddeutſchen Leſer ſtelle ich
mir die Lektüre dieſes Romans als faſt unmöglich, mindeſtens über-
aus hinderlich vor. Doch iſt der erſte Band zuerſt in Rodenbergs
„Deutſcher Rundſchau“ erſchienen. Die Fortſetzung konnte die Dich-
terin damals nicht rechtzeitig fertig bringen, und Rodenberg brach
die Veröffentlichung darauf einfach mit dem Abdruck des Entſchuldi-
gungsſchreibens der Handel-Mazzetti ab. Dieſer nun als Buch vor-
liegende erſte Band iſt der druckfehlerfreieſte, die beiden anderen
haben aber ſo viele Druckfehler, daß der Verlag ſich veranlaßt ſah,
jedem ein eigenes Druckfehler-Verzeichnis beizugeben. Aber auch
dieſes enthält nicht alle, denn wir haben noch manch Unkorrigiertes
gefunden. Auch an jenem gräßlichen Oeſterreichiſch-Deutſch fehlt es
nicht ganz, das dort bei den Behörden und in den Zeitungen 2) üblich
iſt: auch Handel-Mazzetti ſchreibt: „Ueber Befehl des Richters“ ſtatt
„Auf Befehl“, und auch ihr iſt der Unterſchied zwiſchen „ſcheinbar“
und „anſcheinend“ noch nicht aufgegangen: eine Verarmung der
Sprache, die ja freilich auch bei uns im Reiche leider üblich gewor-
den iſt. Echt weibliche Romanmanier iſt es, wenn es z. B. (III, 30)
heißt: „Aber ja! ſchritt er, ohne ihren glänzenden Blick aufzufangen
oder zu erwidern, an ſeinen Platz zurück“. Dieſelben Lieblingsver-
gleiche kehren immer wieder, wenn die Verfaſſerin auf die körper-
lichen Vorzüge ihres Helden oder ihrer Heldin zu ſprechen kommt.
Ihr Lieblingswort aber in dieſen Roman iſt das Wort „reiſen“, in
der alten Bedeutung für gehen, ſich bewegen. In der „Stephana
Schwertner“ reiſt alles, nicht nur die Menſchen, ſondern auch der
Sonnenſtrahl, oder das auf dem Boden geworfene Schwert. Ich
fürchte überhaupt, dieſer, auch wo es nicht notwendig iſt, eigenſinnig
feſtgehaltene archaiſierende Ton wird der Verbreitung des Romans
hinderlich ſein. Aber ich kann mich täuſchen: die Romane der Han-
del-Mazzetti haben, und zwar nach Verdienſt, ein großes und ſicheres
Publikum. Der erſte Band weiſt in ſeiner Auflage ſchon das zwölfte
bis ſiebzehnte Tauſend auf. Dies freilich kurz vor Ausbruch des
Krieges, welcher der Romanlektüre im allgemeinen kaum zuträglich
ſein wird. „Stephana Schwertner“ aber darf ſelbſt als Kriegslek-
türe paſſieren, denn der Roman ſpielt ja auch in einer kriegeriſchen,
zerriſſenen Zeit, und Kampf und Tod, Leben und Erlöſung iſt ihre
Loſung.
Alfred Frhr. v. Menſi.
1) Stephana Schwertner, ein Stehrer Roman von E. von
Handel-Mazzetti. Verlag der J. Köſelſchen Buchhandlung, Kempten
und München 1914. Erſter Teil: Unter dem Richter von Steyr,
geh. 4 M. Zweiter Teil: Das Geheimnis des Königs, geh.
3.50 M. Dritter Teil- Jungfrau und Marthrin, geh. 5 M.
2) So ſinde ich z. B. im Abendblatt der Wiener „Neuen Freien Preſſe“
vom 20. Oktober zwei Stellen, die das oben Geſagte heiter illuſtrieren.
Die eine ſteht in dem Bericht über den Prozeß Princip, in der Schilderung
jener unſeligen letzten Fahrt des Thronfolgerpaares in Serajewo: „Das
zweite Auto machte jedoch bald halt und über Erkundigung erfuhr man,
daß der Adjutant des Zeugen, Oberſtleutnant v. Merizzi, von einem Bomben-
ſplitter leicht verletzt worden war.“ — Die andere in derſelben Nummer
betriſſt den lieblichen Gebrauch des Wortes „nach“ ſtatt des einfachen
Genetios und lautet: „Frau Jenny Kohler, Witwe nach unſerem Kollegen
Karl Felix Kohler, hatte geſtern abend bei der Großmarkthalle das Unglück
zu ſtürzen“ uſw.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription.
(2023-04-27T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |