Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 31. Stuttgart/Tübingen, 3. August 1856.[Beginn Spaltensatz]
[Ende Spaltensatz]
Mittagsidylle. Wir haben heut unter den Bäumen geschmaust Am sonnigen blauen Mittage. Der lichte, grüne Wald, er saust' Und erklang vom Finkenschlage. Bald schwiegen die Vögel. Kein Käfer summt, Verschlafen zirpt die Grille. Der laute Wald, er ist verstummt Und versunken in tiefe Stille. Von Kiefernduft und Rebenblut Halbtrunken nickten im Moose Die Männer und Frau'n, das Mädchen ruht', Das kleinste, dem größten im Schoose. Und hinter das größte, das blühende Kind Mit der goldenen Lockenwelle, Schlich leis auf den Zehen und küßte geschwind Sie auf's Mündchen ein loser Geselle. Zuletzt entschliefen die beiden auch, Da kamen zwei girrende Tauben Herangeschwirrt aus Busch und Strauch, Die Brosamen aufzuklauben. Der Käfer. Heut hab' ich im Spazierengehn Einen goldig grünen Käfer gesehn. Der lag im Graben auf dem Rücken, Jch mußte zu ihm mich niederbücken. Die Wand war glatt und abgestochen, [Spaltenumbruch]
Dran wär' er gern hinaufgekrochen. Er rückte und drückte sich auf dem Grund, Bis er auf seinen Füßen stund. Das arme Thier lief hin und wieder, Stützte sich auf und purzelte nieder; Krabbelt' und kletterte, taumelt' und sank, Von langer Arbeit matt und krank. Hinauf zum lieben Sonnenlicht Zu kommen -- es gelang ihm nicht. Er wußte nicht, wie ihm geschah, Verblüfft, verdrossen stand er da. Auf einmal begann er sich zuzustutzen, Und Füß' und Rüssel glatt zu putzen; Er hob die Flügeldecken hoch, Und schnurrend flog er hervor aus dem Loch; Wiegt' in den Lüften sich frei und frisch, Und setzt' sich an den gedeckten Tisch Jn's Gras, im hellen Sonnenschein, Und schaute gar stolz in die Welt hinein. Ei, Käfer, ich hab' meine Freud' an dir, Was bist du für ein gescheites Thier! Wir Narren, wir kriechen und scharren und graben, Und vergessen, daß wir Flügel haben! Die Spinne. Still lauernd in der Ecke sitzt Die Spinne voller Tücken, Sie holt sich Tag für Tag verschmitzt Ein Dutzend dünne Mücken. Wie lang sie das Geschäft schon trieb, Das Rauben und das Morden, Jch weiß es nicht, doch ist der Dieb Ganz sicher schon geworden. Das Handwerk mit dem Besen legt' Jhr heut mein kleinster Bube; Er hat die Mörderin weggefegt Zusammt der Mördergrube. [Beginn Spaltensatz]
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Mittagsidylle. Wir haben heut unter den Bäumen geschmaust Am sonnigen blauen Mittage. Der lichte, grüne Wald, er saust' Und erklang vom Finkenschlage. Bald schwiegen die Vögel. Kein Käfer summt, Verschlafen zirpt die Grille. Der laute Wald, er ist verstummt Und versunken in tiefe Stille. Von Kiefernduft und Rebenblut Halbtrunken nickten im Moose Die Männer und Frau'n, das Mädchen ruht', Das kleinste, dem größten im Schoose. Und hinter das größte, das blühende Kind Mit der goldenen Lockenwelle, Schlich leis auf den Zehen und küßte geschwind Sie auf's Mündchen ein loser Geselle. Zuletzt entschliefen die beiden auch, Da kamen zwei girrende Tauben Herangeschwirrt aus Busch und Strauch, Die Brosamen aufzuklauben. Der Käfer. Heut hab' ich im Spazierengehn Einen goldig grünen Käfer gesehn. Der lag im Graben auf dem Rücken, Jch mußte zu ihm mich niederbücken. Die Wand war glatt und abgestochen, [Spaltenumbruch]
