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Social-politische Blätter. 2. Jahrgang, 8. Lieferung, Nr. 4. Berlin, 22. August 1874.

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Zur Unterhaltung und Belehrung. 211
[Beginn Spaltensatz] fährlich sein; etwas Kamillenthee bringt Alles wieder in's Geleise.

Jch konnte dieser Ansicht um so weniger beipflichten, als ich
sah, daß der Schleim, den Fritz auswarf, blatig war.

-- Was verschafft mir die Ehre? wandte sich dieser endlich
zu mir, nachdem er wieder die Sprache gewonnen hatte.

-- Welchen Gehalt beziehen Sie jetzt! lautete meine Ge-
genfrage?

-- Hm! Warum -- Weshalb -- Nun 12 Thlr. monatlich.

-- 12 Thlr. monatlich? rief ich erstaunt. Blos für 12 Thlr.
ist Jhr Körper so dahin gewelkt? Blos für 12 Thlr. monatlich
sind Jhre Augen der Blindheit, Sie selber dem Tode nahe?
Blos für 12 Thlr. monatlich quälten Sie sich Tag und Nacht?
Das ist unglaublich!

-- Ja -- Hm -- murmelte der Schreiber verwirrt, mein
Herr ich verstehe Sie nicht -- kurz und gut, ich bin zufrieden. --

Man sah, wie der arme Mensch nach einer etwas gereizten
Entgegnung suchte und doch nur einzelner Phrasen mächtig war.

-- Nein, fuhr ich fort, in dieser Stellung dürfen Sie nicht
länger verweilen. Mein lieber Hiller, Jhre Noth hat ein Ende!
Etwa 20 Meilen von hier liegt mein Gut. Dort finden Sie
Beschäftigung vollauf. Jch sichere Jhnen freie Station und
15 Thlr. monatlichen Gehalt zu. Jhre Mutter nehmen Sie
natürlich mit. Vorwärts, schlagen Sie ein.

Aber der junge Mann nahm zu meiner Ueberraschung die
dargebotene Hand nicht, sondern schüttelte verneinend mit dem
Kopfe.

Jch habe Jhnen gesagt, begann er dann, ich bin zufrieden.
Jch habe mein gutes Auskommen und -- hierbei hob Fritz stolz
die Brust, die vielleicht vom Tode schon längst in Besitz ge-
nommen war -- ich bin Beamter! mein Vorgesetzter benahm sich
immer wie ein Vater gegen mich -- --

-- Vergangene Weihnacht schenkte er ihm 5 Thaler! fiel
die Mutter mit gewissem Stolz ein.

-- Und wie gesagt, obgleich -- --

-- Und dann Zeug zur Weste und Nüsse, Aepfel -- --

-- Aber Mutter laß mich doch ausreden! Herr F. hat mir
sogar den Posten als erster Sekretair in Aussicht gestellt. Und
dann möchte ich auch meine Geburtsstadt nicht verlassen; wo ich
geboren, will ich sterben.

-- Du hast Recht Fritz! bekräftigte die Mutter.

-- Aber wandte ich ein, Sie sind noch jung! Die Welt
steht Jhnen offen! Sie wollen doch im Bureau nicht ganz ver-
kommen? Dieser Aktenstaub wird Jhnen noch tödtlich werden!
Besinnen Sie Sich -- --

-- Ja, wenn es nicht so weit wäre! fuhr der junge Mann
fort, aber 20 Meilen! -- Nein, nein! -- Das geht nicht.
Früher, ja ich erinnere mich wohl, da wäre ich eher darauf ein-
gegangen, da hatte ich noch allerhand Pläne. Aber jene Zeit
ist längst vorbei. Nein, mein Herr, ich danke Jhnen. Es ist
für mich besser hier zu bleiben. Nicht wahr Mutter?

-- Der Gehalt ist allerdings ziemlich groß, sagte diese, aber
wir sind auch hier noch nicht hungrig zu Bett gegangen. Auch
werde und kann ich diese Stadt nie verlassen.

