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Social-politische Blätter. 2. Jahrgang, 7. Lieferung, Nr. 2. Berlin, 10. Juli 1874.

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Zur Unterhaltung und Belehrung. 158
[Beginn Spaltensatz]

Gestohlen wird bekanntlich hier zu Lande nicht. Wie sollte
auch die Nation den eigenen Palast bestehlen? Oder haben Sie
je von einem Privatmann gehört, der sich bestohlen?

-- Jch mußte lachen, so eindringlich und naiv zugleich kam
mir dieses Wort vor.

Er beschrieb nun weiter. Auf dem vergoldeten Dach ragt
eine riesenhafte Bildsäule in die Lüfte, sie ist gleichfalls ver-
goldet. Sie erhebt sich über die vielen Thürme des Palastes
und überschaut die Stadt. Jn dem Garten ringsum stehen
Bildnisse großer Männer und Frauen, die um den Staat sich
verdient machten; auch viele sonstige Statuen, Nachahmungen der
Kunstbilder der Vorzeit, oder auch geschichtliche Personen und
Scenen vergegenwärtigend; theils in Marmor, theils in Erz;
auch da fehlen Vergoldungen nicht.

Es giebt noch viele öffentliche Plätze in der Stadt. Es
ziehen sich gleichsam zwei Ringe, aus lauter Prachtplätzen, " Volks-
parke " oder "Nationalgärten" genannt, bestehend, durch die Stadt
und um den Jnselgarten in weiter Entfernung herum. Jm klei-
neren dieser Ringe liegen zwanzig Plätze, ähnlich dem Jnselplatz,
mit kleineren Palästen; im größern Ringe sind gar vierzig sol-
cher Plätze.

Gehen wir jetzt an Betrachtung der Straßen dieser einzigen
Stadt. Fünfzig Straßen laufen parallel mit dem Fluß, und
fünfzig gehen senkrecht auf ihn zu. Die übrigen Straßen sind
kleiner. Die schwarz gezeichneten auf diesem Grundriß haben
Baumalleen; sie laufen nach den Plätzen; die zehn großen rothen
sind Eisenstraßen, d. h. Straßen mit Geleisen aus Eisenschienen;
die gelben haben hölzerne oder steinerne oder gestampfte Geleise.
Die Kanalstraßen sind blau angegeben. Sie bemerken durchweg
eine ungeheure Anzahl rosenfarbiger Streifen; das sind Stadt-
oder Straßengärtchen, hinter den Häusern.

[Spaltenumbruch]

Die sechzig Stadtviertel, mit Farben abgegrenzt, sind eben
so viele Gemeinden, aus denen diese kolossale Reichshauptstadt
zusammen gesetzt ist. Sie sind sowohl an Bevölkerung als an
Raum sich gleich oder beinahe gleich, jede so groß wie eine ge-
wöhnliche Gemeindehauptstadt.

Betrachten wir einmal die Karte irgend eines dieser Viertel.
Die öffentlichen Gebäude sind gemalt. Da die Schule, das
Hospital, der Tempel.

Jedes Viertel trägt einen besonderen Namen, nach einer der
sechzig bedeutendsten Städte der alten und der neuen Welt; jedes
Viertel stellt in seinen Denkmälern und Häusern, sowohl öffent-
lichen wie privaten, die Bauart einer dieser sechzig Städte dar.
So z. B. findet sich ein Quartier Athen, ein Quartier Rom,
ein Quartier Paris, ein Quartier Jerusalem, ein Quartier Lon-
don u. s. w. Die Stadt Jkara ist auf diese Weise ein Auszug
des Erdkreises.

-- Die rothen Flecken auf diesem Plan sind die National-
werkstätten ( übrigens giebt es nur solche, da Privatwerkstätten
hier zu Lande unmöglich sind ) . Gelb gezeichnet sind die Maga-
zine, blau sind die Versammlungsgebäude, grün die Monu-
mente auf diesem Risse. Wohl zu bemerken ist, daß diese Ge-
bäude der Allgemeinheit durch die Stadt so vertheilt sind, daß
fast jede Straße ein bis zwei bis drei besitzt. Die Straßen
sind auch recht sinnreich angelegt; sechzehn Häuser ( da, heben Sie
mal gefälligst einen Grundriß irgend einer Straße herab ) auf
jeder Seite; in der Mitte ein öffentliches Gebäude, und eines
auf jedem der zwei Enden. Die sechzehn Privatwohnungen sind
einander gleich und laufen beinahe unter demselben Dache.

