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Allgemeine Zeitung, Nr. 44, 31. Oktober 1914.

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31. Oktober 1914. Allgemeine Zeitung
[Spaltenumbruch] eines Teiles der schweizerischen Presse, die sich ja häufig genug
wiederholt haben -- alles das gräbt sich in der Erinnerung ein
und macht sich eines Tages als Rückwirkung fühlbar. Das möchte
bedacht werden! Stelle man sich einmal eine "Saison" ohne deut-
sches Publikum vor! Das wäre zunächst ein Schnitt ins eigene
Fleisch!

Soll sich die Schweiz von einer Handvoll landesfeindlicher
Leute um ihren guten Ruf bringen lassen, wichtige Lebensfragen
aufs Spiel setzen? Die Sache ist der Erwägung wohl wert, ehe
man durch Schaden klug werden muß.

Schweizer Volk, denke nach!

Es handelt sich um deine Einigkeit, die allein stark macht!
Leicht geht sie unwiederbringlich verloren. Soll sie unklaren
Köpfen, bewußt zerstörend wirkenden Elementen ausgeliefert wer-
den? Sieht man nicht an Belgien, wie ein kleines Land, auf-
gestachelt, zu den schwersten Opfern unter lügenhaften Vorstellun-
gen durch seine Freunde gezwungen und dann, niedergerungen,
seinem Schicksal überlassen ward! Den Briten wie den übrigen
Hetzern treibt kein Schamgefühl mehr das Blut in die Wangen
bei der Nennung des Wortes "Antwerpen". Sie kennen den
Ausdruck "To be ashamed" nicht mehr. Wir kennen ihn hoffent-
lich alle! Gegebenenfalls hätte die Schweiz von diesen Mächten
nichts anderes zu erwarten! Falsche Propheten streben solches
an! Drum weist sie dahin, wo sie hingehören. Im Leben der
Völker entstehen wie im persönlichen Verkehr durch Leichtsinn und
Unüberlegtheit wie durch bösen Willen oft Risse, die nie wieder
verharschen. Unsere Tage sehen das in fürchterlicher Weise sich
vollziehen. Davor schütze dich der Scharfblick unbeugsam rechtlich
denkender, unbestechlich handelnder Leiter und -- ein gütig
Schicksal, mein Heimatland!

Planegg bei München, Oktober 1914.



Stephana Schwertner.1)

Die bekannte österreichische Romanschriftstellerin Enrica v. Han-
del-Mazzetti
hat unlängst den Ebner-Eschenbach-Preis erhal-
ten. Ich weiß nicht, ob für diesen ihren letzten Roman "Stephana
Schwertner". Jedenfalls aber las man, daß sie ihn mit Zustimmung
der Stifterin, der ehrwürdigen hochgefeierten Seniorin der deutschen
Schriftstellerwelt Marie v. Ebner-Eschenbach, erhalten hat, die ja
schon nach den ersten Aufsehen erregenden Romanen der Handel-
Mazzetti vor ihr eine tiefe Reverenz gemacht hat, die ihre eigene
Bescheidenheit noch mehr ehrt, als die jüngere Kollegin. Vielleicht
verstehen sich diese beiden Frauen so gut, weil sie sich so unähnlich
sind. Die Ebner-Eschenbach ist die ungleich universellere, die Handel-
Mazzetti dagegen ist auf ihrem engen Gebiete geradezu eine Virtuo-
sin der Variation. Auch ihr neuer Roman spielt wieder in der
Stadt Steyr, die sie selbst erst kürzlich verlassen hat, um nach Linz
zu ziehen.