-- Ja, bei solchen Ansichten mögen Sie in Jhrer Weise
Recht haben. Jch wünsche nur, daß Sie es nie bereuen, mein
Anerbieten ausgeschlagen zu haben. Mit diesen Worten empfahl
ich mich.

Es ist mir unmöglich alle die Empfindungen zu beschreiben,
welche mich nach dieser Unterredung peinigten.

Hier ein junger Mann, der in seiner Jugend von einem
gewissenlosen Manne, einem treuen Abbild der nordamerikanischen
Pflanzer, anfangs für den Preis einiger Kleidungsstücke auf das
angestrengteste beschäftigt worden, der es in 13 Jahren zu nichts
weiter gebracht hatte, als zum Titel eines armseligen Schreibers
mit einem monatlichen Gehalt von 12 Thlr. und dort einen Ar-
beitgeber, der von den Früchten des Fleißes seiner Untergebenen
schwelgte, einen Arbeitgeber, der sich als Anhänger einer Partei
pries, die ja auch die materielle Hebung des Menschen zu be-
zwecken sucht.

Jch hätte bei dieser Betrachtung irre an der Vorsehung
werden können.

Lebhaft erinnerte ich mich eines Ausspruches von Börne,
den auch unser herrlicher Lassalle bei ähnlicher Gelegenheit citirt
hatte: Der Deutsche ist ein Sklave, der keiner Kette bedarf, denn
er macht doch keinen Versuch sich zu befreien.

Jn diesem unglücklichen Menschen, diesem Arbeiter im wahren
Sinne des Wortes traf ich unerwartet einen würdigen Reprä-
[Spaltenumbruch] sentanten jener bemitleidenswerthen Arbeiterklassen, jener weißen
Sklaven an, die in der Unwürdigkeit, in dem Schmutz ihrer
Stellung gänzlich untergegangen, sich selbst nicht wieder erkennen,
welche nur taugen zur Schmeichelei und Sklaverei und welche
allen edleren Genüssen, die uns Allen, hört ihr es wohl, Allen!
zukommen, gänzlich abgestorben sind.

Wehe uns, wenn dieser unselige Zustand allgemeiner wird!
Wie die Pest das volle Leben, sei es im alternden Greise, sei
es im blühenden Jüngling, unbarmherzig vernichtet, so wird vor
seinem Gifthauch die Tugend weichen, das Schöne vergehen, die
Freiheit zu einem Schattenbilde herabsinken.

O, Lassalle wußte es wohl, warum er Euch deutsche Arbeiter
so eindringlich vor dem Gebahren des Fortschrittlerthums warnte,
er wußte, daß ihr Mittel gegen die Kanonen der Reaktion be-
sitzet, daß ihr aber waffenlos gegen die Almosen, gegen die elen-
den Abschlagzahlungen des Fortschrittlerthums seid, jener erbärm-
lichen Partei, die eure Verdienste anerkennt und belobt und euch
trotzdem um die Belohnung derselben betrügen will. -- -- --

Kurze Zeit nach dem Besuche bei Hiller verließ ich die
Stadt. Als ich wieder zurückkehrte und meines Prozesses wegen
abermals das Bureau jenes Advokaten aufsuchen mußte, fand
ich den Platz Hillers von einem Fremden besetzt.

Jch erkundigte mich nach ihm.

-- Er ist krank, sehr krank, lautete die Antwort.

Jch fühlte bei diesen Worte ein geheimes Grauen. Es
war, als ob sich eine von mir längst gehegte, dunkle Ahnung be-
stättigen wollte.

Jch begab mich in Hillers Wohnung. Er hütete das Bette,
auf welchem seine Mutter emsig strickend saß.

-- Suchen Sie mich? frug sie.

-- Ja, was macht der Kranke?

-- Ach Gott, weinte die arme Mutter, mit dem geht es
schlecht, sehr schlecht, -- und das währt nun schon fünf Monate.

Jch ergriff die hagere Hand des Unglücklichen, aber erst
nachdem ich einige Worte mit ihm gewechselt hatte, erkannte
er mich.

