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Mainzer Journal. Nr. 245. Mainz, 15. Oktober 1849.

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Beilage zum Mainzer Journal.


Nro 245. Dienstag, den 16. October. 1849.


[Beginn Spaltensatz]
Deutschland.

Koblenz 14. October. Gestern ist auf Befehl der k. Regie-
rung der hiesige Turnverein aufgelöst worden. Die Herren
hatten statt zu turnen [unleserliches Material - 12 Zeichen fehlen]demagogische Politik getrieben.

München 13. October. ( A. Z. ) Der Antrag des Mini-
steriums auf Einleitung strafrechtlicher Untersuchung und auf Ver-
haftung des Abgeordneten Schüler stützt sich, wie ich heute
höre, nicht nur auf den Aufruf des Donnersberg vom 5. Mai,
sondern auch auf jene Erklärungen desselben Clubs, welche den
Austritt aus den Märzvereinen und die Agitation gegen die von
Preußen abgelehnte Erbkaiserwürde und gegen particularistische
Bestrebungen Bayerns verkündeten. Ferner wird aus der ver-
zögerten Erklärung Schülers über seine Erwählung in den Lan-
des vertheidigungsausschuß und in die provisorische Regierung der
Pfalz eine Beförderung oder Begünstigung der dortigen Be-
wegung, dann aus dessen Theilnahme an der Reichsregentschaft
und deren Beschlüssen Theilnahme an Bestrebungen zum Um-
sturze der bestehenden Regierungen und zur Erregung des Bürger-
krieges gefolgert. Advocat Rudhart hat im ersten Ausschusse
das Referat über diese Angelegenheit erhalten; dessen Erstattung
soll beschleunigt werden. Man glaubte vielseitig, daß heute als
am Namensfeste des Königs das Amnestiegesetz in Vorlage kom-
men werde; es geschah nicht. Nächste Woche soll ein Gesetz für
eine sehr beschränkte Amnestie an die Kammer gelangen.

Die in München erscheinenden "Neuesten Nachrichten," bis-
weilen zu halboffiziellen Kundgebungen benützt, schreiben: Zur
näheren Erläuterung der unbegründeten preußischen Forde-
rung wegen Besetzung der Pfalz
müssen wir bemerken,
daß Preußen zur Bewältigung des pfälzischen Aufruhres von Seite
Bayerns keineswegs aufgefordert wurde, sondern Bayern den Ein-
marsch der Preußen in die Pfalz entschieden ablehnte. Daß Bayern
die preußische Jntervention in der Pfalz zurückwies, hat auch
darin seinen Grund, weil die bayrische Staatsregierung von den
vorigen pfälzischen Abgeordneten im Mai d. J. dringend ange-
gangen wurde, "nur keine Truppen in die Pfalz zu schicken." Das
Staatsministerium wollte daher auf dem Wege der Güte und der
Nachsicht den Pfälzern Zeit gönnen, um über ihre Verirrungen zur
Besinnung zu kommen; indessen wurde aber doch ein bayrisches
Armeekorps aufgestellt, um nöthigenfalls in die Pfalz einzumar-
schiren, was auch fast zu gleicher Zeit geschah, als die Preußen von
Kreuznach her in die Pfalz einrückten. Die Aufgabe der Preußen
mag immerhin in jener Zeit gewesen seyn, die Rebellion im
Großherzogthum Baden auf Ansuchen des flüchtigen Großherzogs
zu bekämpfen und vielleicht für diesen Zweck die Pfalz als Mili-
tärstraße zu durchziehen; aber Das berechtigt sie keineswegs,
hierfür von Bayern eine Entschädigung zu verlangen. Es soll
auch, wie wir vernommen haben, ein entschiedener Protest von
Seite unseres Staatsministeriums gegen die von Preußen ver-
fügte Nichtausbezahlung der bayrischen Zollvereinsquote nach
Berlin abgegangen seyn.

