Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755.

Bild:
<< vorherige Seite

Abhandlung von Sprüchwörtern.
er bis ins zwölfte Jahr, da sich der Vater ent-
schloß, ihm zu allen Ueberflusse so viel Unterricht
geben zu lassen, als nöthig war, seinen Namen
zu schreiben, und Geschriebnes zu lesen. Der
Schulmeister qvälte ihn ein ganzes Jahr damit;
er war schon ziemlich weit in beidem gekommen,
als der Vater starb. Nun hatte die Pedanterey
ein Ende. Die Vormünder wollten die Kosten
nicht weiter dran wenden, und in der That schickte
sichs auch nicht, daß so ein ansehnlicher Landstand
in die Schule gieng. Was er als Erb-Lehn-
und Gerichtsherr zu wissen nöthig hatte, verstund
er nach ihrer Meynung schon. Er konnte essen,
trinken, schlafen, reiten, hetzen, die Bauern prü-
geln, den Pfarrer tummeln, wider den Hof eifern,
und bey einem gnädigen Fräulein schlafen; Um
deßwillen ließ er sich mündig sprechen, nahm die
Güter an, und heirathete. Sollte man wohl
glauben, daß Junker Hanns bey dieser Erziehung
derjenige geworden ist, den seine Nachbarn wegen
seiner guten Tafel lieben, wegen seiner vortreffli-
chen Pferde und Hunde, als einen Mann von gu-
ter Einsicht bewundern, und wegen der Unvorsich-
tigkeit, mit welcher er bey Tische wider die Regie-
rung eifert, als einen Patrioten anbeten? Ver-
muthlich hätte er alle diese Vorzüge nicht, wenn
er ärmer geboren, und sorgfältiger erzogen wor-
den wäre!

Jch glaube, was ich bisher angeführt habe,
wird hinreichend seyn, zu beweisen, daß man, we-
nigstens in der großen Welt, eine mühsame Erzie-

hung

Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern.
er bis ins zwoͤlfte Jahr, da ſich der Vater ent-
ſchloß, ihm zu allen Ueberfluſſe ſo viel Unterricht
geben zu laſſen, als noͤthig war, ſeinen Namen
zu ſchreiben, und Geſchriebnes zu leſen. Der
Schulmeiſter qvaͤlte ihn ein ganzes Jahr damit;
er war ſchon ziemlich weit in beidem gekommen,
als der Vater ſtarb. Nun hatte die Pedanterey
ein Ende. Die Vormuͤnder wollten die Koſten
nicht weiter dran wenden, und in der That ſchickte
ſichs auch nicht, daß ſo ein anſehnlicher Landſtand
in die Schule gieng. Was er als Erb-Lehn-
und Gerichtsherr zu wiſſen noͤthig hatte, verſtund
er nach ihrer Meynung ſchon. Er konnte eſſen,
trinken, ſchlafen, reiten, hetzen, die Bauern pruͤ-
geln, den Pfarrer tummeln, wider den Hof eifern,
und bey einem gnaͤdigen Fraͤulein ſchlafen; Um
deßwillen ließ er ſich muͤndig ſprechen, nahm die
Guͤter an, und heirathete. Sollte man wohl
glauben, daß Junker Hanns bey dieſer Erziehung
derjenige geworden iſt, den ſeine Nachbarn wegen
ſeiner guten Tafel lieben, wegen ſeiner vortreffli-
chen Pferde und Hunde, als einen Mann von gu-
ter Einſicht bewundern, und wegen der Unvorſich-
tigkeit, mit welcher er bey Tiſche wider die Regie-
rung eifert, als einen Patrioten anbeten? Ver-
muthlich haͤtte er alle dieſe Vorzuͤge nicht, wenn
er aͤrmer geboren, und ſorgfaͤltiger erzogen wor-
den waͤre!

Jch glaube, was ich bisher angefuͤhrt habe,
wird hinreichend ſeyn, zu beweiſen, daß man, we-
nigſtens in der großen Welt, eine muͤhſame Erzie-