-- Das ist schön -- daß Sie mich -- besuchen, sagte er
matt und oft von jenem trocknem, heisern Husten unterbrochen,
der den Tod so gut wie das Krächzen des Sturmvogels das
Unwetter verkündet, und während seine schmerzerfüllten Züge
von einem trüben Lächeln erhellt wurden.

Kennt der Leser das Lächeln eines Todtkranken vielleicht?
O das schneidet tief, tief in das Herz jedes fühlenden Menschen;
das zeigt die erduldeten Qualen deutlicher wie der gellende
Schmerzensschrei, wie die rührendste Schilderung an, in diesem
Lächeln kann jeder Menschenkenner eine Geschichte, reich an den
gräßlichsten Scenen, überfüllt von den fürchterlichsten Martern
des welkenden Herzens lesen.

-- Das ist schön, daß Sie mich besuchen, murmelte der
Kranke von Neuem, während ich, keines Wortes mächtig, seine
schmächtigen Finger drückte.

-- Jhnen ist wohl kalt? frug mich die Frau, die mich un-
ausgesetzt beobachtet hatte.

-- Allerdings! gestand ich, denn der Frost, der in der Stube
herrschte, war auch in der That unerträglich.

-- Ach, die theure Medizin, klagte das arme Weib, auch
nicht ein Spähnchen ist vorräthig.

Jch gab ihr Geld und mit froher Miene entfernte sie sich.

-- Sind Jhre Leiden sehr groß, frug ich den Kranken.

-- Ach, sagte dieser, ich glaube, ich muß sterben.

-- Das wolle Gott nicht! sprach ich tröstend. Geben Sie
nicht so schnell die Hoffnung auf. Sie sind noch jung!

-- Ja, ja, sagte er mit rührender Festigkeit, ich sterbe! --
ich sterbe und lasse meine arme, arme Mutter zurück in Noth
und Elend. Womit habe ich das verdient? Nein, nein, reden
Sie nicht! rief er, ich weiß es, ich sterbe! Aber wissen Sie,
fuhr er nach einer Weile fort, wenn es hier in der Stube recht
warm wäre und wenn ich -- hier sank seine Stimme zu einem
leisen Flüstern herab, etwas recht Stärkendes essen könnte, dann
vielleicht -- könnte -- ich -- geheilt werden.

-- Und das soll auch geschehen, sprach ich, aber jetzt stren-
gen Sie sich nicht zu sehr an. Jch werde schnell zum Arzt eilen.

Damit verließ ich ihn. Als ich zurückkehrte, war er geheilt,
war er todt, aber dieses schmerzliche Zucken in seinem Antlitz
hatte die Hand des Todes nicht verwischen können. Es schien
erstarrt der einzige Zeuge aller erlittenen Pein zu sein.

An seinem Beete knieete die trostlose Mutter. Langsam ent-
[Ende Spaltensatz]

Zur Unterhaltung und Belehrung. 211
[Beginn Spaltensatz] fährlich sein; etwas Kamillenthee bringt Alles wieder in's Geleise.

Jch konnte dieser Ansicht um so weniger beipflichten, als ich
sah, daß der Schleim, den Fritz auswarf, blatig war.

— Was verschafft mir die Ehre? wandte sich dieser endlich
zu mir, nachdem er wieder die Sprache gewonnen hatte.

— Welchen Gehalt beziehen Sie jetzt! lautete meine Ge-
genfrage?

— Hm! Warum — Weshalb — Nun 12 Thlr. monatlich.

— 12 Thlr. monatlich? rief ich erstaunt. Blos für 12 Thlr.
ist Jhr Körper so dahin gewelkt? Blos für 12 Thlr. monatlich
sind Jhre Augen der Blindheit, Sie selber dem Tode nahe?
Blos für 12 Thlr. monatlich quälten Sie sich Tag und Nacht?
Das ist unglaublich!