Rastatt 13. October. ( D. Z. ) Durch Bevollmächtigte der
Regierung werden gegenwärtig in allen Kreisen des Großherzog-
thums alle öffentlichen und den Gemeinden irgend entbehrlichen
Gebäude besichtigt, zum Zwecke, darin die preußischen Truppen,
welche als Besatzung unseres Landes dableiben, definitiv zu caser-
niren, also die Einquartirungslast möglichst zu vermindern.

# Mainz 16. October. Stand der Brechruhr. Jn Mainz
sind 5 neue Krankheits= und 2 Genesungsfälle, sowie 1 Sterbefall
vorgekommen.

Dessau 11. October. Anhalt=Dessau wird den Freiheitsmän-
nern voraussichtlich die längste Zeit als Musterstaat vorgeleuchtet
haben: so eben hat das Ministerium die Abänderung aller derje-
nigen Bestimmungen der Verfassung beantragt, welche diese Ver-
fassung zu der "weitest vorgeschrittenen" aller monarchischen
Staaten machten. Die Sätze: "Die Verfassung ist eine demokra-
tisch=monarchische " und: "Alle Gewalten gehen vom Volke aus,"
sollen wegfallen; die Aufhebung selbst der Adelsnamen soll in die
grundrechtliche Fassung geändert werden: "Der Adel als Stand
ist aufgehoben; alle Standesvorrechte sind abgeschafft;" das
Verbot aller Orden und Ordensannahmen wird ebenfalls durch
die grundrechtliche Bestimmung ersetzt: "Kein Staatsangehöriger
darf von einem nicht=deutschen Staate einen Orden annehmen;"
die Bestimmungen über das Petitions= und Versammlungsrecht
[Spaltenumbruch] erhalten, abermals den Grundrechten entsprechend, den Beisatz,
daß dieselben auf die "Volkswehr erster Abtheilung" nur insoweit
Anwendung finden, als die militärischen Disciplinarvorschriften
nicht entgegenstehen; der §.: "Der vom Lehrer in der Schule zu
ertheilende Religionsunterricht kann nur ein allgemeiner, d. h.
ein Unterricht in der auf religiöser Grundlage ruhenden Sitten-
lehre seyn; der kirchlich confessionelle ist ausgeschlossen und der
Kirche zu überlassen," ist wegzulassen; ebenso der Satz, nach
welchem die Mitglieder des herzoglichen Hauses sich ohne Zustim-
mung des Landtages bei Verlust ihrer Apanage nicht dauernd im
Auslande aufhalten, auch nicht fremde Dienste nehmen dürfen.
Armes Dessau! Also auch dort hat jetzt, seitdem der Habicht
dich nicht mehr unter seine schützenden Flügel nimmt, die Reaction
gesiegt!

Schweiz.

Bern 8. October. ( D. Ref. ) Die bekannte Elisabeth
Tschech
hat in diesen Tagen plötzlich Bern und die Schweiz
verlassen. Ob sie hierzu gezwungen worden oder sich freiwillig
dazu entschloß, wissen wir nicht. Sie hat, wie es heißt, neuer-
dings von Paris Anerbietungen für die Stellung einer " Schenk-
jungfer " erhalten, ob sie dieselben, gleich den früheren ( bekanntlich
erhielt sie gleich nach dem Attentate ihres Vaters ein solches An-
erbieten aus Paris ) , abgeschlagen, ist fraglich, da sie ihren Weg
nördlich nach der Pfalz und Straßburg eingeschlagen.

Jn diesen Tagen sah man die Freischärler hastig und mit
fröhlichen Gesichtern über die Straße rennen, sich zusammenrotten,
in die Kaffeehäuser stürzen, wo sie alsdann gierig nach den
Zeitungen griffen. Da die Flüchtlinge, wie sie sich ausdrücken,
grundsätzlich keine Zeitungen lesen, indem, wie sie dies weiter
motiviren, die jetzigen "reactionären" Blätter doch nichts Gutes
brächten und höchstens von den Brosamen ihrer ( der Freischärler )
bisherigen Thaten das Leben noch kümmerlich fristen, so war
dieses ihr Herstürzen über die Zeitungen auffallend. Die Mili-
tärreibungen
in Frankfurt a. M. hatten diese Rührigkeit her-
vorgebracht. Jch übertreibe nicht, wenn ich sage, daß diese Un-
glücklichen in der Flüchtlingscaserne, die in ihrer jetzigen Lage ihr
einziges Heil in einer neuen Revolution erblicken, bei jener Fama
schon ihr Bündelchen zu schnüren begannen, um bei einem weiteren
Umsichgreifen des unruhigen Geistes gleich bei der Hand zu seyn.
Natürlich erfuhren sie bald, daß ihnen der Weg aus der Caserne
noch nicht geöffnet ist. Jch gebe Jhnen das unbedeutende Vor-
kommniß zur Charakteristik, wie die Flüchtlinge in ihrer jetzigen
Lage einen besonderen Stand, ein Revolutionsheer bilden.