Keine Straße aber gleicht der andern, und dadurch vermeidet
man die langweilige Gleichförmigkeit, die bei andrer Anordnung
leicht sich einstellen könnte.

[Ende Spaltensatz]

( Fortsetzung folgt ) .



[Beginn Spaltensatz]
Der Dank eines Bourgeois.

Der Banquier W., der erste ungarische Jndustrielle, welcher
bewies, daß man auch bei uns reich werden könne, wenn man
Verstand, Unternehmungsgeist und noch dazu Glück hat, lebte in
sehr freundschaftlichen Beziehungen zu dem damaligen ersten Vize-
gespan des Pester Comitates P. N.... y. Unter Anderem war
P. N... y der Taufpathe des Banquiers. Allerdings war das
Taufkind fünfzig, der Taufpathe aber nur dreißig Jahre alt;
allein diese Situation wird sofort durch den Umstand erklärlich,
daß Banquier W. bis zu seinem fünfzigsten Jahre Anhänger
des mosaischen Glaubens, ja sogar ein eifriger und angesehener
Vorstand dieser Glaubensgemeinde war.

Eines Morgens besuchte W. den Vizegespan und sprach
zu ihm:

-- Jch bitte Sie, meine Taufpathe zu sein; ich will Cal-
viner werden.

-- Jch stehe Jhnen zu Diensten, antwortete P. N.... y.
aber warum gerade Calviner? Warum nicht gleich Katholik?
Das ist die herrschende Religion und sie bietet Demjenigen, der
zu ihr übertritt, die meisten Vortheile.

-- Das ist wahr, sagte der Banquier; allein die Sache steht
so: Das Aerar hat soeben den Pacht für die Kammeralgüter
im Banat ausgeschrieben. Für die Konkurrenz ist nur eine drei-
tägige Frist gesetzt, offenbar aus dem Grunde, damit dieser
Pacht das Monopol der Wiener Banquiers bleibe. Jch will
ihnen diesen Bissen wegschnappen durch ein so hohes Offert,
von welchem sie sich nichts träumen lassen. Das Geschäst wird
noch immer ein sehr gutes sein. Allein es können nur Christen
konkurriren. Um zu siegen, muß ich mich also taufen lassen.
Wenn ich zu den Kathokiken übertrete, machen diese so lang-
wierige Ceremonien, daß ich zur Offertverhandlung zu spät
[Spaltenumbruch] komme. Bei den Calvinern kann ich noch heut übertreten, mor-
gen nach Wien reisen und übermorgen habe ich den Pacht von
der Kammer. Meinen Sohn will ich dann schon katholisch
taufen, der hat Zeit dazu.

So wurde P. N.... y der Taufpathe W's., W. Calviner,
sein Sohn Katholik, während die Tochter den Glauben ihres
Vaters beibehielt.

Es war das ein wunderschönes Mädchen, das Prototyp eines
Sulamith, dieser idealen Gestalt aus dem Liede der Lieder und
P. N.... y war selber ein großer Bewunderer ihrer Reize.
Der Banquier wäre auch geneigt gewesen, dem Vizegespan seine
Tochter zu geben; er meinte, das wäre keine schlechte Partie.
Aber P. N.... y hatte schärfere Augen. Bei seinen Besuchen
im Hause des Banquiers merkte er, daß die Strahlen aus den
schönen schwarzen Augen des Fräuleins bereits einen anderen
Planeten erleuchteten, den Herrn Max Z., einen schwärmerischen
dunkelgelockten Jüngling und P. N.... y wollte zwischen diesen
Beiden keine Sonnenfinsterniß herbeiführen.

Max Z. war Buchhalter im Bureau des Banquiers, ein
tüchtiger, fleißiger, verständiger, junger Mnnn von tadellosem
Lebenswandel; ein alter, treuer Beamter, welcher den ganzen
Tag über im Bureau neben dem Privatarbeitszimmer seines
Chefs arbeitete. Die ganze Familie hielt ihn in Ehren, er
hatte für die schönen schwarzen Augen nicht zu unterschätzende
Chancen.