Wieder sind die Glaubenskämpfe zwischen Katholiken und Prote-
stanten der stürmisch bewegte Inhalt des Buches, das diesmal ein
großer dreibändiger Roman geworden ist von einem Umfang, wie
er heute längst nicht mehr Mode ist. Und doch wird er gelesen wer-
den, denn wer die ersten Seiten gelesen hat, den läßt die Geschichte
nicht mehr los. Die Handel-Mazzetti versteht die Kunst selbst den
widerwilligsten Leser zu packen und ihn durch eine atemversetzende
Handlung von dramatischer Gewalt bis zum Schlusse zu fesseln. Auch
hier frappiert uns an der katholischen Schriftstellerin anfangs wieder
die scheinbare Objektivität, mit der sie Licht und Schatten nach beiden
Seiten gleichmäßig verteilt. Dann wendet sich allerdings das Blatt;
die katholische Tendenz tritt noch deutlicher als bei den früheren
Romanen zutage, und das Ganze schließt mit einem großartigen
inneren und äußeren Triumph der katholischen Kirche. Der Roman
beginnt mit dem Jahre 1615, mit der Wahl Händels zum Richter
von Steyr, und er spielt zum größten Teile in Steyr selbst mit Aus-
nahme einer besonders lebensvoll gezeichneten Episode am Hofe des
[Spaltenumbruch] Kaisers Mathias in Wien, wo wir auch dem Bischof Klesel begegnen,
der uns aus Grillparzers "Bruderzwist in Habsburg" so gut bekannt
ist. Die Handel-Mazzetti zeichnet ihn nicht um ein Haar sympati-
scher als Grillparzer. Wir würden ein paar Spalten brauchen, um
die wildbewegte Handlung des Romans zu erzählen. Es ist dies
aber auch gar nicht notwendig, es muß uns genügen festzustellen,
daß auch der neue Roman der Handel-Mazzetti alle ihre großen
Vorzüge und ihre kleinen charakteristischen Schwächen aufweist, die
wir schon aus den früheren Werken der Verfasserin kennen, viel-
leicht im verstärkten Grade.

Der ganze Roman ist in einem archaisierenden Deutsch geschrie-
ben, bei dem die Kontrolle auf dessen Richtigkeit glatt unmöglich ist;
man müßte denn vielleicht jene alte Chronik von Steyr besitzen, aus
der die Dichterin wie man hört, alle ihre Stoffe schöpft und die stets
auf ihrem Schreibtische liegt. Alle Sprachen geben sich in diesem
Deutsch ein Rendezvous: Französisch, Italienisch, Spanisch, Unga-
risch; vor allem aber gibt es halbe Seiten lang altfranzösischen und
lateinischen Text: ersteren aus kalvinischen Büchern, letzteren meist
der katholischen Liturgie entnommen. Unsereins wird ja mit derlei
zur Not fertig, aber unsere Damen werden sich dabei hart tun,
denn die Handel-Mazzetti gibt grundsätzlich keine Uebersetzung bei
derartigen Auszügen. Zu diesem Sprachengemisch, das ja aller-
dings in jener Zeit vorlag, kommt nun der altsteyrische Dialekt, der
durch das ganze Buch geht. Für den norddeutschen Leser stelle ich
mir die Lektüre dieses Romans als fast unmöglich, mindestens über-
aus hinderlich vor. Doch ist der erste Band zuerst in Rodenbergs
"Deutscher Rundschau" erschienen. Die Fortsetzung konnte die Dich-
terin damals nicht rechtzeitig fertig bringen, und Rodenberg brach
die Veröffentlichung darauf einfach mit dem Abdruck des Entschuldi-
gungsschreibens der Handel-Mazzetti ab. Dieser nun als Buch vor-
liegende erste Band ist der druckfehlerfreieste, die beiden anderen
haben aber so viele Druckfehler, daß der Verlag sich veranlaßt sah,
jedem ein eigenes Druckfehler-Verzeichnis beizugeben. Aber auch
dieses enthält nicht alle, denn wir haben noch manch Unkorrigiertes
gefunden. Auch an jenem gräßlichen Oesterreichisch-Deutsch fehlt es
nicht ganz, das dort bei den Behörden und in den Zeitungen2) üblich
ist: auch Handel-Mazzetti schreibt: "Ueber Befehl des Richters" statt
"Auf Befehl", und auch ihr ist der Unterschied zwischen "scheinbar"
und "anscheinend" noch nicht aufgegangen: eine Verarmung der
Sprache, die ja freilich auch bei uns im Reiche leider üblich gewor-
den ist. Echt weibliche Romanmanier ist es, wenn es z. B. (III, 30)
heißt: "Aber ja! schritt er, ohne ihren glänzenden Blick aufzufangen
oder zu erwidern, an seinen Platz zurück". Dieselben Lieblingsver-
gleiche kehren immer wieder, wenn die Verfasserin auf die körper-
lichen Vorzüge ihres Helden oder ihrer Heldin zu sprechen kommt.
Ihr Lieblingswort aber in diesen Roman ist das Wort "reisen", in
der alten Bedeutung für gehen, sich bewegen. In der "Stephana
Schwertner" reist alles, nicht nur die Menschen, sondern auch der
Sonnenstrahl, oder das auf dem Boden geworfene Schwert. Ich
fürchte überhaupt, dieser, auch wo es nicht notwendig ist, eigensinnig
festgehaltene archaisierende Ton wird der Verbreitung des Romans
hinderlich sein. Aber ich kann mich täuschen: die Romane der Han-
del-Mazzetti haben, und zwar nach Verdienst, ein großes und sicheres
Publikum. Der erste Band weist in seiner Auflage schon das zwölfte
bis siebzehnte Tausend auf. Dies freilich kurz vor Ausbruch des
Krieges, welcher der Romanlektüre im allgemeinen kaum zuträglich
sein wird. "Stephana Schwertner" aber darf selbst als Kriegslek-
türe passieren, denn der Roman spielt ja auch in einer kriegerischen,
zerrissenen Zeit, und Kampf und Tod, Leben und Erlösung ist ihre
Losung.