Wenn Sie in Schweizer Blättern lesen, daß am 6. d. M.
Morgens um5 1 / 2 Uhr, das Baden gehörende Kriegsmaterial,
bestehend in acht Sechspfündern, zwei Zwölfpfündern und zwei
Zweipfündern, zwei Haubitzen, vier Pulver= und Bagagewagen,
abgeliefert worden ist, so glauben Sie ja nicht, daß hiermit, wie
dies fast in jenen Blättern den Anschein hat, Alles abgeliefert
sey. Es sind wenigstens 60 Kanonen mit Zubehör aufs diesseitige
Gebiet verschleppt worden und wir haben sie selbst in Zürich auf-
gepflanzt gesehen. Es ist daher erst mit der Auslieferung der
Anfang gemacht.

Frankreich.

*** Paris 13. October. Jn der heutigen Sitzung der Na-
tionalversammlung las Herr Thiers Namens der Commission
seinen Bericht über die römische Frage vor. Das Actenstück ist
mit außerordentlicher Feinheit geschrieben und widerlegt den Brief
des Präsidenten Schritt für Schritt, ohne den Verfasser desselben
je zu nennen, der somit von der bevorstehenden Debatte ganzlich
ferngehalten werden soll. Jn Bezug auf die Sache selbst bemerkt
Herr Thiers unter Anderem, Frankreich habe allerdings durch die
römische Expedition der Freiheit einen Dienst geleistet, denn
wären keine Franzosen im Vatikan, so würden sich Oester-
reicher dort befinden und diese hätten aller Wahrscheinlichkeit
nach in ganz anderer Weise auf den Papst einzuwirken gesucht. Man
möge darum die französische Jntervention nur nicht zu gering
anschlagen. Was den Papst betreffe, so müsse dieser unabhängig
seyn, ohne Souveränetät aber gebe es für ihn keine Unabhängig-
keit. Frankreich werde deshalb in Rom nichts weiter geltend ma-
chen, als das durch seine Hingebung errungene und wohlverdiente
Recht des guten Rathes. Das Motuproprio enthalte alle Frei-
heiten, deren ein Volk ohne politische Erziehung fähig sey, und
[Ende Spaltensatz]

Beilage zum Mainzer Journal.


Nro 245. Dienstag, den 16. October. 1849.


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Deutschland.

Koblenz 14. October. Gestern ist auf Befehl der k. Regie-
rung der hiesige Turnverein aufgelöst worden. Die Herren
hatten statt zu turnen [unleserliches Material – 12 Zeichen fehlen]demagogische Politik getrieben.

München 13. October. ( A. Z. ) Der Antrag des Mini-
steriums auf Einleitung strafrechtlicher Untersuchung und auf Ver-
haftung des Abgeordneten Schüler stützt sich, wie ich heute
höre, nicht nur auf den Aufruf des Donnersberg vom 5. Mai,
sondern auch auf jene Erklärungen desselben Clubs, welche den
Austritt aus den Märzvereinen und die Agitation gegen die von
Preußen abgelehnte Erbkaiserwürde und gegen particularistische
Bestrebungen Bayerns verkündeten. Ferner wird aus der ver-
zögerten Erklärung Schülers über seine Erwählung in den Lan-
des vertheidigungsausschuß und in die provisorische Regierung der
Pfalz eine Beförderung oder Begünstigung der dortigen Be-
wegung, dann aus dessen Theilnahme an der Reichsregentschaft
und deren Beschlüssen Theilnahme an Bestrebungen zum Um-
sturze der bestehenden Regierungen und zur Erregung des Bürger-
krieges gefolgert. Advocat Rudhart hat im ersten Ausschusse
das Referat über diese Angelegenheit erhalten; dessen Erstattung
soll beschleunigt werden. Man glaubte vielseitig, daß heute als
am Namensfeste des Königs das Amnestiegesetz in Vorlage kom-
men werde; es geschah nicht. Nächste Woche soll ein Gesetz für
eine sehr beschränkte Amnestie an die Kammer gelangen.