Eines Morgens stürzte der Banquier beim Vizegespan
P. N.... y plötzlich zur Thüre herein.

Er kam unbedeckten Hauptes, blos mit dem Hausrocke an-
gethan, der nicht einmal zugeknöpft war, die Schleife der Hals-
binde befand sich hinten am Halswirbel, die Füße steckten in
den Hauspantoffeln, er war kaum in Stande, ein Wort hervor-
zubringen, so hatte ihm das Laufen den Athem verschlagen.

[Ende Spaltensatz]
Zur Unterhaltung und Belehrung. 158
[Beginn Spaltensatz]

Gestohlen wird bekanntlich hier zu Lande nicht. Wie sollte
auch die Nation den eigenen Palast bestehlen? Oder haben Sie
je von einem Privatmann gehört, der sich bestohlen?

— Jch mußte lachen, so eindringlich und naiv zugleich kam
mir dieses Wort vor.

Er beschrieb nun weiter. Auf dem vergoldeten Dach ragt
eine riesenhafte Bildsäule in die Lüfte, sie ist gleichfalls ver-
goldet. Sie erhebt sich über die vielen Thürme des Palastes
und überschaut die Stadt. Jn dem Garten ringsum stehen
Bildnisse großer Männer und Frauen, die um den Staat sich
verdient machten; auch viele sonstige Statuen, Nachahmungen der
Kunstbilder der Vorzeit, oder auch geschichtliche Personen und
Scenen vergegenwärtigend; theils in Marmor, theils in Erz;
auch da fehlen Vergoldungen nicht.

Es giebt noch viele öffentliche Plätze in der Stadt. Es
ziehen sich gleichsam zwei Ringe, aus lauter Prachtplätzen, „ Volks-
parke “ oder „Nationalgärten“ genannt, bestehend, durch die Stadt
und um den Jnselgarten in weiter Entfernung herum. Jm klei-
neren dieser Ringe liegen zwanzig Plätze, ähnlich dem Jnselplatz,
mit kleineren Palästen; im größern Ringe sind gar vierzig sol-
cher Plätze.

Gehen wir jetzt an Betrachtung der Straßen dieser einzigen
Stadt. Fünfzig Straßen laufen parallel mit dem Fluß, und
fünfzig gehen senkrecht auf ihn zu. Die übrigen Straßen sind
kleiner. Die schwarz gezeichneten auf diesem Grundriß haben
Baumalleen; sie laufen nach den Plätzen; die zehn großen rothen
sind Eisenstraßen, d. h. Straßen mit Geleisen aus Eisenschienen;
die gelben haben hölzerne oder steinerne oder gestampfte Geleise.
Die Kanalstraßen sind blau angegeben. Sie bemerken durchweg
eine ungeheure Anzahl rosenfarbiger Streifen; das sind Stadt-
oder Straßengärtchen, hinter den Häusern.

[Spaltenumbruch]

Die sechzig Stadtviertel, mit Farben abgegrenzt, sind eben
so viele Gemeinden, aus denen diese kolossale Reichshauptstadt
zusammen gesetzt ist. Sie sind sowohl an Bevölkerung als an
Raum sich gleich oder beinahe gleich, jede so groß wie eine ge-
wöhnliche Gemeindehauptstadt.

Betrachten wir einmal die Karte irgend eines dieser Viertel.
Die öffentlichen Gebäude sind gemalt. Da die Schule, das
Hospital, der Tempel.

Jedes Viertel trägt einen besonderen Namen, nach einer der
sechzig bedeutendsten Städte der alten und der neuen Welt; jedes
Viertel stellt in seinen Denkmälern und Häusern, sowohl öffent-
lichen wie privaten, die Bauart einer dieser sechzig Städte dar.
So z. B. findet sich ein Quartier Athen, ein Quartier Rom,
ein Quartier Paris, ein Quartier Jerusalem, ein Quartier Lon-
don u. s. w. Die Stadt Jkara ist auf diese Weise ein Auszug
des Erdkreises.