1) Stephana Schwertner, ein Stehrer Roman von E. von
Handel-Mazzetti.
Verlag der J. Köselschen Buchhandlung, Kempten
und München 1914. Erster Teil: Unter dem Richter von Steyr,
geh. 4 M. Zweiter Teil: Das Geheimnis des Königs, geh.
3.50 M. Dritter Teil- Jungfrau und Marthrin, geh. 5 M.
2) So sinde ich z. B. im Abendblatt der Wiener "Neuen Freien Presse"
vom 20. Oktober zwei Stellen, die das oben Gesagte heiter illustrieren.
Die eine steht in dem Bericht über den Prozeß Princip, in der Schilderung
jener unseligen letzten Fahrt des Thronfolgerpaares in Serajewo: "Das
zweite Auto machte jedoch bald halt und über Erkundigung erfuhr man,
daß der Adjutant des Zeugen, Oberstleutnant v. Merizzi, von einem Bomben-
splitter leicht verletzt worden war." -- Die andere in derselben Nummer
betrisst den lieblichen Gebrauch des Wortes "nach" statt des einfachen
Genetios und lautet: "Frau Jenny Kohler, Witwe nach unserem Kollegen
Karl Felix Kohler, hatte gestern abend bei der Großmarkthalle das Unglück
zu stürzen" usw.

31. Oktober 1914. Allgemeine Zeitung
[Spaltenumbruch] eines Teiles der ſchweizeriſchen Preſſe, die ſich ja häufig genug
wiederholt haben — alles das gräbt ſich in der Erinnerung ein
und macht ſich eines Tages als Rückwirkung fühlbar. Das möchte
bedacht werden! Stelle man ſich einmal eine „Saiſon“ ohne deut-
ſches Publikum vor! Das wäre zunächſt ein Schnitt ins eigene
Fleiſch!

Soll ſich die Schweiz von einer Handvoll landesfeindlicher
Leute um ihren guten Ruf bringen laſſen, wichtige Lebensfragen
aufs Spiel ſetzen? Die Sache iſt der Erwägung wohl wert, ehe
man durch Schaden klug werden muß.

Schweizer Volk, denke nach!

Es handelt ſich um deine Einigkeit, die allein ſtark macht!
Leicht geht ſie unwiederbringlich verloren. Soll ſie unklaren
Köpfen, bewußt zerſtörend wirkenden Elementen ausgeliefert wer-
den? Sieht man nicht an Belgien, wie ein kleines Land, auf-
geſtachelt, zu den ſchwerſten Opfern unter lügenhaften Vorſtellun-
gen durch ſeine Freunde gezwungen und dann, niedergerungen,
ſeinem Schickſal überlaſſen ward! Den Briten wie den übrigen
Hetzern treibt kein Schamgefühl mehr das Blut in die Wangen
bei der Nennung des Wortes „Antwerpen“. Sie kennen den
Ausdruck „To be ashamed“ nicht mehr. Wir kennen ihn hoffent-
lich alle! Gegebenenfalls hätte die Schweiz von dieſen Mächten
nichts anderes zu erwarten! Falſche Propheten ſtreben ſolches
an! Drum weiſt ſie dahin, wo ſie hingehören. Im Leben der
Völker entſtehen wie im perſönlichen Verkehr durch Leichtſinn und
Unüberlegtheit wie durch böſen Willen oft Riſſe, die nie wieder
verharſchen. Unſere Tage ſehen das in fürchterlicher Weiſe ſich
vollziehen. Davor ſchütze dich der Scharfblick unbeugſam rechtlich
denkender, unbeſtechlich handelnder Leiter und — ein gütig
Schickſal, mein Heimatland!