Die in München erscheinenden „Neuesten Nachrichten,“ bis-
weilen zu halboffiziellen Kundgebungen benützt, schreiben: Zur
näheren Erläuterung der unbegründeten preußischen Forde-
rung wegen Besetzung der Pfalz
müssen wir bemerken,
daß Preußen zur Bewältigung des pfälzischen Aufruhres von Seite
Bayerns keineswegs aufgefordert wurde, sondern Bayern den Ein-
marsch der Preußen in die Pfalz entschieden ablehnte. Daß Bayern
die preußische Jntervention in der Pfalz zurückwies, hat auch
darin seinen Grund, weil die bayrische Staatsregierung von den
vorigen pfälzischen Abgeordneten im Mai d. J. dringend ange-
gangen wurde, „nur keine Truppen in die Pfalz zu schicken.“ Das
Staatsministerium wollte daher auf dem Wege der Güte und der
Nachsicht den Pfälzern Zeit gönnen, um über ihre Verirrungen zur
Besinnung zu kommen; indessen wurde aber doch ein bayrisches
Armeekorps aufgestellt, um nöthigenfalls in die Pfalz einzumar-
schiren, was auch fast zu gleicher Zeit geschah, als die Preußen von
Kreuznach her in die Pfalz einrückten. Die Aufgabe der Preußen
mag immerhin in jener Zeit gewesen seyn, die Rebellion im
Großherzogthum Baden auf Ansuchen des flüchtigen Großherzogs
zu bekämpfen und vielleicht für diesen Zweck die Pfalz als Mili-
tärstraße zu durchziehen; aber Das berechtigt sie keineswegs,
hierfür von Bayern eine Entschädigung zu verlangen. Es soll
auch, wie wir vernommen haben, ein entschiedener Protest von
Seite unseres Staatsministeriums gegen die von Preußen ver-
fügte Nichtausbezahlung der bayrischen Zollvereinsquote nach
Berlin abgegangen seyn.

Rastatt 13. October. ( D. Z. ) Durch Bevollmächtigte der
Regierung werden gegenwärtig in allen Kreisen des Großherzog-
thums alle öffentlichen und den Gemeinden irgend entbehrlichen
Gebäude besichtigt, zum Zwecke, darin die preußischen Truppen,
welche als Besatzung unseres Landes dableiben, definitiv zu caser-
niren, also die Einquartirungslast möglichst zu vermindern.

# Mainz 16. October. Stand der Brechruhr. Jn Mainz
sind 5 neue Krankheits= und 2 Genesungsfälle, sowie 1 Sterbefall
vorgekommen.