— Die rothen Flecken auf diesem Plan sind die National-
werkstätten ( übrigens giebt es nur solche, da Privatwerkstätten
hier zu Lande unmöglich sind ) . Gelb gezeichnet sind die Maga-
zine, blau sind die Versammlungsgebäude, grün die Monu-
mente auf diesem Risse. Wohl zu bemerken ist, daß diese Ge-
bäude der Allgemeinheit durch die Stadt so vertheilt sind, daß
fast jede Straße ein bis zwei bis drei besitzt. Die Straßen
sind auch recht sinnreich angelegt; sechzehn Häuser ( da, heben Sie
mal gefälligst einen Grundriß irgend einer Straße herab ) auf
jeder Seite; in der Mitte ein öffentliches Gebäude, und eines
auf jedem der zwei Enden. Die sechzehn Privatwohnungen sind
einander gleich und laufen beinahe unter demselben Dache.

Keine Straße aber gleicht der andern, und dadurch vermeidet
man die langweilige Gleichförmigkeit, die bei andrer Anordnung
leicht sich einstellen könnte.

[Ende Spaltensatz]

( Fortsetzung folgt ) .



[Beginn Spaltensatz]
Der Dank eines Bourgeois.

Der Banquier W., der erste ungarische Jndustrielle, welcher
bewies, daß man auch bei uns reich werden könne, wenn man
Verstand, Unternehmungsgeist und noch dazu Glück hat, lebte in
sehr freundschaftlichen Beziehungen zu dem damaligen ersten Vize-
gespan des Pester Comitates P. N.... y. Unter Anderem war
P. N... y der Taufpathe des Banquiers. Allerdings war das
Taufkind fünfzig, der Taufpathe aber nur dreißig Jahre alt;
allein diese Situation wird sofort durch den Umstand erklärlich,
daß Banquier W. bis zu seinem fünfzigsten Jahre Anhänger
des mosaischen Glaubens, ja sogar ein eifriger und angesehener
Vorstand dieser Glaubensgemeinde war.

Eines Morgens besuchte W. den Vizegespan und sprach
zu ihm:

— Jch bitte Sie, meine Taufpathe zu sein; ich will Cal-
viner werden.

— Jch stehe Jhnen zu Diensten, antwortete P. N.... y.
aber warum gerade Calviner? Warum nicht gleich Katholik?
Das ist die herrschende Religion und sie bietet Demjenigen, der
zu ihr übertritt, die meisten Vortheile.

— Das ist wahr, sagte der Banquier; allein die Sache steht
so: Das Aerar hat soeben den Pacht für die Kammeralgüter
im Banat ausgeschrieben. Für die Konkurrenz ist nur eine drei-
tägige Frist gesetzt, offenbar aus dem Grunde, damit dieser
Pacht das Monopol der Wiener Banquiers bleibe. Jch will
ihnen diesen Bissen wegschnappen durch ein so hohes Offert,
von welchem sie sich nichts träumen lassen. Das Geschäst wird
noch immer ein sehr gutes sein. Allein es können nur Christen
konkurriren. Um zu siegen, muß ich mich also taufen lassen.
Wenn ich zu den Kathokiken übertrete, machen diese so lang-
wierige Ceremonien, daß ich zur Offertverhandlung zu spät
[Spaltenumbruch] komme. Bei den Calvinern kann ich noch heut übertreten, mor-
gen nach Wien reisen und übermorgen habe ich den Pacht von
der Kammer. Meinen Sohn will ich dann schon katholisch
taufen, der hat Zeit dazu.

So wurde P. N.... y der Taufpathe W's., W. Calviner,
sein Sohn Katholik, während die Tochter den Glauben ihres
Vaters beibehielt.

Es war das ein wunderschönes Mädchen, das Prototyp eines
Sulamith, dieser idealen Gestalt aus dem Liede der Lieder und
P. N.... y war selber ein großer Bewunderer ihrer Reize.
Der Banquier wäre auch geneigt gewesen, dem Vizegespan seine
Tochter zu geben; er meinte, das wäre keine schlechte Partie.
Aber P. N.... y hatte schärfere Augen. Bei seinen Besuchen
im Hause des Banquiers merkte er, daß die Strahlen aus den
schönen schwarzen Augen des Fräuleins bereits einen anderen
Planeten erleuchteten, den Herrn Max Z., einen schwärmerischen
dunkelgelockten Jüngling und P. N.... y wollte zwischen diesen
Beiden keine Sonnenfinsterniß herbeiführen.