Planegg bei München, Oktober 1914.



Stephana Schwertner.1)

Die bekannte öſterreichiſche Romanſchriftſtellerin Enrica v. Han-
del-Mazzetti
hat unlängſt den Ebner-Eſchenbach-Preis erhal-
ten. Ich weiß nicht, ob für dieſen ihren letzten Roman „Stephana
Schwertner“. Jedenfalls aber las man, daß ſie ihn mit Zuſtimmung
der Stifterin, der ehrwürdigen hochgefeierten Seniorin der deutſchen
Schriftſtellerwelt Marie v. Ebner-Eſchenbach, erhalten hat, die ja
ſchon nach den erſten Aufſehen erregenden Romanen der Handel-
Mazzetti vor ihr eine tiefe Reverenz gemacht hat, die ihre eigene
Beſcheidenheit noch mehr ehrt, als die jüngere Kollegin. Vielleicht
verſtehen ſich dieſe beiden Frauen ſo gut, weil ſie ſich ſo unähnlich
ſind. Die Ebner-Eſchenbach iſt die ungleich univerſellere, die Handel-
Mazzetti dagegen iſt auf ihrem engen Gebiete geradezu eine Virtuo-
ſin der Variation. Auch ihr neuer Roman ſpielt wieder in der
Stadt Steyr, die ſie ſelbſt erſt kürzlich verlaſſen hat, um nach Linz
zu ziehen.

Wieder ſind die Glaubenskämpfe zwiſchen Katholiken und Prote-
ſtanten der ſtürmiſch bewegte Inhalt des Buches, das diesmal ein
großer dreibändiger Roman geworden iſt von einem Umfang, wie
er heute längſt nicht mehr Mode iſt. Und doch wird er geleſen wer-
den, denn wer die erſten Seiten geleſen hat, den läßt die Geſchichte
nicht mehr los. Die Handel-Mazzetti verſteht die Kunſt ſelbſt den
widerwilligſten Leſer zu packen und ihn durch eine atemverſetzende
Handlung von dramatiſcher Gewalt bis zum Schluſſe zu feſſeln. Auch
hier frappiert uns an der katholiſchen Schriftſtellerin anfangs wieder
die ſcheinbare Objektivität, mit der ſie Licht und Schatten nach beiden
Seiten gleichmäßig verteilt. Dann wendet ſich allerdings das Blatt;
die katholiſche Tendenz tritt noch deutlicher als bei den früheren
Romanen zutage, und das Ganze ſchließt mit einem großartigen
inneren und äußeren Triumph der katholiſchen Kirche. Der Roman
beginnt mit dem Jahre 1615, mit der Wahl Händels zum Richter
von Steyr, und er ſpielt zum größten Teile in Steyr ſelbſt mit Aus-
nahme einer beſonders lebensvoll gezeichneten Epiſode am Hofe des
[Spaltenumbruch] Kaiſers Mathias in Wien, wo wir auch dem Biſchof Kleſel begegnen,
der uns aus Grillparzers „Bruderzwiſt in Habsburg“ ſo gut bekannt
iſt. Die Handel-Mazzetti zeichnet ihn nicht um ein Haar ſympati-
ſcher als Grillparzer. Wir würden ein paar Spalten brauchen, um
die wildbewegte Handlung des Romans zu erzählen. Es iſt dies
aber auch gar nicht notwendig, es muß uns genügen feſtzuſtellen,
daß auch der neue Roman der Handel-Mazzetti alle ihre großen
Vorzüge und ihre kleinen charakteriſtiſchen Schwächen aufweiſt, die
wir ſchon aus den früheren Werken der Verfaſſerin kennen, viel-
leicht im verſtärkten Grade.