— Ja — Hm — murmelte der Schreiber verwirrt, mein
Herr ich verstehe Sie nicht — kurz und gut, ich bin zufrieden. —

Man sah, wie der arme Mensch nach einer etwas gereizten
Entgegnung suchte und doch nur einzelner Phrasen mächtig war.

— Nein, fuhr ich fort, in dieser Stellung dürfen Sie nicht
länger verweilen. Mein lieber Hiller, Jhre Noth hat ein Ende!
Etwa 20 Meilen von hier liegt mein Gut. Dort finden Sie
Beschäftigung vollauf. Jch sichere Jhnen freie Station und
15 Thlr. monatlichen Gehalt zu. Jhre Mutter nehmen Sie
natürlich mit. Vorwärts, schlagen Sie ein.

Aber der junge Mann nahm zu meiner Ueberraschung die
dargebotene Hand nicht, sondern schüttelte verneinend mit dem
Kopfe.

Jch habe Jhnen gesagt, begann er dann, ich bin zufrieden.
Jch habe mein gutes Auskommen und — hierbei hob Fritz stolz
die Brust, die vielleicht vom Tode schon längst in Besitz ge-
nommen war — ich bin Beamter! mein Vorgesetzter benahm sich
immer wie ein Vater gegen mich — —

— Vergangene Weihnacht schenkte er ihm 5 Thaler! fiel
die Mutter mit gewissem Stolz ein.

— Und wie gesagt, obgleich — —

— Und dann Zeug zur Weste und Nüsse, Aepfel — —

— Aber Mutter laß mich doch ausreden! Herr F. hat mir
sogar den Posten als erster Sekretair in Aussicht gestellt. Und
dann möchte ich auch meine Geburtsstadt nicht verlassen; wo ich
geboren, will ich sterben.

— Du hast Recht Fritz! bekräftigte die Mutter.

— Aber wandte ich ein, Sie sind noch jung! Die Welt
steht Jhnen offen! Sie wollen doch im Bureau nicht ganz ver-
kommen? Dieser Aktenstaub wird Jhnen noch tödtlich werden!
Besinnen Sie Sich — —

— Ja, wenn es nicht so weit wäre! fuhr der junge Mann
fort, aber 20 Meilen! — Nein, nein! — Das geht nicht.
Früher, ja ich erinnere mich wohl, da wäre ich eher darauf ein-
gegangen, da hatte ich noch allerhand Pläne. Aber jene Zeit
ist längst vorbei. Nein, mein Herr, ich danke Jhnen. Es ist
für mich besser hier zu bleiben. Nicht wahr Mutter?

— Der Gehalt ist allerdings ziemlich groß, sagte diese, aber
wir sind auch hier noch nicht hungrig zu Bett gegangen. Auch
werde und kann ich diese Stadt nie verlassen.

— Ja, bei solchen Ansichten mögen Sie in Jhrer Weise
Recht haben. Jch wünsche nur, daß Sie es nie bereuen, mein
Anerbieten ausgeschlagen zu haben. Mit diesen Worten empfahl
ich mich.

Es ist mir unmöglich alle die Empfindungen zu beschreiben,
welche mich nach dieser Unterredung peinigten.

Hier ein junger Mann, der in seiner Jugend von einem
gewissenlosen Manne, einem treuen Abbild der nordamerikanischen
Pflanzer, anfangs für den Preis einiger Kleidungsstücke auf das
angestrengteste beschäftigt worden, der es in 13 Jahren zu nichts
weiter gebracht hatte, als zum Titel eines armseligen Schreibers
mit einem monatlichen Gehalt von 12 Thlr. und dort einen Ar-
beitgeber, der von den Früchten des Fleißes seiner Untergebenen
schwelgte, einen Arbeitgeber, der sich als Anhänger einer Partei
pries, die ja auch die materielle Hebung des Menschen zu be-
zwecken sucht.

Jch hätte bei dieser Betrachtung irre an der Vorsehung
werden können.