Dessau 11. October. Anhalt=Dessau wird den Freiheitsmän-
nern voraussichtlich die längste Zeit als Musterstaat vorgeleuchtet
haben: so eben hat das Ministerium die Abänderung aller derje-
nigen Bestimmungen der Verfassung beantragt, welche diese Ver-
fassung zu der „weitest vorgeschrittenen“ aller monarchischen
Staaten machten. Die Sätze: „Die Verfassung ist eine demokra-
tisch=monarchische “ und: „Alle Gewalten gehen vom Volke aus,“
sollen wegfallen; die Aufhebung selbst der Adelsnamen soll in die
grundrechtliche Fassung geändert werden: „Der Adel als Stand
ist aufgehoben; alle Standesvorrechte sind abgeschafft;“ das
Verbot aller Orden und Ordensannahmen wird ebenfalls durch
die grundrechtliche Bestimmung ersetzt: „Kein Staatsangehöriger
darf von einem nicht=deutschen Staate einen Orden annehmen;“
die Bestimmungen über das Petitions= und Versammlungsrecht
[Spaltenumbruch] erhalten, abermals den Grundrechten entsprechend, den Beisatz,
daß dieselben auf die „Volkswehr erster Abtheilung“ nur insoweit
Anwendung finden, als die militärischen Disciplinarvorschriften
nicht entgegenstehen; der §.: „Der vom Lehrer in der Schule zu
ertheilende Religionsunterricht kann nur ein allgemeiner, d. h.
ein Unterricht in der auf religiöser Grundlage ruhenden Sitten-
lehre seyn; der kirchlich confessionelle ist ausgeschlossen und der
Kirche zu überlassen,“ ist wegzulassen; ebenso der Satz, nach
welchem die Mitglieder des herzoglichen Hauses sich ohne Zustim-
mung des Landtages bei Verlust ihrer Apanage nicht dauernd im
Auslande aufhalten, auch nicht fremde Dienste nehmen dürfen.
Armes Dessau! Also auch dort hat jetzt, seitdem der Habicht
dich nicht mehr unter seine schützenden Flügel nimmt, die Reaction
gesiegt!

Schweiz.

Bern 8. October. ( D. Ref. ) Die bekannte Elisabeth
Tschech
hat in diesen Tagen plötzlich Bern und die Schweiz
verlassen. Ob sie hierzu gezwungen worden oder sich freiwillig
dazu entschloß, wissen wir nicht. Sie hat, wie es heißt, neuer-
dings von Paris Anerbietungen für die Stellung einer „ Schenk-
jungfer “ erhalten, ob sie dieselben, gleich den früheren ( bekanntlich
erhielt sie gleich nach dem Attentate ihres Vaters ein solches An-
erbieten aus Paris ) , abgeschlagen, ist fraglich, da sie ihren Weg
nördlich nach der Pfalz und Straßburg eingeschlagen.

Jn diesen Tagen sah man die Freischärler hastig und mit
fröhlichen Gesichtern über die Straße rennen, sich zusammenrotten,
in die Kaffeehäuser stürzen, wo sie alsdann gierig nach den
Zeitungen griffen. Da die Flüchtlinge, wie sie sich ausdrücken,
grundsätzlich keine Zeitungen lesen, indem, wie sie dies weiter
motiviren, die jetzigen „reactionären“ Blätter doch nichts Gutes
brächten und höchstens von den Brosamen ihrer ( der Freischärler )
bisherigen Thaten das Leben noch kümmerlich fristen, so war
dieses ihr Herstürzen über die Zeitungen auffallend. Die Mili-
tärreibungen
in Frankfurt a. M. hatten diese Rührigkeit her-
vorgebracht. Jch übertreibe nicht, wenn ich sage, daß diese Un-
glücklichen in der Flüchtlingscaserne, die in ihrer jetzigen Lage ihr
einziges Heil in einer neuen Revolution erblicken, bei jener Fama
schon ihr Bündelchen zu schnüren begannen, um bei einem weiteren
Umsichgreifen des unruhigen Geistes gleich bei der Hand zu seyn.
Natürlich erfuhren sie bald, daß ihnen der Weg aus der Caserne
noch nicht geöffnet ist. Jch gebe Jhnen das unbedeutende Vor-
kommniß zur Charakteristik, wie die Flüchtlinge in ihrer jetzigen
Lage einen besonderen Stand, ein Revolutionsheer bilden.

Wenn Sie in Schweizer Blättern lesen, daß am 6. d. M.
Morgens um5 1 / 2 Uhr, das Baden gehörende Kriegsmaterial,
bestehend in acht Sechspfündern, zwei Zwölfpfündern und zwei
Zweipfündern, zwei Haubitzen, vier Pulver= und Bagagewagen,
abgeliefert worden ist, so glauben Sie ja nicht, daß hiermit, wie
dies fast in jenen Blättern den Anschein hat, Alles abgeliefert
sey. Es sind wenigstens 60 Kanonen mit Zubehör aufs diesseitige
Gebiet verschleppt worden und wir haben sie selbst in Zürich auf-
gepflanzt gesehen. Es ist daher erst mit der Auslieferung der
Anfang gemacht.

