"es wären zwei Damen droben, die eine kenne man "nicht" (er entdeckte aber im ersten Abriß ihres An¬ zugs sogleich die Pfarrerin) -- "die andere sey oft "hierdurch passirt, es sey die Tochter des Obrist¬ "kammerherrn und habe Ganz-Trauer an, weil ihr "Vater vor einigen Tagen todtgeschossen worden im "Duell mit dem Regierungsrath Flamin, und beide "reiseten, wie ihre Leute sagten, nach England."
Er schrie vergeblich, halb im Blut und Qual erstickend: es ist unmöglich, mit dem Hofjunker von Schleunes meint ihr." Aber es war doch -- Fla¬ min war im Gefängniß -- Matthieu ausser Landes -- Le Baut schon unter der Erde . . . . Fodert aber die Geschichte dieses Mordes jetzt nicht! -- Viktor zog langsam die Uhr des glücklichen Zeidlers heraus und sah starr den Zeiger froher Stunden an, der schon einige Tage unaufgezogen stockte; in ihm rieth etwas der wilden Verzweiflung an, er sollte sie gegen den steinernen Boden schleudern und schmet¬ tern. -- -- Aber drei Lauten-Hauche der Flöte, mit der der Blinde eine schönere wärmere Vergan¬ genheit vor die erstarrte Seele zog, löseten sein gerinnendes Herz in ein nasses Auge auf und er hob es überfließend empor und sagte blos: "Vergieb "mir's, Allgütiger -- ach ich will gern nur wei¬ "nen!" -- Wenn die Schmerzen in uns zu reissend werden: so knirscht etwas in uns gegen das Schick¬
»es waͤren zwei Damen droben, die eine kenne man »nicht« (er entdeckte aber im erſten Abriß ihres An¬ zugs ſogleich die Pfarrerin) — »die andere ſey oft »hierdurch paſſirt, es ſey die Tochter des Obriſt¬ »kammerherrn und habe Ganz-Trauer an, weil ihr »Vater vor einigen Tagen todtgeſchoſſen worden im »Duell mit dem Regierungsrath Flamin, und beide »reiſeten, wie ihre Leute ſagten, nach England.»
Er ſchrie vergeblich, halb im Blut und Qual erſtickend: es iſt unmoͤglich, mit dem Hofjunker von Schleunes meint ihr.» Aber es war doch — Fla¬ min war im Gefaͤngniß — Matthieu auſſer Landes — Le Baut ſchon unter der Erde . . . . Fodert aber die Geſchichte dieſes Mordes jetzt nicht! — Viktor zog langſam die Uhr des gluͤcklichen Zeidlers heraus und ſah ſtarr den Zeiger froher Stunden an, der ſchon einige Tage unaufgezogen ſtockte; in ihm rieth etwas der wilden Verzweiflung an, er ſollte ſie gegen den ſteinernen Boden ſchleudern und ſchmet¬ tern. — — Aber drei Lauten-Hauche der Floͤte, mit der der Blinde eine ſchoͤnere waͤrmere Vergan¬ genheit vor die erſtarrte Seele zog, loͤſeten ſein gerinnendes Herz in ein naſſes Auge auf und er hob es uͤberfließend empor und ſagte blos: »Vergieb »mir's, Allguͤtiger — ach ich will gern nur wei¬ »nen!» — Wenn die Schmerzen in uns zu reiſſend werden: ſo knirſcht etwas in uns gegen das Schick¬
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0318"n="308"/>
»es waͤren zwei Damen droben, die eine kenne man<lb/>
»nicht« (er entdeckte aber im erſten Abriß ihres An¬<lb/>
zugs ſogleich die Pfarrerin) — »die andere ſey oft<lb/>
»hierdurch paſſirt, es ſey die Tochter des Obriſt¬<lb/>
»kammerherrn und habe Ganz-Trauer an, weil ihr<lb/>
»Vater vor einigen Tagen todtgeſchoſſen worden im<lb/>
»Duell mit dem Regierungsrath Flamin, und beide<lb/>
»reiſeten, wie ihre Leute ſagten, nach England.»</p><lb/><p>Er ſchrie vergeblich, halb im Blut und Qual<lb/>
erſtickend: es iſt unmoͤglich, mit dem Hofjunker von<lb/>
Schleunes meint ihr.» Aber es war doch — Fla¬<lb/>
min war im Gefaͤngniß — Matthieu auſſer Landes<lb/>— Le Baut ſchon unter der Erde . . . . Fodert<lb/>
aber die Geſchichte dieſes Mordes jetzt nicht! —<lb/>
Viktor zog langſam die Uhr des gluͤcklichen Zeidlers<lb/>
heraus und ſah ſtarr den Zeiger froher Stunden an,<lb/>
der ſchon einige Tage unaufgezogen ſtockte; in ihm<lb/>
rieth etwas der wilden Verzweiflung an, er ſollte<lb/>ſie gegen den ſteinernen Boden ſchleudern und ſchmet¬<lb/>
tern. —— Aber drei Lauten-Hauche der Floͤte,<lb/>
mit der der Blinde eine ſchoͤnere waͤrmere Vergan¬<lb/>
genheit vor die erſtarrte Seele zog, loͤſeten ſein<lb/>
gerinnendes Herz in ein naſſes Auge auf und er<lb/>
hob es uͤberfließend empor und ſagte blos: »Vergieb<lb/>
»mir's, Allguͤtiger — ach ich will gern nur wei¬<lb/>
»nen!» — Wenn die Schmerzen in uns zu reiſſend<lb/>
werden: ſo knirſcht etwas in uns gegen das Schick¬<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[308/0318]
»es waͤren zwei Damen droben, die eine kenne man
»nicht« (er entdeckte aber im erſten Abriß ihres An¬
zugs ſogleich die Pfarrerin) — »die andere ſey oft
»hierdurch paſſirt, es ſey die Tochter des Obriſt¬
»kammerherrn und habe Ganz-Trauer an, weil ihr
»Vater vor einigen Tagen todtgeſchoſſen worden im
»Duell mit dem Regierungsrath Flamin, und beide
»reiſeten, wie ihre Leute ſagten, nach England.»
Er ſchrie vergeblich, halb im Blut und Qual
erſtickend: es iſt unmoͤglich, mit dem Hofjunker von
Schleunes meint ihr.» Aber es war doch — Fla¬
min war im Gefaͤngniß — Matthieu auſſer Landes
— Le Baut ſchon unter der Erde . . . . Fodert
aber die Geſchichte dieſes Mordes jetzt nicht! —
Viktor zog langſam die Uhr des gluͤcklichen Zeidlers
heraus und ſah ſtarr den Zeiger froher Stunden an,
der ſchon einige Tage unaufgezogen ſtockte; in ihm
rieth etwas der wilden Verzweiflung an, er ſollte
ſie gegen den ſteinernen Boden ſchleudern und ſchmet¬
tern. — — Aber drei Lauten-Hauche der Floͤte,
mit der der Blinde eine ſchoͤnere waͤrmere Vergan¬
genheit vor die erſtarrte Seele zog, loͤſeten ſein
gerinnendes Herz in ein naſſes Auge auf und er
hob es uͤberfließend empor und ſagte blos: »Vergieb
»mir's, Allguͤtiger — ach ich will gern nur wei¬
»nen!» — Wenn die Schmerzen in uns zu reiſſend
werden: ſo knirſcht etwas in uns gegen das Schick¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 308. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/318>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.