Der ganze Roman iſt in einem archaiſierenden Deutſch geſchrie-
ben, bei dem die Kontrolle auf deſſen Richtigkeit glatt unmöglich iſt;
man müßte denn vielleicht jene alte Chronik von Steyr beſitzen, aus
der die Dichterin wie man hört, alle ihre Stoffe ſchöpft und die ſtets
auf ihrem Schreibtiſche liegt. Alle Sprachen geben ſich in dieſem
Deutſch ein Rendezvous: Franzöſiſch, Italieniſch, Spaniſch, Unga-
riſch; vor allem aber gibt es halbe Seiten lang altfranzöſiſchen und
lateiniſchen Text: erſteren aus kalviniſchen Büchern, letzteren meiſt
der katholiſchen Liturgie entnommen. Unſereins wird ja mit derlei
zur Not fertig, aber unſere Damen werden ſich dabei hart tun,
denn die Handel-Mazzetti gibt grundſätzlich keine Ueberſetzung bei
derartigen Auszügen. Zu dieſem Sprachengemiſch, das ja aller-
dings in jener Zeit vorlag, kommt nun der altſteyriſche Dialekt, der
durch das ganze Buch geht. Für den norddeutſchen Leſer ſtelle ich
mir die Lektüre dieſes Romans als faſt unmöglich, mindeſtens über-
aus hinderlich vor. Doch iſt der erſte Band zuerſt in Rodenbergs
„Deutſcher Rundſchau“ erſchienen. Die Fortſetzung konnte die Dich-
terin damals nicht rechtzeitig fertig bringen, und Rodenberg brach
die Veröffentlichung darauf einfach mit dem Abdruck des Entſchuldi-
gungsſchreibens der Handel-Mazzetti ab. Dieſer nun als Buch vor-
liegende erſte Band iſt der druckfehlerfreieſte, die beiden anderen
haben aber ſo viele Druckfehler, daß der Verlag ſich veranlaßt ſah,
jedem ein eigenes Druckfehler-Verzeichnis beizugeben. Aber auch
dieſes enthält nicht alle, denn wir haben noch manch Unkorrigiertes
gefunden. Auch an jenem gräßlichen Oeſterreichiſch-Deutſch fehlt es
nicht ganz, das dort bei den Behörden und in den Zeitungen2) üblich
iſt: auch Handel-Mazzetti ſchreibt: „Ueber Befehl des Richters“ ſtatt
„Auf Befehl“, und auch ihr iſt der Unterſchied zwiſchen „ſcheinbar“
und „anſcheinend“ noch nicht aufgegangen: eine Verarmung der
Sprache, die ja freilich auch bei uns im Reiche leider üblich gewor-
den iſt. Echt weibliche Romanmanier iſt es, wenn es z. B. (III, 30)
heißt: „Aber ja! ſchritt er, ohne ihren glänzenden Blick aufzufangen
oder zu erwidern, an ſeinen Platz zurück“. Dieſelben Lieblingsver-
gleiche kehren immer wieder, wenn die Verfaſſerin auf die körper-
lichen Vorzüge ihres Helden oder ihrer Heldin zu ſprechen kommt.
Ihr Lieblingswort aber in dieſen Roman iſt das Wort „reiſen“, in
der alten Bedeutung für gehen, ſich bewegen. In der „Stephana
Schwertner“ reiſt alles, nicht nur die Menſchen, ſondern auch der
Sonnenſtrahl, oder das auf dem Boden geworfene Schwert. Ich
fürchte überhaupt, dieſer, auch wo es nicht notwendig iſt, eigenſinnig
feſtgehaltene archaiſierende Ton wird der Verbreitung des Romans
hinderlich ſein. Aber ich kann mich täuſchen: die Romane der Han-
del-Mazzetti haben, und zwar nach Verdienſt, ein großes und ſicheres
Publikum. Der erſte Band weiſt in ſeiner Auflage ſchon das zwölfte
bis ſiebzehnte Tauſend auf. Dies freilich kurz vor Ausbruch des
Krieges, welcher der Romanlektüre im allgemeinen kaum zuträglich
ſein wird. „Stephana Schwertner“ aber darf ſelbſt als Kriegslek-
türe paſſieren, denn der Roman ſpielt ja auch in einer kriegeriſchen,
zerriſſenen Zeit, und Kampf und Tod, Leben und Erlöſung iſt ihre
Loſung.