Max Z. war Buchhalter im Bureau des Banquiers, ein
tüchtiger, fleißiger, verständiger, junger Mnnn von tadellosem
Lebenswandel; ein alter, treuer Beamter, welcher den ganzen
Tag über im Bureau neben dem Privatarbeitszimmer seines
Chefs arbeitete. Die ganze Familie hielt ihn in Ehren, er
hatte für die schönen schwarzen Augen nicht zu unterschätzende
Chancen.

Eines Morgens stürzte der Banquier beim Vizegespan
P. N.... y plötzlich zur Thüre herein.

Er kam unbedeckten Hauptes, blos mit dem Hausrocke an-
gethan, der nicht einmal zugeknöpft war, die Schleife der Hals-
binde befand sich hinten am Halswirbel, die Füße steckten in
den Hauspantoffeln, er war kaum in Stande, ein Wort hervor-
zubringen, so hatte ihm das Laufen den Athem verschlagen.

[Ende Spaltensatz]
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Es ziehen sich gleichsam zwei Ringe, aus lauter Prachtplätzen, „ Volks- parke “ oder „Nationalgärten“ genannt, bestehend, durch die Stadt und um den Jnselgarten in weiter Entfernung herum. Jm klei- neren dieser Ringe liegen zwanzig Plätze, ähnlich dem Jnselplatz, mit kleineren Palästen; im größern Ringe sind gar vierzig sol- cher Plätze. Gehen wir jetzt an Betrachtung der Straßen dieser einzigen Stadt. Fünfzig Straßen laufen parallel mit dem Fluß, und fünfzig gehen senkrecht auf ihn zu. Die übrigen Straßen sind kleiner. Die schwarz gezeichneten auf diesem Grundriß haben Baumalleen; sie laufen nach den Plätzen; die zehn großen rothen sind Eisenstraßen, d. h. Straßen mit Geleisen aus Eisenschienen; die gelben haben hölzerne oder steinerne oder gestampfte Geleise. Die Kanalstraßen sind blau angegeben. Sie bemerken durchweg eine ungeheure Anzahl rosenfarbiger Streifen; das sind Stadt- oder Straßengärtchen, hinter den Häusern. Die sechzig Stadtviertel, mit Farben abgegrenzt, sind eben so viele Gemeinden, aus denen diese kolossale Reichshauptstadt zusammen gesetzt ist. Sie sind sowohl an Bevölkerung als an Raum sich gleich oder beinahe gleich, jede so groß wie eine ge- wöhnliche Gemeindehauptstadt. Betrachten wir einmal die Karte irgend eines dieser Viertel. Die öffentlichen Gebäude sind gemalt. Da die Schule, das Hospital, der Tempel. Jedes Viertel trägt einen besonderen Namen, nach einer der sechzig bedeutendsten Städte der alten und der neuen Welt; jedes Viertel stellt in seinen Denkmälern und Häusern, sowohl öffent- lichen wie privaten, die Bauart einer dieser sechzig Städte dar. So z. B. findet sich ein Quartier Athen, ein Quartier Rom, ein Quartier Paris, ein Quartier Jerusalem, ein Quartier Lon- don u. s. w. Die Stadt Jkara ist auf diese Weise ein Auszug des Erdkreises. — Die rothen Flecken auf diesem Plan sind die National- werkstätten ( übrigens giebt es nur solche, da Privatwerkstätten hier zu Lande unmöglich sind ) . Gelb gezeichnet sind die Maga- zine, blau sind die Versammlungsgebäude, grün die Monu- mente auf diesem Risse. Wohl zu bemerken ist, daß diese Ge- bäude der Allgemeinheit durch die Stadt so vertheilt sind, daß fast jede Straße ein bis zwei bis drei besitzt. Die Straßen sind auch recht sinnreich angelegt; sechzehn Häuser ( da, heben Sie mal gefälligst einen Grundriß irgend einer Straße herab ) auf jeder Seite; in der Mitte ein öffentliches Gebäude, und eines auf jedem der zwei Enden. Die sechzehn Privatwohnungen sind einander gleich und laufen beinahe unter demselben Dache. Keine Straße aber gleicht der andern, und dadurch vermeidet man die langweilige Gleichförmigkeit, die bei andrer Anordnung leicht sich einstellen könnte. ( Fortsetzung folgt ) . Der Dank eines Bourgeois. Der Banquier W., der erste