Lebhaft erinnerte ich mich eines Ausspruches von Börne,
den auch unser herrlicher Lassalle bei ähnlicher Gelegenheit citirt
hatte: Der Deutsche ist ein Sklave, der keiner Kette bedarf, denn
er macht doch keinen Versuch sich zu befreien.

Jn diesem unglücklichen Menschen, diesem Arbeiter im wahren
Sinne des Wortes traf ich unerwartet einen würdigen Reprä-
[Spaltenumbruch] sentanten jener bemitleidenswerthen Arbeiterklassen, jener weißen
Sklaven an, die in der Unwürdigkeit, in dem Schmutz ihrer
Stellung gänzlich untergegangen, sich selbst nicht wieder erkennen,
welche nur taugen zur Schmeichelei und Sklaverei und welche
allen edleren Genüssen, die uns Allen, hört ihr es wohl, Allen!
zukommen, gänzlich abgestorben sind.

Wehe uns, wenn dieser unselige Zustand allgemeiner wird!
Wie die Pest das volle Leben, sei es im alternden Greise, sei
es im blühenden Jüngling, unbarmherzig vernichtet, so wird vor
seinem Gifthauch die Tugend weichen, das Schöne vergehen, die
Freiheit zu einem Schattenbilde herabsinken.

O, Lassalle wußte es wohl, warum er Euch deutsche Arbeiter
so eindringlich vor dem Gebahren des Fortschrittlerthums warnte,
er wußte, daß ihr Mittel gegen die Kanonen der Reaktion be-
sitzet, daß ihr aber waffenlos gegen die Almosen, gegen die elen-
den Abschlagzahlungen des Fortschrittlerthums seid, jener erbärm-
lichen Partei, die eure Verdienste anerkennt und belobt und euch
trotzdem um die Belohnung derselben betrügen will. — — —

Kurze Zeit nach dem Besuche bei Hiller verließ ich die
Stadt. Als ich wieder zurückkehrte und meines Prozesses wegen
abermals das Bureau jenes Advokaten aufsuchen mußte, fand
ich den Platz Hillers von einem Fremden besetzt.

Jch erkundigte mich nach ihm.

— Er ist krank, sehr krank, lautete die Antwort.

Jch fühlte bei diesen Worte ein geheimes Grauen. Es
war, als ob sich eine von mir längst gehegte, dunkle Ahnung be-
stättigen wollte.

Jch begab mich in Hillers Wohnung. Er hütete das Bette,
auf welchem seine Mutter emsig strickend saß.

— Suchen Sie mich? frug sie.

— Ja, was macht der Kranke?

— Ach Gott, weinte die arme Mutter, mit dem geht es
schlecht, sehr schlecht, — und das währt nun schon fünf Monate.

Jch ergriff die hagere Hand des Unglücklichen, aber erst
nachdem ich einige Worte mit ihm gewechselt hatte, erkannte
er mich.

— Das ist schön — daß Sie mich — besuchen, sagte er
matt und oft von jenem trocknem, heisern Husten unterbrochen,
der den Tod so gut wie das Krächzen des Sturmvogels das
Unwetter verkündet, und während seine schmerzerfüllten Züge
von einem trüben Lächeln erhellt wurden.

Kennt der Leser das Lächeln eines Todtkranken vielleicht?
O das schneidet tief, tief in das Herz jedes fühlenden Menschen;
das zeigt die erduldeten Qualen deutlicher wie der gellende
Schmerzensschrei, wie die rührendste Schilderung an, in diesem
Lächeln kann jeder Menschenkenner eine Geschichte, reich an den
gräßlichsten Scenen, überfüllt von den fürchterlichsten Martern
des welkenden Herzens lesen.

— Das ist schön, daß Sie mich besuchen, murmelte der
Kranke von Neuem, während ich, keines Wortes mächtig, seine
schmächtigen Finger drückte.

— Jhnen ist wohl kalt? frug mich die Frau, die mich un-
ausgesetzt beobachtet hatte.

— Allerdings! gestand ich, denn der Frost, der in der Stube
herrschte, war auch in der That unerträglich.