1) Stephana Schwertner, ein Stehrer Roman von E. von
Handel-Mazzetti.
Verlag der J. Köſelſchen Buchhandlung, Kempten
und München 1914. Erſter Teil: Unter dem Richter von Steyr,
geh. 4 M. Zweiter Teil: Das Geheimnis des Königs, geh.
3.50 M. Dritter Teil- Jungfrau und Marthrin, geh. 5 M.
2) So ſinde ich z. B. im Abendblatt der Wiener „Neuen Freien Preſſe“
vom 20. Oktober zwei Stellen, die das oben Geſagte heiter illuſtrieren.
Die eine ſteht in dem Bericht über den Prozeß Princip, in der Schilderung
jener unſeligen letzten Fahrt des Thronfolgerpaares in Serajewo: „Das
zweite Auto machte jedoch bald halt und über Erkundigung erfuhr man,
daß der Adjutant des Zeugen, Oberſtleutnant v. Merizzi, von einem Bomben-
ſplitter leicht verletzt worden war.“ — Die andere in derſelben Nummer
betriſſt den lieblichen Gebrauch des Wortes „nach“ ſtatt des einfachen
Genetios und lautet: „Frau Jenny Kohler, Witwe nach unſerem Kollegen
Karl Felix Kohler, hatte geſtern abend bei der Großmarkthalle das Unglück
zu ſtürzen“ uſw.
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[641/0009] 31. Oktober 1914. Allgemeine Zeitung eines Teiles der ſchweizeriſchen Preſſe, die ſich ja häufig genug wiederholt haben — alles das gräbt ſich in der Erinnerung ein und macht ſich eines Tages als Rückwirkung fühlbar. Das möchte bedacht werden! Stelle man ſich einmal eine „Saiſon“ ohne deut- ſches Publikum vor! Das wäre zunächſt ein Schnitt ins eigene Fleiſch! Soll ſich die Schweiz von einer Handvoll landesfeindlicher Leute um ihren guten Ruf bringen laſſen, wichtige Lebensfragen aufs Spiel ſetzen? Die Sache iſt der Erwägung wohl wert, ehe man durch Schaden klug werden muß. Schweizer Volk, denke nach! Es handelt ſich um deine Einigkeit, die allein ſtark macht! Leicht geht ſie unwiederbringlich verloren. Soll ſie unklaren Köpfen, bewußt zerſtörend wirkenden Elementen ausgeliefert wer- den? Sieht man nicht an Belgien, wie ein kleines Land, auf- geſtachelt, zu den ſchwerſten Opfern unter lügenhaften Vorſtellun- gen durch ſeine Freunde gezwungen und dann, niedergerungen, ſeinem Schickſal überlaſſen ward! Den Briten wie den übrigen Hetzern treibt kein Schamgefühl mehr das Blut in die Wangen bei der Nennung des Wortes „Antwerpen“. Sie kennen den Ausdruck „To be ashamed“ nicht mehr. Wir kennen ihn hoffent- lich alle! Gegebenenfalls hätte die Schweiz von dieſen Mächten nichts anderes zu erwarten! Falſche Propheten ſtreben ſolches an! Drum weiſt ſie dahin, wo ſie hingehören. Im Leben der Völker entſtehen wie im perſönlichen Verkehr durch Leichtſinn und Unüberlegtheit wie durch böſen Willen oft Riſſe, die nie wieder verharſchen. Unſere Tage ſehen das in fürchterlicher Weiſe ſich vollziehen. Davor ſchütze dich der Scharfblick unbeugſam rechtlich denkender, unbeſtechlich handelnder Leiter und — ein gütig Schickſal, mein Heimatland! Planegg bei München, Oktober 1914. Berlepſch-Valendàs, B. D. A. Stephana Schwertner. 