ungarische Jndustrielle, welcher bewies, daß man auch bei uns reich werden könne, wenn man Verstand, Unternehmungsgeist und noch dazu Glück hat, lebte in sehr freundschaftlichen Beziehungen zu dem damaligen ersten Vize- gespan des Pester Comitates P. N.... y. Unter Anderem war P. N... y der Taufpathe des Banquiers. Allerdings war das Taufkind fünfzig, der Taufpathe aber nur dreißig Jahre alt; allein diese Situation wird sofort durch den Umstand erklärlich, daß Banquier W. bis zu seinem fünfzigsten Jahre Anhänger des mosaischen Glaubens, ja sogar ein eifriger und angesehener Vorstand dieser Glaubensgemeinde war. Eines Morgens besuchte W. den Vizegespan und sprach zu ihm: — Jch bitte Sie, meine Taufpathe zu sein; ich will Cal- viner werden. — Jch stehe Jhnen zu Diensten, antwortete P. N.... y. aber warum gerade Calviner? Warum nicht gleich Katholik? Das ist die herrschende Religion und sie bietet Demjenigen, der zu ihr übertritt, die meisten Vortheile. — Das ist wahr, sagte der Banquier; allein die Sache steht so: Das Aerar hat soeben den Pacht für die Kammeralgüter im Banat ausgeschrieben. Für die Konkurrenz ist nur eine drei- tägige Frist gesetzt, offenbar aus dem Grunde, damit dieser Pacht das Monopol der Wiener Banquiers bleibe. Jch will ihnen diesen Bissen wegschnappen durch ein so hohes Offert, von welchem sie sich nichts träumen lassen. Das Geschäst wird noch immer ein sehr gutes sein. Allein es können nur Christen konkurriren. Um zu siegen, muß ich mich also taufen lassen. Wenn ich zu den Kathokiken übertrete, machen diese so lang- wierige Ceremonien, daß ich zur Offertverhandlung zu spät komme. Bei den Calvinern kann ich noch heut übertreten, mor- gen nach Wien reisen und übermorgen habe ich den Pacht von der Kammer. Meinen Sohn will ich dann schon katholisch taufen, der hat Zeit dazu. So wurde P. N.... y der Taufpathe W's., W. Calviner, sein Sohn Katholik, während die Tochter den Glauben ihres Vaters beibehielt. Es war das ein wunderschönes Mädchen, das Prototyp eines Sulamith, dieser idealen Gestalt aus dem Liede der Lieder und P. N.... y war selber ein großer Bewunderer ihrer Reize. Der Banquier wäre auch geneigt gewesen, dem Vizegespan seine Tochter zu geben; er meinte, das wäre keine schlechte Partie. Aber P. N.... y hatte schärfere Augen. Bei seinen Besuchen im Hause des Banquiers merkte er, daß die Strahlen aus den schönen schwarzen Augen des Fräuleins bereits einen anderen Planeten erleuchteten, den Herrn Max Z., einen schwärmerischen dunkelgelockten Jüngling und P. N.... y wollte zwischen diesen Beiden keine Sonnenfinsterniß herbeiführen. Max Z. war Buchhalter im Bureau des Banquiers, ein tüchtiger, fleißiger, verständiger, junger Mnnn von tadellosem Lebenswandel; ein alter, treuer Beamter, welcher den ganzen Tag über im Bureau neben dem Privatarbeitszimmer seines Chefs arbeitete. Die ganze Familie hielt ihn in Ehren, er hatte für die schönen schwarzen Augen nicht zu unterschätzende Chancen. Eines Morgens stürzte der Banquier beim Vizegespan P. N.... y plötzlich zur Thüre herein. Er kam unbedeckten Hauptes, blos mit dem Hausrocke an- gethan, der nicht einmal zugeknöpft war, die Schleife der Hals- binde befand sich hinten am Halswirbel, die Füße steckten in den Hauspantoffeln, er war kaum in Stande, ein Wort hervor- zubringen, so hatte ihm das Laufen den Athem verschlagen.

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Zitationshilfe: Social-politische Blätter. 2. Jahrgang, 7. Lieferung, Nr. 2. Berlin, 10. Juli 1874, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_social0702_1874/6>, abgerufen am 23.11.2024.