In Maienthal wohnte ein Wahnsinniger, den man blos das tolle Todtengebein hieß. Aus drei Gründen wurd' er so genannt: erstlich weil er ein Kno¬ chenpräparat von Magerheit war -- zweitens weil er die fixe Idee herum trug, der Tod setze ihm nach und woll' ihn an der linken Hand, die er deswegen immer verdeckte, ergreifen und wegziehen -- drittens weil er vorgab, er seh' es denen die bald sterben würden, am Gesichte an, über das sich alsdann schon die Einschnitte und Abßesse der Verwesung ausbreiteten. In Moritz Erfahrungsseelenkunde *) ist ein ähnlicher Mensch beschrieben, der auch im Stande seyn soll, die Vorposten des Todes und sei¬ ne zerreibende Hand auf Gesichtern voraus zu sehen, die andern glatt und roth vorkommen, wenn er sie mit dem Höllenstein der Verwesung ausgestrichen erblicket. -- Dieses Todtengebein war's was in der Nacht des 4ten Pfingsttages, als Klotilde auf dem Kirch¬ hof war, ausrief: Tod! ich bin schon begraben. -- Viktor und Emanuel gingen unter dem Geläute der zwölften Stunde nach Hause und vor einem Hügel vorüber, woran das Todtengebein beklemmt saß: es bohrte sich die linke Hand, wornach der Tod grif, tief unter die Achsel: "brrrr! (sagt' es schüttelnd zu
*) Im 2ten Stück des 2ten Bandes.
In Maienthal wohnte ein Wahnſinniger, den man blos das tolle Todtengebein hieß. Aus drei Gruͤnden wurd' er ſo genannt: erſtlich weil er ein Kno¬ chenpraͤparat von Magerheit war — zweitens weil er die fixe Idee herum trug, der Tod ſetze ihm nach und woll' ihn an der linken Hand, die er deswegen immer verdeckte, ergreifen und wegziehen — drittens weil er vorgab, er ſeh' es denen die bald ſterben wuͤrden, am Geſichte an, uͤber das ſich alsdann ſchon die Einſchnitte und Abſzeſſe der Verweſung ausbreiteten. In Moritz Erfahrungsſeelenkunde *) iſt ein aͤhnlicher Menſch beſchrieben, der auch im Stande ſeyn ſoll, die Vorpoſten des Todes und ſei¬ ne zerreibende Hand auf Geſichtern voraus zu ſehen, die andern glatt und roth vorkommen, wenn er ſie mit dem Hoͤllenſtein der Verweſung ausgeſtrichen erblicket. — Dieſes Todtengebein war's was in der Nacht des 4ten Pfingſttages, als Klotilde auf dem Kirch¬ hof war, ausrief: Tod! ich bin ſchon begraben. — Viktor und Emanuel gingen unter dem Gelaͤute der zwoͤlften Stunde nach Hauſe und vor einem Huͤgel voruͤber, woran das Todtengebein beklemmt ſaß: es bohrte ſich die linke Hand, wornach der Tod grif, tief unter die Achſel: »brrrr! (ſagt' es ſchuͤttelnd zu
*) Im 2ten Stück des 2ten Bandes.
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In Maienthal wohnte ein Wahnſinniger, den
man blos das tolle Todtengebein hieß. Aus drei
Gruͤnden wurd' er ſo genannt: erſtlich weil er ein Kno¬
chenpraͤparat von Magerheit war — zweitens weil
er die fixe Idee herum trug, der Tod ſetze ihm nach
und woll' ihn an der linken Hand, die er deswegen
immer verdeckte, ergreifen und wegziehen — drittens
weil er vorgab, er ſeh' es denen die bald ſterben
wuͤrden, am Geſichte an, uͤber das ſich alsdann
ſchon die Einſchnitte und Abſzeſſe der Verweſung
ausbreiteten. In Moritz Erfahrungsſeelenkunde *)
iſt ein aͤhnlicher Menſch beſchrieben, der auch im
Stande ſeyn ſoll, die Vorpoſten des Todes und ſei¬
ne zerreibende Hand auf Geſichtern voraus zu ſehen,
die andern glatt und roth vorkommen, wenn er ſie
mit dem Hoͤllenſtein der Verweſung ausgeſtrichen
erblicket. — Dieſes Todtengebein war's was in der
Nacht des 4ten Pfingſttages, als Klotilde auf dem Kirch¬
hof war, ausrief: Tod! ich bin ſchon begraben. —
Viktor und Emanuel gingen unter dem Gelaͤute der
zwoͤlften Stunde nach Hauſe und vor einem Huͤgel
voruͤber, woran das Todtengebein beklemmt ſaß: es
bohrte ſich die linke Hand, wornach der Tod grif,
tief unter die Achſel: »brrrr! (ſagt' es ſchuͤttelnd zu
*) Im 2ten Stück des 2ten Bandes.
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 262. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/272>, abgerufen am 23.11.2024.
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