Dran wär' er gern hinaufgekrochen. Er rückte und drückte sich auf dem Grund, Bis er auf seinen Füßen stund. Das arme Thier lief hin und wieder, Stützte sich auf und purzelte nieder; Krabbelt' und kletterte, taumelt' und sank, Von langer Arbeit matt und krank. Hinauf zum lieben Sonnenlicht Zu kommen — es gelang ihm nicht. Er wußte nicht, wie ihm geschah, Verblüfft, verdrossen stand er da. Auf einmal begann er sich zuzustutzen, Und Füß' und Rüssel glatt zu putzen; Er hob die Flügeldecken hoch, Und schnurrend flog er hervor aus dem Loch; Wiegt' in den Lüften sich frei und frisch, Und setzt' sich an den gedeckten Tisch Jn's Gras, im hellen Sonnenschein, Und schaute gar stolz in die Welt hinein. Ei, Käfer, ich hab' meine Freud' an dir, Was bist du für ein gescheites Thier! Wir Narren, wir kriechen und scharren und graben, Und vergessen, daß wir Flügel haben! Die Spinne. Still lauernd in der Ecke sitzt Die Spinne voller Tücken, Sie holt sich Tag für Tag verschmitzt Ein Dutzend dünne Mücken. Wie lang sie das Geschäft schon trieb, Das Rauben und das Morden, Jch weiß es nicht, doch ist der Dieb Ganz sicher schon geworden. Das Handwerk mit dem Besen legt' Jhr heut mein kleinster Bube; Er hat die Mörderin weggefegt Zusammt der Mördergrube. <TEI> <text> <body> <div type="jArticle" n="1"> <pb facs="#f0016" n="736"/> <fw type="pageNum" place="top">736</fw> <cb type="start"/> <div n="2"> <lg type="poem"> <head>Mittagsidylle.</head><lb/> <lg n="1"> <l>Wir haben heut unter den Bäumen geschmaust</l><lb/> <l>Am sonnigen blauen Mittage.</l><lb/> <l>Der lichte, grüne Wald, er saust'</l><lb/> <l>Und erklang vom Finkenschlage.</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Bald schwiegen die Vögel. Kein Käfer summt,</l><lb/> <l>Verschlafen zirpt die Grille.</l><lb/> <l>Der laute Wald, er ist verstummt</l><lb/> <l>Und versunken in tiefe Stille.</l> </lg><lb/> <lg n="3"> <l>Von Kiefernduft und Rebenblut</l><lb/> <l>Halbtrunken nickten im Moose</l><lb/> <l>Die Männer und Frau'n, das Mädchen ruht',</l><lb/> <l>Das kleinste, dem größten im Schoose.</l> </lg><lb/> <lg n="4"> <l>Und hinter das größte, das blühende Kind</l><lb/> <l>Mit der goldenen Lockenwelle,</l><lb/> <l>Schlich leis auf den Zehen und küßte geschwind</l><lb/> <l>Sie auf's Mündchen ein loser Geselle.</l> </lg><lb/> <lg n="5"> <l>Zuletzt entschliefen die beiden auch,</l><lb/> <l>Da kamen zwei girrende Tauben</l><lb/> <l>Herangeschwirrt aus Busch und Strauch,</l><lb/> <l>Die Brosamen aufzuklauben.</l> </lg> </lg> </div><lb/> <div n="2"> <lg type="poem"> <head>Der Käfer.</head><lb/> <lg n="1"> <l>Heut hab' ich im Spazierengehn</l><lb/> <l>Einen goldig grünen Käfer gesehn.</l><lb/> <l>Der lag im Graben auf dem Rücken,</l><lb/> <l>Jch mußte zu ihm mich niederbücken.</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Die Wand war glatt und abgestochen,</l><lb/> <l>Dran wär' er gern hinaufgekrochen.</l><lb/> <l>Er rückte und drückte sich auf dem Grund,</l><lb/> <l>Bis er auf seinen Füßen stund.</l> </lg><lb/> <cb n="2"/> <lg n="3"> <l>Das arme Thier lief hin und wieder,</l><lb/> <l>Stützte sich auf und purzelte nieder;</l><lb/> <l>Krabbelt' und kletterte, taumelt' und sank,</l><lb/> <l>Von langer Arbeit matt und krank.</l> </lg><lb/> <lg n="4"> <l>Hinauf zum lieben Sonnenlicht</l><lb/> <l>Zu kommen — es gelang ihm nicht.</l><lb/> <l>Er wußte nicht, wie ihm geschah,</l><lb/> <l>Verblüfft, verdrossen stand er da.</l> </lg><lb/> <lg n="5"> <l>Auf einmal begann er sich zuzustutzen,</l><lb/> <l>Und Füß' und Rüssel glatt zu putzen;</l><lb/> <l>Er hob die Flügeldecken hoch,</l><lb/> <l>Und schnurrend flog er hervor aus dem Loch;</l> </lg><lb/> <lg n="6"> <l>Wiegt' in den Lüften sich frei und frisch,</l><lb/> <l>Und setzt' sich an den gedeckten Tisch</l><lb/> <l>Jn's Gras, im hellen Sonnenschein,</l><lb/> <l>Und schaute gar stolz in die Welt hinein.