Frankreich.

*** Paris 13. October. Jn der heutigen Sitzung der Na-
tionalversammlung las Herr Thiers Namens der Commission
seinen Bericht über die römische Frage vor. Das Actenstück ist
mit außerordentlicher Feinheit geschrieben und widerlegt den Brief
des Präsidenten Schritt für Schritt, ohne den Verfasser desselben
je zu nennen, der somit von der bevorstehenden Debatte ganzlich
ferngehalten werden soll. Jn Bezug auf die Sache selbst bemerkt
Herr Thiers unter Anderem, Frankreich habe allerdings durch die
römische Expedition der Freiheit einen Dienst geleistet, denn
wären keine Franzosen im Vatikan, so würden sich Oester-
reicher dort befinden und diese hätten aller Wahrscheinlichkeit
nach in ganz anderer Weise auf den Papst einzuwirken gesucht. Man
möge darum die französische Jntervention nur nicht zu gering
anschlagen. Was den Papst betreffe, so müsse dieser unabhängig
seyn, ohne Souveränetät aber gebe es für ihn keine Unabhängig-
keit. Frankreich werde deshalb in Rom nichts weiter geltend ma-
chen, als das durch seine Hingebung errungene und wohlverdiente
Recht des guten Rathes. Das Motuproprio enthalte alle Frei-
heiten, deren ein Volk ohne politische Erziehung fähig sey, und
[Ende Spaltensatz]