— Ach, die theure Medizin, klagte das arme Weib, auch
nicht ein Spähnchen ist vorräthig.

Jch gab ihr Geld und mit froher Miene entfernte sie sich.

— Sind Jhre Leiden sehr groß, frug ich den Kranken.

— Ach, sagte dieser, ich glaube, ich muß sterben.

— Das wolle Gott nicht! sprach ich tröstend. Geben Sie
nicht so schnell die Hoffnung auf. Sie sind noch jung!

— Ja, ja, sagte er mit rührender Festigkeit, ich sterbe! —
ich sterbe und lasse meine arme, arme Mutter zurück in Noth
und Elend. Womit habe ich das verdient? Nein, nein, reden
Sie nicht! rief er, ich weiß es, ich sterbe! Aber wissen Sie,
fuhr er nach einer Weile fort, wenn es hier in der Stube recht
warm wäre und wenn ich — hier sank seine Stimme zu einem
leisen Flüstern herab, etwas recht Stärkendes essen könnte, dann
vielleicht — könnte — ich — geheilt werden.

— Und das soll auch geschehen, sprach ich, aber jetzt stren-
gen Sie sich nicht zu sehr an. Jch werde schnell zum Arzt eilen.

Damit verließ ich ihn. Als ich zurückkehrte, war er geheilt,
war er todt, aber dieses schmerzliche Zucken in seinem Antlitz
hatte die Hand des Todes nicht verwischen können. Es schien
erstarrt der einzige Zeuge aller erlittenen Pein zu sein.

