schon nach ihnen hervor, der Mond hatte schon das südöstliche Gewitter um sich gehüllt: als Emanuel sah, daß es Zeit sey, die Szenen des Thals zu endi¬ gen und auf sein Thabor zu gehen, um dem Tod das Flügelkleid seiner Seele zu geben. Stockend bat er seinen Viktor, ein wenig voraus zugehen, damit er nicht das Trennen vom Blinden sähe und sich et¬ wan durch eine Theilnahme verriethe: denn bei dem Blinden hatte Viktor die Reise in die andre Welt nur für eine auf dieser ausgegeben. Er stellte sich unglücklich hinaus vor die verstummten schwülen Ge¬ filde, in denen einmal die Paradieses-Ströme seiner Liebe gegangen waren, auf denen er einmal an Klo¬ tildens Seite schönere Abende gesehen hatte: auf der Erde war Todtenstille wie in einer Kirche zu Nachts, blos den Himmel umbrausete ein auf die Erde ge¬ krümmtes Bleigewölk und der Tod schien von Wolke zu Wolke zu gehen und sie zur Schlacht zu ordnen.
Endlich hört' er Julius Weinen. Emanuel floh heraus, aber in seinen Augen hingen schwerere Tro¬ pfen als seine ersten waren. Und da der verlassene Blinde sein dunkles Haupt unter der Hausthür von seinen Freunden wegdrehte, entweder weil er ihren Weg nicht wußte oder weil er horchen wollte, wel¬ chen sie nähmen, so konnte Viktor dem Gebeugten, der in einer doppelten Nacht wohnte, kaum vor in¬
ſchon nach ihnen hervor, der Mond hatte ſchon das ſuͤdoͤſtliche Gewitter um ſich gehuͤllt: als Emanuel ſah, daß es Zeit ſey, die Szenen des Thals zu endi¬ gen und auf ſein Thabor zu gehen, um dem Tod das Fluͤgelkleid ſeiner Seele zu geben. Stockend bat er ſeinen Viktor, ein wenig voraus zugehen, damit er nicht das Trennen vom Blinden ſaͤhe und ſich et¬ wan durch eine Theilnahme verriethe: denn bei dem Blinden hatte Viktor die Reiſe in die andre Welt nur fuͤr eine auf dieſer ausgegeben. Er ſtellte ſich ungluͤcklich hinaus vor die verſtummten ſchwuͤlen Ge¬ filde, in denen einmal die Paradieſes-Stroͤme ſeiner Liebe gegangen waren, auf denen er einmal an Klo¬ tildens Seite ſchoͤnere Abende geſehen hatte: auf der Erde war Todtenſtille wie in einer Kirche zu Nachts, blos den Himmel umbrauſete ein auf die Erde ge¬ kruͤmmtes Bleigewoͤlk und der Tod ſchien von Wolke zu Wolke zu gehen und ſie zur Schlacht zu ordnen.
Endlich hoͤrt' er Julius Weinen. Emanuel floh heraus, aber in ſeinen Augen hingen ſchwerere Tro¬ pfen als ſeine erſten waren. Und da der verlaſſene Blinde ſein dunkles Haupt unter der Hausthuͤr von ſeinen Freunden wegdrehte, entweder weil er ihren Weg nicht wußte oder weil er horchen wollte, wel¬ chen ſie naͤhmen, ſo konnte Viktor dem Gebeugten, der in einer doppelten Nacht wohnte, kaum vor in¬
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ſchon nach ihnen hervor, der Mond hatte ſchon das
ſuͤdoͤſtliche Gewitter um ſich gehuͤllt: als Emanuel
ſah, daß es Zeit ſey, die Szenen des Thals zu endi¬
gen und auf ſein Thabor zu gehen, um dem Tod
das Fluͤgelkleid ſeiner Seele zu geben. Stockend bat
er ſeinen Viktor, ein wenig voraus zugehen, damit
er nicht das Trennen vom Blinden ſaͤhe und ſich et¬
wan durch eine Theilnahme verriethe: denn bei dem
Blinden hatte Viktor die Reiſe in die andre Welt
nur fuͤr eine auf dieſer ausgegeben. Er ſtellte ſich
ungluͤcklich hinaus vor die verſtummten ſchwuͤlen Ge¬
filde, in denen einmal die Paradieſes-Stroͤme ſeiner
Liebe gegangen waren, auf denen er einmal an Klo¬
tildens Seite ſchoͤnere Abende geſehen hatte: auf der
Erde war Todtenſtille wie in einer Kirche zu Nachts,
blos den Himmel umbrauſete ein auf die Erde ge¬
kruͤmmtes Bleigewoͤlk und der Tod ſchien von Wolke
zu Wolke zu gehen und ſie zur Schlacht zu ordnen.
Endlich hoͤrt' er Julius Weinen. Emanuel floh
heraus, aber in ſeinen Augen hingen ſchwerere Tro¬
pfen als ſeine erſten waren. Und da der verlaſſene
Blinde ſein dunkles Haupt unter der Hausthuͤr von
ſeinen Freunden wegdrehte, entweder weil er ihren
Weg nicht wußte oder weil er horchen wollte, wel¬
chen ſie naͤhmen, ſo konnte Viktor dem Gebeugten,
der in einer doppelten Nacht wohnte, kaum vor in¬
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 267. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/277>, abgerufen am 23.11.2024.
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