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[0005] Beilage zum Mainzer Journal. Nro 245. Dienstag, den 16. October. 1849. Deutschland. Koblenz 14. October. Gestern ist auf Befehl der k. Regie- rung der hiesige Turnverein aufgelöst worden. Die Herren hatten statt zu turnen ____________demagogische Politik getrieben. München 13. October. ( A. Z. ) Der Antrag des Mini- steriums auf Einleitung strafrechtlicher Untersuchung und auf Ver- haftung des Abgeordneten Schüler stützt sich, wie ich heute höre, nicht nur auf den Aufruf des Donnersberg vom 5. Mai, sondern auch auf jene Erklärungen desselben Clubs, welche den Austritt aus den Märzvereinen und die Agitation gegen die von Preußen abgelehnte Erbkaiserwürde und gegen particularistische Bestrebungen Bayerns verkündeten. Ferner wird aus der ver- zögerten Erklärung Schülers über seine Erwählung in den Lan- des vertheidigungsausschuß und in die provisorische Regierung der Pfalz eine Beförderung oder Begünstigung der dortigen Be- wegung, dann aus dessen Theilnahme an der Reichsregentschaft und deren Beschlüssen Theilnahme an Bestrebungen zum Um- sturze der bestehenden Regierungen und zur Erregung des Bürger- krieges gefolgert. Advocat Rudhart hat im ersten Ausschusse das Referat über diese Angelegenheit erhalten; dessen Erstattung soll beschleunigt werden. Man glaubte vielseitig, daß heute als am Namensfeste des Königs das Amnestiegesetz in Vorlage kom- men werde; es geschah nicht. Nächste Woche soll ein Gesetz für eine sehr beschränkte Amnestie an die Kammer gelangen. Die in München erscheinenden „Neuesten Nachrichten,“ bis- weilen zu halboffiziellen Kundgebungen benützt, schreiben: Zur näheren Erläuterung der unbegründeten preußischen Forde- rung wegen Besetzung der Pfalz müssen wir bemerken, daß Preußen zur Bewältigung des pfälzischen Aufruhres von Seite Bayerns keineswegs aufgefordert wurde, sondern Bayern den Ein- marsch der Preußen in die Pfalz entschieden ablehnte. Daß Bayern die preußische Jntervention in der Pfalz zurückwies, hat auch darin seinen Grund, weil die bayrische Staatsregierung von den vorigen pfälzischen Abgeordneten im Mai d. J. dringend ange- gangen wurde, „nur keine Truppen in die Pfalz zu schicken.“ Das Staatsministerium wollte daher auf dem Wege der Güte und der Nachsicht den Pfälzern Zeit gönnen, um über ihre Verirrungen zur Besinnung zu kommen; indessen wurde aber doch ein bayrisches Armeekorps aufgestellt, um nöthigenfalls in die Pfalz einzumar- schiren, was auch fast zu gleicher Zeit geschah, als die Preußen von Kreuznach her in die Pfalz einrückten. Die Aufgabe der Preußen mag immerhin in jener Zeit gewesen seyn, die Rebellion im Großherzogthum Baden auf Ansuchen des flüchtigen Großherzogs zu bekämpfen und vielleicht für diesen Zweck die Pfalz als Mili- tärstraße zu durchziehen; aber Das berechtigt sie keineswegs, hierfür von Bayern eine Entschädigung zu verlangen. Es soll auch, wie wir vernommen haben, ein entschiedener Protest von Seite unseres Staatsministeriums gegen die von Preußen ver- fügte Nichtausbezahlung der bayrischen Zollvereinsquote nach Berlin abgegangen seyn. Rastatt 13. October. ( D. Z. ) Durch Bevollmächtigte der Regierung werden gegenwärtig in allen Kreisen des Großherzog- thums alle öffentlichen und den Gemeinden irgend entbehrlichen Gebäude besichtigt, zum Zwecke, darin die preußischen Truppen, welche als Besatzung unseres Landes dableiben, definitiv zu caser- niren, also die Einquartirungslast möglichst zu vermindern. # Mainz 16. October. Stand der Brechruhr. Jn Mainz sind 5 neue Krankheits= und 2 Genesungsfälle, sowie 1 Sterbefall vorgekommen. Dessau 11. October. Anhalt=Dessau wird den Freiheitsmän- nern voraussichtlich die längste Zeit als Musterstaat vorgeleuchtet haben: so eben hat das Ministerium die Abänderung aller derje- nigen Bestimmungen der Verfassung beantragt, welche diese Ver- fassung zu der „weitest vorgeschrittenen“ aller monarchischen Staaten machten. Die Sätze: „Die Verfassung ist eine demokra- tisch=monarchische “ und: „Alle Gewalten gehen vom Volke aus,“ sollen wegfallen; die Aufhebung selbst der Adelsnamen soll in die grundrechtliche Fassung geändert werden: „Der Adel als Stand ist aufgehoben; alle Standesvorrechte sind abgeschafft;“ das Verbot aller Orden und Ordensannahmen wird ebenfalls durch die grundrechtliche Bestimmung ersetzt: „Kein Staatsangehöriger darf von einem nicht=deutschen Staate einen Orden annehmen;“ die Bestimmungen über das Petitions= und Versammlungsrecht erhalten, abermals den Grundrechten entsprechend, den Beisatz, daß