An seinem Beete knieete die trostlose Mutter. Langsam ent-
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[211/0007] Zur Unterhaltung und Belehrung. 211 fährlich sein; etwas Kamillenthee bringt Alles wieder in's Geleise. Jch konnte dieser Ansicht um so weniger beipflichten, als ich sah, daß der Schleim, den Fritz auswarf, blatig war. — Was verschafft mir die Ehre? wandte sich dieser endlich zu mir, nachdem er wieder die Sprache gewonnen hatte. — Welchen Gehalt beziehen Sie jetzt! lautete meine Ge- genfrage? — Hm! Warum — Weshalb — Nun 12 Thlr. monatlich. — 12 Thlr. monatlich? rief ich erstaunt. Blos für 12 Thlr. ist Jhr Körper so dahin gewelkt? Blos für 12 Thlr. monatlich sind Jhre Augen der Blindheit, Sie selber dem Tode nahe? Blos für 12 Thlr. monatlich quälten Sie sich Tag und Nacht? Das ist unglaublich! — Ja — Hm — murmelte der Schreiber verwirrt, mein Herr ich verstehe Sie nicht — kurz und gut, ich bin zufrieden. — Man sah, wie der arme Mensch nach einer etwas gereizten Entgegnung suchte und doch nur einzelner Phrasen mächtig war. — Nein, fuhr ich fort, in dieser Stellung dürfen Sie nicht länger verweilen. Mein lieber Hiller, Jhre Noth hat ein Ende! Etwa 20 Meilen von hier liegt mein Gut. Dort finden Sie Beschäftigung vollauf. Jch sichere Jhnen freie Station und 15 Thlr. monatlichen Gehalt zu. Jhre Mutter nehmen Sie natürlich mit. Vorwärts, schlagen Sie ein. Aber der junge Mann nahm zu meiner Ueberraschung die dargebotene Hand nicht, sondern schüttelte verneinend mit dem Kopfe. Jch habe Jhnen gesagt, begann er dann, ich bin zufrieden. Jch habe mein gutes Auskommen und — hierbei hob Fritz stolz die Brust, die vielleicht vom Tode schon längst in Besitz ge- nommen war — ich bin Beamter! mein Vorgesetzter benahm sich immer wie ein Vater gegen mich — — — Vergangene Weihnacht schenkte er ihm 5 Thaler! fiel die Mutter mit gewissem Stolz ein. — Und wie gesagt, obgleich — — — Und dann Zeug zur Weste und Nüsse, Aepfel — — — Aber Mutter laß mich doch ausreden! Herr F. hat mir sogar den Posten als erster Sekretair in Aussicht gestellt. Und dann möchte ich auch meine Geburtsstadt nicht verlassen; wo ich geboren, will ich sterben. — Du hast Recht Fritz! bekräftigte die Mutter. — Aber wandte ich ein, Sie sind noch jung! Die Welt steht Jhnen offen! Sie wollen doch im Bureau nicht ganz ver- kommen? Dieser Aktenstaub wird Jhnen noch tödtlich werden! Besinnen Sie Sich — — — Ja, wenn es nicht so weit wäre! fuhr der junge Mann fort, aber 20 Meilen! — Nein, nein! — Das geht nicht. Früher, ja ich erinnere mich wohl, da wäre ich eher darauf ein- gegangen, da hatte ich noch allerhand Pläne. Aber jene Zeit ist längst vorbei. Nein, mein Herr, ich danke Jhnen. Es ist für mich besser hier zu bleiben. Nicht wahr Mutter? — Der Gehalt ist allerdings ziemlich groß, sagte diese, aber wir sind auch hier noch nicht hungrig zu Bett gegangen. Auch werde und kann ich diese Stadt nie verlassen. — Ja, bei solchen Ansichten mögen Sie in Jhrer Weise Recht haben. Jch wünsche nur, daß Sie es nie bereuen, mein Anerbieten ausgeschlagen zu haben. Mit diesen Worten empfahl ich mich. Es ist mir unmöglich alle die Empfindungen zu beschreiben, welche mich nach dieser Unterredung peinigten. Hier ein junger Mann, der in seiner Jugend von einem gewissenlosen Manne, einem treuen Abbild der nordamerikanischen Pflanzer, anfangs für den Preis einiger Kleidungsstücke auf das angestrengteste beschäftigt worden, der es in 13 Jahren zu nichts weiter gebracht hatte, als zum Titel eines armseligen Schreibers mit einem monatlichen Gehalt von 12 Thlr. und dort einen Ar- beitgeber, der von den Früchten des Fleißes seiner Untergebenen schwelgte, einen Arbeitgeber, der sich als Anhänger einer Partei pries, die ja auch die materielle Hebung des Menschen zu be- zwecken sucht. Jch hätte bei dieser Betrachtung irre an der Vorsehung werden können. Lebhaft erinnerte ich mich eines Ausspruches von Börne, den auch unser herrlicher Lassalle bei ähnlicher Gelegenheit citirt hatte: Der Deutsche ist ein Sklave, der keiner Kette bedarf, denn er macht doch keinen Versuch sich zu befreien. Jn diesem unglücklichen Menschen, diesem Arbeiter im wahren Sinne des Wortes traf ich unerwartet einen würdigen Reprä- sentanten jener bemitleidenswerthen Arbeiterklassen, jener weißen Sklaven an, die in der Unwürdigkeit, in dem