Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755.

Bild:
<< vorherige Seite

Antons Panßa von Mancha
fliehn, und ihm in ihren jammernden Herzen flu-
chen. Er war in seiner Jugend im Schoose der
Musen erzogen: Nun schämt er sich ihrer, sieht
verächtlich auf sie herab, und erröthet, wenn man
ihn erinnert, daß er gelehrt gewesen sey. Durch eine
vernünftige Erziehung brachte man ihm die Hoch-
achtung für die Religion bey, die ein jeder haben
muß, wenn er ein guter Bürger, und ein recht-
schaffener Mann seyn will. Er verlangt beides
weiter nicht zu seyn. Für die Religion ist er itzt zu
groß; er giebt sich Mühe, sie zu verachten, weil
sie ihm nicht zuläßt, daß er seine Bosheiten ruhig
genieße. Mit einem Worte: Sejan war in sei-
ner Jugend demüthig, dankbar, dienstfertig, auf
eine anständige Art sparsam, mitleidig; sein Herz
war freundschaftlich, seine Seele edel; er war zu
allen Tugenden angewöhnt, und eben daher lie-
benswürdig. Jtzt, da er vornehm und älter ge-
worden, nun ist er dieses alles nicht mehr; man
haßt ihn.

Das ist ihr Bild, gnädiger Herr! Kennen sie
sich? Jch will sie nicht länger aufhalten. Tragt
ihn fort!

Der Unglückselige! Wie sehr wäre ihm zu
wünschen, daß er noch in seinem Alter das thun
möchte, woran er in seiner Jugend gewöhnt
worden ist!

Kennen sie den Greis, welcher dort auf dem
Markte unter den Buden herum schleicht, und sich

in

Antons Panßa von Mancha
fliehn, und ihm in ihren jammernden Herzen flu-
chen. Er war in ſeiner Jugend im Schooſe der
Muſen erzogen: Nun ſchaͤmt er ſich ihrer, ſieht
veraͤchtlich auf ſie herab, und erroͤthet, wenn man
ihn erinnert, daß er gelehrt geweſen ſey. Durch eine
vernuͤnftige Erziehung brachte man ihm die Hoch-
achtung fuͤr die Religion bey, die ein jeder haben
muß, wenn er ein guter Buͤrger, und ein recht-
ſchaffener Mann ſeyn will. Er verlangt beides
weiter nicht zu ſeyn. Fuͤr die Religion iſt er itzt zu
groß; er giebt ſich Muͤhe, ſie zu verachten, weil
ſie ihm nicht zulaͤßt, daß er ſeine Bosheiten ruhig
genieße. Mit einem Worte: Sejan war in ſei-
ner Jugend demuͤthig, dankbar, dienſtfertig, auf
eine anſtaͤndige Art ſparſam, mitleidig; ſein Herz
war freundſchaftlich, ſeine Seele edel; er war zu
allen Tugenden angewoͤhnt, und eben daher lie-
benswuͤrdig. Jtzt, da er vornehm und aͤlter ge-
worden, nun iſt er dieſes alles nicht mehr; man
haßt ihn.

Das iſt ihr Bild, gnaͤdiger Herr! Kennen ſie
ſich? Jch will ſie nicht laͤnger aufhalten. Tragt
ihn fort!

Der Ungluͤckſelige! Wie ſehr waͤre ihm zu
wuͤnſchen, daß er noch in ſeinem Alter das thun
moͤchte, woran er in ſeiner Jugend gewoͤhnt
worden iſt!

Kennen ſie den Greis, welcher dort auf dem
Markte unter den Buden herum ſchleicht, und ſich