hung
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0163" n="141"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Abhandlung von Spru&#x0364;chwo&#x0364;rtern.</hi></fw><lb/>
er bis ins zwo&#x0364;lfte Jahr, da &#x017F;ich der Vater ent-<lb/>
&#x017F;chloß, ihm zu allen Ueberflu&#x017F;&#x017F;e &#x017F;o viel Unterricht<lb/>
geben zu la&#x017F;&#x017F;en, als no&#x0364;thig war, &#x017F;einen Namen<lb/>
zu &#x017F;chreiben, und Ge&#x017F;chriebnes zu le&#x017F;en. Der<lb/>
Schulmei&#x017F;ter qva&#x0364;lte ihn ein ganzes Jahr damit;<lb/>
er war &#x017F;chon ziemlich weit in beidem gekommen,<lb/>
als der Vater &#x017F;tarb. Nun hatte die Pedanterey<lb/>
ein Ende. Die Vormu&#x0364;nder wollten die Ko&#x017F;ten<lb/>
nicht weiter dran wenden, und in der That &#x017F;chickte<lb/>
&#x017F;ichs auch nicht, daß &#x017F;o ein an&#x017F;ehnlicher Land&#x017F;tand<lb/>
in die Schule gieng. Was er als Erb-Lehn-<lb/>
und Gerichtsherr zu wi&#x017F;&#x017F;en no&#x0364;thig hatte, ver&#x017F;tund<lb/>
er nach ihrer Meynung &#x017F;chon. Er konnte e&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
trinken, &#x017F;chlafen, reiten, hetzen, die Bauern pru&#x0364;-<lb/>
geln, den Pfarrer tummeln, wider den Hof eifern,<lb/>
und bey einem gna&#x0364;digen Fra&#x0364;ulein &#x017F;chlafen; Um<lb/>
deßwillen ließ er &#x017F;ich mu&#x0364;ndig &#x017F;prechen, nahm die<lb/>
Gu&#x0364;ter an, und heirathete. Sollte man wohl<lb/>
glauben, daß Junker Hanns bey die&#x017F;er Erziehung<lb/>
derjenige geworden i&#x017F;t, den &#x017F;eine Nachbarn wegen<lb/>
&#x017F;einer guten Tafel lieben, wegen &#x017F;einer vortreffli-<lb/>
chen Pferde und Hunde, als einen Mann von gu-<lb/>
ter Ein&#x017F;icht bewundern, und wegen der Unvor&#x017F;ich-<lb/>
tigkeit, mit welcher er bey Ti&#x017F;che wider die Regie-<lb/>
rung eifert, als einen Patrioten anbeten? Ver-<lb/>
muthlich ha&#x0364;tte er alle die&#x017F;e Vorzu&#x0364;ge nicht, wenn<lb/>
er a&#x0364;rmer geboren, und &#x017F;orgfa&#x0364;ltiger erzogen wor-<lb/>
den wa&#x0364;re!</p><lb/>
          <p>Jch glaube, was ich bisher angefu&#x0364;hrt habe,<lb/>
wird hinreichend &#x017F;eyn, zu bewei&#x017F;en, daß man, we-<lb/>
nig&#x017F;tens in der großen Welt, eine mu&#x0364;h&#x017F;ame Erzie-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">hung</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[141/0163] Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern. er bis ins zwoͤlfte Jahr, da ſich der Vater ent- ſchloß, ihm zu allen Ueberfluſſe ſo viel Unterricht geben zu laſſen, als noͤthig war, ſeinen Namen zu ſchreiben, und Geſchriebnes zu leſen. Der Schulmeiſter qvaͤlte ihn ein ganzes Jahr damit; er war ſchon ziemlich weit in beidem gekommen, als der Vater ſtarb. Nun hatte die Pedanterey ein Ende. Die Vormuͤnder wollten die Koſten nicht weiter dran wenden, und in der That ſchickte ſichs auch nicht, daß ſo ein anſehnlicher Landſtand in die Schule gieng. Was er als Erb-Lehn- und Gerichtsherr zu wiſſen noͤthig hatte, verſtund er nach ihrer Meynung ſchon. Er konnte eſſen, trinken, ſchlafen, reiten, hetzen, die Bauern pruͤ- geln, den Pfarrer tummeln, wider den Hof eifern, und bey einem gnaͤdigen Fraͤulein ſchlafen; Um deßwillen ließ er ſich muͤndig ſprechen, nahm die Guͤter an, und heirathete. Sollte man wohl glauben, daß Junker Hanns bey dieſer Erziehung derjenige geworden iſt, den ſeine Nachbarn wegen ſeiner guten Tafel lieben, wegen ſeiner vortreffli- chen Pferde und Hunde, als einen Mann von gu- ter Einſicht bewundern, und wegen der Unvorſich- tigkeit, mit welcher er bey Tiſche wider die Regie- rung eifert, als einen Patrioten anbeten? Ver- muthlich haͤtte er alle dieſe Vorzuͤge nicht, wenn er aͤrmer geboren, und ſorgfaͤltiger erzogen wor- den waͤre! Jch glaube, was ich bisher angefuͤhrt habe, wird hinreichend ſeyn, zu beweiſen, daß man, we- nigſtens in der großen Welt, eine muͤhſame Erzie- hung

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/163
Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/163>, abgerufen am 23.11.2024.