Schmutz ihrer Stellung gänzlich untergegangen, sich selbst nicht wieder erkennen, welche nur taugen zur Schmeichelei und Sklaverei und welche allen edleren Genüssen, die uns Allen, hört ihr es wohl, Allen! zukommen, gänzlich abgestorben sind. Wehe uns, wenn dieser unselige Zustand allgemeiner wird! Wie die Pest das volle Leben, sei es im alternden Greise, sei es im blühenden Jüngling, unbarmherzig vernichtet, so wird vor seinem Gifthauch die Tugend weichen, das Schöne vergehen, die Freiheit zu einem Schattenbilde herabsinken. O, Lassalle wußte es wohl, warum er Euch deutsche Arbeiter so eindringlich vor dem Gebahren des Fortschrittlerthums warnte, er wußte, daß ihr Mittel gegen die Kanonen der Reaktion be- sitzet, daß ihr aber waffenlos gegen die Almosen, gegen die elen- den Abschlagzahlungen des Fortschrittlerthums seid, jener erbärm- lichen Partei, die eure Verdienste anerkennt und belobt und euch trotzdem um die Belohnung derselben betrügen will. — — — Kurze Zeit nach dem Besuche bei Hiller verließ ich die Stadt. Als ich wieder zurückkehrte und meines Prozesses wegen abermals das Bureau jenes Advokaten aufsuchen mußte, fand ich den Platz Hillers von einem Fremden besetzt. Jch erkundigte mich nach ihm. — Er ist krank, sehr krank, lautete die Antwort. Jch fühlte bei diesen Worte ein geheimes Grauen. Es war, als ob sich eine von mir längst gehegte, dunkle Ahnung be- stättigen wollte. Jch begab mich in Hillers Wohnung. Er hütete das Bette, auf welchem seine Mutter emsig strickend saß. — Suchen Sie mich? frug sie. — Ja, was macht der Kranke? — Ach Gott, weinte die arme Mutter, mit dem geht es schlecht, sehr schlecht, — und das währt nun schon fünf Monate. Jch ergriff die hagere Hand des Unglücklichen, aber erst nachdem ich einige Worte mit ihm gewechselt hatte, erkannte er mich. — Das ist schön — daß Sie mich — besuchen, sagte er matt und oft von jenem trocknem, heisern Husten unterbrochen, der den Tod so gut wie das Krächzen des Sturmvogels das Unwetter verkündet, und während seine schmerzerfüllten Züge von einem trüben Lächeln erhellt wurden. Kennt der Leser das Lächeln eines Todtkranken vielleicht? O das schneidet tief, tief in das Herz jedes fühlenden Menschen; das zeigt die erduldeten Qualen deutlicher wie der gellende Schmerzensschrei, wie die rührendste Schilderung an, in diesem Lächeln kann jeder Menschenkenner eine Geschichte, reich an den gräßlichsten Scenen, überfüllt von den fürchterlichsten Martern des welkenden Herzens lesen. — Das ist schön, daß Sie mich besuchen, murmelte der Kranke von Neuem, während ich, keines Wortes mächtig, seine schmächtigen Finger drückte. — Jhnen ist wohl kalt? frug mich die Frau, die mich un- ausgesetzt beobachtet hatte. — Allerdings! gestand ich, denn der Frost, der in der Stube herrschte, war auch in der That unerträglich. — Ach, die theure Medizin, klagte das arme Weib, auch nicht ein Spähnchen ist vorräthig. Jch gab ihr Geld und mit froher Miene entfernte sie sich. — Sind Jhre Leiden sehr groß, frug ich den Kranken. — Ach, sagte dieser, ich glaube, ich muß sterben. — Das wolle Gott nicht! sprach ich tröstend. Geben Sie nicht so schnell die Hoffnung auf. Sie sind noch jung! — Ja, ja, sagte er mit rührender Festigkeit, ich sterbe! — ich sterbe und lasse meine arme, arme Mutter zurück in Noth und Elend. Womit habe ich das verdient? Nein, nein, reden Sie nicht! rief er, ich weiß es, ich sterbe! Aber wissen Sie, fuhr er nach einer Weile fort, wenn es hier in der Stube recht warm wäre und wenn ich — hier sank seine Stimme zu einem leisen Flüstern herab, etwas recht Stärkendes essen könnte, dann vielleicht — könnte — ich — geheilt werden. — Und das soll auch geschehen, sprach ich, aber jetzt stren- gen Sie sich nicht zu sehr an. Jch werde schnell zum Arzt eilen. Damit verließ ich ihn. Als ich zurückkehrte, war er geheilt, war er todt, aber dieses schmerzliche Zucken in seinem Antlitz hatte die Hand des Todes nicht verwischen können. Es schien erstarrt der einzige Zeuge aller erlittenen Pein zu sein. An seinem Beete knieete die trostlose Mutter. Langsam ent-

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Zitationshilfe: Social-politische Blätter. 2. Jahrgang, 8. Lieferung, Nr. 4. Berlin, 22. August 1874, S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_social0804_1874/7>, abgerufen am 23.11.2024.