in
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0168" n="146"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Antons Panßa von Mancha</hi></fw><lb/>
fliehn, und ihm in ihren jammernden Herzen flu-<lb/>
chen. Er war in &#x017F;einer Jugend im Schoo&#x017F;e der<lb/>
Mu&#x017F;en erzogen: Nun &#x017F;cha&#x0364;mt er &#x017F;ich ihrer, &#x017F;ieht<lb/>
vera&#x0364;chtlich auf &#x017F;ie herab, und erro&#x0364;thet, wenn man<lb/>
ihn erinnert, daß er gelehrt gewe&#x017F;en &#x017F;ey. Durch eine<lb/>
vernu&#x0364;nftige Erziehung brachte man ihm die Hoch-<lb/>
achtung fu&#x0364;r die Religion bey, die ein jeder haben<lb/>
muß, wenn er ein guter Bu&#x0364;rger, und ein recht-<lb/>
&#x017F;chaffener Mann &#x017F;eyn will. Er verlangt beides<lb/>
weiter nicht zu &#x017F;eyn. Fu&#x0364;r die Religion i&#x017F;t er itzt zu<lb/>
groß; er giebt &#x017F;ich Mu&#x0364;he, &#x017F;ie zu verachten, weil<lb/>
&#x017F;ie ihm nicht zula&#x0364;ßt, daß er &#x017F;eine Bosheiten ruhig<lb/>
genieße. Mit einem Worte: Sejan war in &#x017F;ei-<lb/>
ner Jugend demu&#x0364;thig, dankbar, dien&#x017F;tfertig, auf<lb/>
eine an&#x017F;ta&#x0364;ndige Art &#x017F;par&#x017F;am, mitleidig; &#x017F;ein Herz<lb/>
war freund&#x017F;chaftlich, &#x017F;eine Seele edel; er war zu<lb/>
allen Tugenden angewo&#x0364;hnt, und eben daher lie-<lb/>
benswu&#x0364;rdig. Jtzt, da er vornehm und a&#x0364;lter ge-<lb/>
worden, nun i&#x017F;t er die&#x017F;es alles nicht mehr; man<lb/>
haßt ihn.</p><lb/>
          <p>Das i&#x017F;t ihr Bild, gna&#x0364;diger Herr! Kennen &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;ich? Jch will &#x017F;ie nicht la&#x0364;nger aufhalten. Tragt<lb/>
ihn fort!</p><lb/>
          <p>Der Unglu&#x0364;ck&#x017F;elige! Wie &#x017F;ehr wa&#x0364;re ihm zu<lb/>
wu&#x0364;n&#x017F;chen, daß er noch in &#x017F;einem Alter das thun<lb/>
mo&#x0364;chte, woran er in &#x017F;einer Jugend gewo&#x0364;hnt<lb/>
worden i&#x017F;t!</p><lb/>
          <p>Kennen &#x017F;ie den Greis, welcher dort auf dem<lb/>
Markte unter den Buden herum &#x017F;chleicht, und &#x017F;ich<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">in</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[146/0168] Antons Panßa von Mancha fliehn, und ihm in ihren jammernden Herzen flu- chen. Er war in ſeiner Jugend im Schooſe der Muſen erzogen: Nun ſchaͤmt er ſich ihrer, ſieht veraͤchtlich auf ſie herab, und erroͤthet, wenn man ihn erinnert, daß er gelehrt geweſen ſey. Durch eine vernuͤnftige Erziehung brachte man ihm die Hoch- achtung fuͤr die Religion bey, die ein jeder haben muß, wenn er ein guter Buͤrger, und ein recht- ſchaffener Mann ſeyn will. Er verlangt beides weiter nicht zu ſeyn. Fuͤr die Religion iſt er itzt zu groß; er giebt ſich Muͤhe, ſie zu verachten, weil ſie ihm nicht zulaͤßt, daß er ſeine Bosheiten ruhig genieße. Mit einem Worte: Sejan war in ſei- ner Jugend demuͤthig, dankbar, dienſtfertig, auf eine anſtaͤndige Art ſparſam, mitleidig; ſein Herz war freundſchaftlich, ſeine Seele edel; er war zu allen Tugenden angewoͤhnt, und eben daher lie- benswuͤrdig. Jtzt, da er vornehm und aͤlter ge- worden, nun iſt er dieſes alles nicht mehr; man haßt ihn. Das iſt ihr Bild, gnaͤdiger Herr! Kennen ſie ſich? Jch will ſie nicht laͤnger aufhalten. Tragt ihn fort! Der Ungluͤckſelige! Wie ſehr waͤre ihm zu wuͤnſchen, daß er noch in ſeinem Alter das thun moͤchte, woran er in ſeiner Jugend gewoͤhnt worden iſt! Kennen ſie den Greis, welcher dort auf dem Markte unter den Buden herum ſchleicht, und ſich in

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/168
Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/168>, abgerufen am 23.11.2024.