</l> </lg><lb/> <lg n="7"> <l>Ei, Käfer, ich hab' meine Freud' an dir,</l><lb/> <l>Was bist du für ein gescheites Thier!</l><lb/> <l>Wir Narren, wir kriechen und scharren und graben,</l><lb/> <l>Und vergessen, daß wir Flügel haben!</l> </lg> </lg> </div><lb/> <div n="2"> <lg type="poem"> <head>Die Spinne.</head><lb/> <lg n="1"> <l>Still lauernd in der Ecke sitzt</l><lb/> <l>Die Spinne voller Tücken,</l><lb/> <l>Sie holt sich Tag für Tag verschmitzt</l><lb/> <l>Ein Dutzend dünne Mücken.</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Wie lang sie das Geschäft schon trieb,</l><lb/> <l>Das Rauben und das Morden,</l><lb/> <l>Jch weiß es nicht, doch ist der Dieb</l><lb/> <l>Ganz sicher schon geworden.</l> </lg><lb/> <lg n="3"> <l>Das Handwerk mit dem Besen legt'</l><lb/> <l>Jhr heut mein kleinster Bube;</l><lb/> <l>Er hat die Mörderin weggefegt</l><lb/> <l>Zusammt der Mördergrube.</l> </lg> </lg> </div> </div><lb/> <cb type="end"/> <space dim="vertical"/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </body> </text> </TEI> [736/0016]
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Mittagsidylle.
Wir haben heut unter den Bäumen geschmaust
Am sonnigen blauen Mittage.
Der lichte, grüne Wald, er saust'
Und erklang vom Finkenschlage.
Bald schwiegen die Vögel. Kein Käfer summt,
Verschlafen zirpt die Grille.
Der laute Wald, er ist verstummt
Und versunken in tiefe Stille.
Von Kiefernduft und Rebenblut
Halbtrunken nickten im Moose
Die Männer und Frau'n, das Mädchen ruht',
Das kleinste, dem größten im Schoose.
Und hinter das größte, das blühende Kind
Mit der goldenen Lockenwelle,
Schlich leis auf den Zehen und küßte geschwind
Sie auf's Mündchen ein loser Geselle.
Zuletzt entschliefen die beiden auch,
Da kamen zwei girrende Tauben
Herangeschwirrt aus Busch und Strauch,
Die Brosamen aufzuklauben.
Der Käfer.
Heut hab' ich im Spazierengehn
Einen goldig grünen Käfer gesehn.
Der lag im Graben auf dem Rücken,
Jch mußte zu ihm mich niederbücken.
Die Wand war glatt und abgestochen,
Dran wär' er gern hinaufgekrochen.
Er rückte und drückte sich auf dem Grund,
Bis er auf seinen Füßen stund.
Das arme Thier lief hin und wieder,
Stützte sich auf und purzelte nieder;
Krabbelt' und kletterte, taumelt' und sank,
Von langer Arbeit matt und krank.
Hinauf zum lieben Sonnenlicht
Zu kommen — es gelang ihm nicht.
Er wußte nicht, wie ihm geschah,
Verblüfft, verdrossen stand er da.
Auf einmal begann er sich zuzustutzen,
Und Füß' und Rüssel glatt zu putzen;
Er hob die Flügeldecken hoch,
Und schnurrend flog er hervor aus dem Loch;
Wiegt' in den Lüften sich frei und frisch,
Und setzt' sich an den gedeckten Tisch
Jn's Gras, im hellen Sonnenschein,
Und schaute gar stolz in die Welt hinein.
Ei, Käfer, ich hab' meine Freud' an dir,
Was bist du für ein gescheites Thier!
Wir Narren, wir kriechen und scharren und graben,
Und vergessen, daß wir Flügel haben!
Die Spinne.
Still lauernd in der Ecke sitzt
Die Spinne voller Tücken,
Sie holt sich Tag für Tag verschmitzt
Ein Dutzend dünne Mücken.
Wie lang sie das Geschäft schon trieb,
Das Rauben und das Morden,
Jch weiß es nicht, doch ist der Dieb
Ganz sicher schon geworden.
Das Handwerk mit dem Besen legt'
Jhr heut mein kleinster Bube;
Er hat die Mörderin weggefegt
Zusammt der Mördergrube.
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