1) Die bekannte öſterreichiſche Romanſchriftſtellerin Enrica v. Han- del-Mazzetti hat unlängſt den Ebner-Eſchenbach-Preis erhal- ten. Ich weiß nicht, ob für dieſen ihren letzten Roman „Stephana Schwertner“. Jedenfalls aber las man, daß ſie ihn mit Zuſtimmung der Stifterin, der ehrwürdigen hochgefeierten Seniorin der deutſchen Schriftſtellerwelt Marie v. Ebner-Eſchenbach, erhalten hat, die ja ſchon nach den erſten Aufſehen erregenden Romanen der Handel- Mazzetti vor ihr eine tiefe Reverenz gemacht hat, die ihre eigene Beſcheidenheit noch mehr ehrt, als die jüngere Kollegin. Vielleicht verſtehen ſich dieſe beiden Frauen ſo gut, weil ſie ſich ſo unähnlich ſind. Die Ebner-Eſchenbach iſt die ungleich univerſellere, die Handel- Mazzetti dagegen iſt auf ihrem engen Gebiete geradezu eine Virtuo- ſin der Variation. Auch ihr neuer Roman ſpielt wieder in der Stadt Steyr, die ſie ſelbſt erſt kürzlich verlaſſen hat, um nach Linz zu ziehen. Wieder ſind die Glaubenskämpfe zwiſchen Katholiken und Prote- ſtanten der ſtürmiſch bewegte Inhalt des Buches, das diesmal ein großer dreibändiger Roman geworden iſt von einem Umfang, wie er heute längſt nicht mehr Mode iſt. Und doch wird er geleſen wer- den, denn wer die erſten Seiten geleſen hat, den läßt die Geſchichte nicht mehr los. Die Handel-Mazzetti verſteht die Kunſt ſelbſt den widerwilligſten Leſer zu packen und ihn durch eine atemverſetzende Handlung von dramatiſcher Gewalt bis zum Schluſſe zu feſſeln. Auch hier frappiert uns an der katholiſchen Schriftſtellerin anfangs wieder die ſcheinbare Objektivität, mit der ſie Licht und Schatten nach beiden Seiten gleichmäßig verteilt. Dann wendet ſich allerdings das Blatt; die katholiſche Tendenz tritt noch deutlicher als bei den früheren Romanen zutage, und das Ganze ſchließt mit einem großartigen inneren und äußeren Triumph der katholiſchen Kirche. Der Roman beginnt mit dem Jahre 1615, mit der Wahl Händels zum Richter von Steyr, und er ſpielt zum größten Teile in Steyr ſelbſt mit Aus- nahme einer beſonders lebensvoll gezeichneten Epiſode am Hofe des Kaiſers Mathias in Wien, wo wir auch dem Biſchof Kleſel begegnen, der uns aus Grillparzers „Bruderzwiſt in Habsburg“ ſo gut bekannt iſt. Die Handel-Mazzetti zeichnet ihn nicht um ein Haar ſympati- ſcher als Grillparzer. Wir würden ein paar Spalten brauchen, um die wildbewegte Handlung des Romans zu erzählen. Es iſt dies aber auch gar nicht notwendig, es muß uns genügen feſtzuſtellen, daß auch der neue Roman der Handel-Mazzetti alle ihre großen Vorzüge und ihre kleinen charakteriſtiſchen Schwächen aufweiſt, die wir ſchon aus den früheren Werken der Verfaſſerin kennen, viel- leicht im verſtärkten Grade. Der ganze Roman iſt in einem archaiſierenden Deutſch geſchrie- ben, bei dem die Kontrolle auf deſſen Richtigkeit glatt unmöglich iſt; man müßte denn vielleicht jene alte Chronik von Steyr beſitzen, aus der die Dichterin wie man hört, alle ihre Stoffe ſchöpft und die ſtets auf ihrem Schreibtiſche liegt. Alle Sprachen geben ſich in dieſem Deutſch ein Rendezvous: Franzöſiſch, Italieniſch, Spaniſch, Unga- riſch; vor allem aber gibt es halbe Seiten lang altfranzöſiſchen und lateiniſchen Text: erſteren aus kalviniſchen Büchern, letzteren meiſt der katholiſchen Liturgie entnommen. Unſereins wird ja mit derlei zur Not fertig, aber unſere Damen werden ſich dabei hart tun, denn die Handel-Mazzetti gibt grundſätzlich keine Ueberſetzung bei derartigen Auszügen. Zu dieſem Sprachengemiſch, das ja aller- dings in jener Zeit vorlag, kommt nun der altſteyriſche Dialekt, der durch das ganze Buch geht. Für den norddeutſchen Leſer ſtelle ich mir die Lektüre dieſes Romans als faſt unmöglich, mindeſtens über- aus hinderlich vor. Doch iſt der erſte Band zuerſt in Rodenbergs „Deutſcher Rundſchau“ erſchienen. Die Fortſetzung konnte die Dich- terin damals nicht rechtzeitig fertig bringen, und Rodenberg brach die Veröffentlichung darauf einfach mit