dieselben auf die „Volkswehr erster Abtheilung“ nur insoweit Anwendung finden, als die militärischen Disciplinarvorschriften nicht entgegenstehen; der §.: „Der vom Lehrer in der Schule zu ertheilende Religionsunterricht kann nur ein allgemeiner, d. h. ein Unterricht in der auf religiöser Grundlage ruhenden Sitten- lehre seyn; der kirchlich confessionelle ist ausgeschlossen und der Kirche zu überlassen,“ ist wegzulassen; ebenso der Satz, nach welchem die Mitglieder des herzoglichen Hauses sich ohne Zustim- mung des Landtages bei Verlust ihrer Apanage nicht dauernd im Auslande aufhalten, auch nicht fremde Dienste nehmen dürfen. Armes Dessau! Also auch dort hat jetzt, seitdem der Habicht dich nicht mehr unter seine schützenden Flügel nimmt, die Reaction gesiegt! Schweiz. Bern 8. October. ( D. Ref. ) Die bekannte Elisabeth Tschech hat in diesen Tagen plötzlich Bern und die Schweiz verlassen. Ob sie hierzu gezwungen worden oder sich freiwillig dazu entschloß, wissen wir nicht. Sie hat, wie es heißt, neuer- dings von Paris Anerbietungen für die Stellung einer „ Schenk- jungfer “ erhalten, ob sie dieselben, gleich den früheren ( bekanntlich erhielt sie gleich nach dem Attentate ihres Vaters ein solches An- erbieten aus Paris ) , abgeschlagen, ist fraglich, da sie ihren Weg nördlich nach der Pfalz und Straßburg eingeschlagen. Jn diesen Tagen sah man die Freischärler hastig und mit fröhlichen Gesichtern über die Straße rennen, sich zusammenrotten, in die Kaffeehäuser stürzen, wo sie alsdann gierig nach den Zeitungen griffen. Da die Flüchtlinge, wie sie sich ausdrücken, grundsätzlich keine Zeitungen lesen, indem, wie sie dies weiter motiviren, die jetzigen „reactionären“ Blätter doch nichts Gutes brächten und höchstens von den Brosamen ihrer ( der Freischärler ) bisherigen Thaten das Leben noch kümmerlich fristen, so war dieses ihr Herstürzen über die Zeitungen auffallend. Die Mili- tärreibungen in Frankfurt a. M. hatten diese Rührigkeit her- vorgebracht. Jch übertreibe nicht, wenn ich sage, daß diese Un- glücklichen in der Flüchtlingscaserne, die in ihrer jetzigen Lage ihr einziges Heil in einer neuen Revolution erblicken, bei jener Fama schon ihr Bündelchen zu schnüren begannen, um bei einem weiteren Umsichgreifen des unruhigen Geistes gleich bei der Hand zu seyn. Natürlich erfuhren sie bald, daß ihnen der Weg aus der Caserne noch nicht geöffnet ist. Jch gebe Jhnen das unbedeutende Vor- kommniß zur Charakteristik, wie die Flüchtlinge in ihrer jetzigen Lage einen besonderen Stand, ein Revolutionsheer bilden. Wenn Sie in Schweizer Blättern lesen, daß am 6. d. M. Morgens um5 1 / 2 Uhr, das Baden gehörende Kriegsmaterial, bestehend in acht Sechspfündern, zwei Zwölfpfündern und zwei Zweipfündern, zwei Haubitzen, vier Pulver= und Bagagewagen, abgeliefert worden ist, so glauben Sie ja nicht, daß hiermit, wie dies fast in jenen Blättern den Anschein hat, Alles abgeliefert sey. Es sind wenigstens 60 Kanonen mit Zubehör aufs diesseitige Gebiet verschleppt worden und wir haben sie selbst in Zürich auf- gepflanzt gesehen. Es ist daher erst mit der Auslieferung der Anfang gemacht. Frankreich. *** Paris 13. October. Jn der heutigen Sitzung der Na- tionalversammlung las Herr Thiers Namens der Commission seinen Bericht über die römische Frage vor. Das Actenstück ist mit außerordentlicher Feinheit geschrieben und widerlegt den Brief des Präsidenten Schritt für Schritt, ohne den Verfasser desselben je zu nennen, der somit von der bevorstehenden Debatte ganzlich ferngehalten werden soll. Jn Bezug auf die Sache selbst bemerkt Herr Thiers unter Anderem, Frankreich habe allerdings durch die römische Expedition der Freiheit einen Dienst geleistet, denn wären keine Franzosen im Vatikan, so würden sich Oester- reicher dort befinden und diese hätten aller Wahrscheinlichkeit nach in ganz anderer Weise auf den Papst einzuwirken gesucht. Man möge darum die französische Jntervention nur nicht zu gering anschlagen. Was den Papst betreffe, so müsse dieser unabhängig seyn, ohne Souveränetät aber gebe es für ihn keine Unabhängig- keit. Frankreich werde deshalb in Rom nichts weiter geltend ma- chen, als das durch seine Hingebung errungene und wohlverdiente Recht des guten Rathes. Das Motuproprio enthalte alle Frei- heiten, deren ein Volk ohne politische Erziehung fähig sey, und

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Zitationshilfe: Mainzer Journal. Nr. 245. Mainz, 15. Oktober 1849, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_mainzerjournal245_1849/5>, abgerufen am 23.11.2024.