dem Abdruck des Entſchuldi- gungsſchreibens der Handel-Mazzetti ab. Dieſer nun als Buch vor- liegende erſte Band iſt der druckfehlerfreieſte, die beiden anderen haben aber ſo viele Druckfehler, daß der Verlag ſich veranlaßt ſah, jedem ein eigenes Druckfehler-Verzeichnis beizugeben. Aber auch dieſes enthält nicht alle, denn wir haben noch manch Unkorrigiertes gefunden. Auch an jenem gräßlichen Oeſterreichiſch-Deutſch fehlt es nicht ganz, das dort bei den Behörden und in den Zeitungen 2) üblich iſt: auch Handel-Mazzetti ſchreibt: „Ueber Befehl des Richters“ ſtatt „Auf Befehl“, und auch ihr iſt der Unterſchied zwiſchen „ſcheinbar“ und „anſcheinend“ noch nicht aufgegangen: eine Verarmung der Sprache, die ja freilich auch bei uns im Reiche leider üblich gewor- den iſt. Echt weibliche Romanmanier iſt es, wenn es z. B. (III, 30) heißt: „Aber ja! ſchritt er, ohne ihren glänzenden Blick aufzufangen oder zu erwidern, an ſeinen Platz zurück“. Dieſelben Lieblingsver- gleiche kehren immer wieder, wenn die Verfaſſerin auf die körper- lichen Vorzüge ihres Helden oder ihrer Heldin zu ſprechen kommt. Ihr Lieblingswort aber in dieſen Roman iſt das Wort „reiſen“, in der alten Bedeutung für gehen, ſich bewegen. In der „Stephana Schwertner“ reiſt alles, nicht nur die Menſchen, ſondern auch der Sonnenſtrahl, oder das auf dem Boden geworfene Schwert. Ich fürchte überhaupt, dieſer, auch wo es nicht notwendig iſt, eigenſinnig feſtgehaltene archaiſierende Ton wird der Verbreitung des Romans hinderlich ſein. Aber ich kann mich täuſchen: die Romane der Han- del-Mazzetti haben, und zwar nach Verdienſt, ein großes und ſicheres Publikum. Der erſte Band weiſt in ſeiner Auflage ſchon das zwölfte bis ſiebzehnte Tauſend auf. Dies freilich kurz vor Ausbruch des Krieges, welcher der Romanlektüre im allgemeinen kaum zuträglich ſein wird. „Stephana Schwertner“ aber darf ſelbſt als Kriegslek- türe paſſieren, denn der Roman ſpielt ja auch in einer kriegeriſchen, zerriſſenen Zeit, und Kampf und Tod, Leben und Erlöſung iſt ihre Loſung. Alfred Frhr. v. Menſi. 1) Stephana Schwertner, ein Stehrer Roman von E. von Handel-Mazzetti. Verlag der J. Köſelſchen Buchhandlung, Kempten und München 1914. Erſter Teil: Unter dem Richter von Steyr, geh. 4 M. Zweiter Teil: Das Geheimnis des Königs, geh. 3.50 M. Dritter Teil- Jungfrau und Marthrin, geh. 5 M. 2) So ſinde ich z. B. im Abendblatt der Wiener „Neuen Freien Preſſe“ vom 20. Oktober zwei Stellen, die das oben Geſagte heiter illuſtrieren. Die eine ſteht in dem Bericht über den Prozeß Princip, in der Schilderung jener unſeligen letzten Fahrt des Thronfolgerpaares in Serajewo: „Das zweite Auto machte jedoch bald halt und über Erkundigung erfuhr man, daß der Adjutant des Zeugen, Oberſtleutnant v. Merizzi, von einem Bomben- ſplitter leicht verletzt worden war.“ — Die andere in derſelben Nummer betriſſt den lieblichen Gebrauch des Wortes „nach“ ſtatt des einfachen Genetios und lautet: „Frau Jenny Kohler, Witwe nach unſerem Kollegen Karl Felix Kohler, hatte geſtern abend bei der Großmarkthalle das Unglück zu ſtürzen“ uſw.

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Christopher Georgi, Manuel Wille, Jurek von Lingen: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2023-04-27T12:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 44, 31. Oktober 1914, S. 641. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine44_1914/9>, abgerufen am 23.11.2024.