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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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wie sehr sie auch gehäuft werde, vermag nicht, das Interesse
zu ersetzen, das uns der bestimmte Gegensatz einflößt. Wenn
in einem Roman eine Menge von Personen auftreten, wenn
eine Fülle von Begebenheiten sich entwickelt, wenn aber nicht
eine Contrastirung der Handelnden und ihrer Schicksale die
Menge der Situationen durchgreift, so wird uns die Mannig¬
faltigkeit bald ermüden, ja zuletzt anekeln. Oder wenn in
einem Gemälde vielerlei Farben prunken, wenn es aber an
der Entschiedenheit eines Farbengegensatzes fehlt, so wird
unser Auge von dem bloßen Durcheinander bald abgestumpft
werden. Unbeschadet des Reizes der Verschiedenartigkeit kann
sehr wohl auch die Entgegensetzung aus ihr sich hervorheben.

Die positive und negative Entgegensetzung macht erst
den Contrast d. h. die Gleichheit muß mit sich selbst
ungleich
werden und kann bis zum Conflict und bis zur
Collision fortgehen. Das Unterschiedene muß also irgendwie
zugleich identisch sein; es muß durch seine Einheit mit sich in
Gegenseitigkeit stehen. Jemehr es sich als ein Wechsel¬
wirkendes
darstellt, um so schöner ist es. Soll nun der
bestimmte Gegensatz erscheinen und es wird auf die eine Seite
statt des identisch Negativen nur etwas Anderes gesetzt, das
zwar auch einer Beziehung, aber keiner immanenten, fähig
ist, so ist ein solches ein blos Verschiedenes. So ist z.B.
in der Oper, Robert le diable , der Teufel von seinem
Sohne nur verschieden, denn er sollte als Teufel ihn hassen,
aber dieser "Fremde" liebt, gegen die Natur des Teufels,
aus der Natur des Vaters heraus, den Sohn; d. h. mit der
Liebe zum Sohn ist die Idee des Diabolischen aufgehoben.
Er kann nicht mit dem Guten contrastiren, obwohl er es
immer soll; ein sentimentaler Teufel ist lächerlich. Es ist ein
verfehlter Contrast. An die Stelle der seinsollenden Ent¬

wie ſehr ſie auch gehäuft werde, vermag nicht, das Intereſſe
zu erſetzen, das uns der beſtimmte Gegenſatz einflößt. Wenn
in einem Roman eine Menge von Perſonen auftreten, wenn
eine Fülle von Begebenheiten ſich entwickelt, wenn aber nicht
eine Contraſtirung der Handelnden und ihrer Schickſale die
Menge der Situationen durchgreift, ſo wird uns die Mannig¬
faltigkeit bald ermüden, ja zuletzt anekeln. Oder wenn in
einem Gemälde vielerlei Farben prunken, wenn es aber an
der Entſchiedenheit eines Farbengegenſatzes fehlt, ſo wird
unſer Auge von dem bloßen Durcheinander bald abgeſtumpft
werden. Unbeſchadet des Reizes der Verſchiedenartigkeit kann
ſehr wohl auch die Entgegenſetzung aus ihr ſich hervorheben.

Die poſitive und negative Entgegenſetzung macht erſt
den Contraſt d. h. die Gleichheit muß mit ſich ſelbſt
ungleich
werden und kann bis zum Conflict und bis zur
Colliſion fortgehen. Das Unterſchiedene muß alſo irgendwie
zugleich identiſch ſein; es muß durch ſeine Einheit mit ſich in
Gegenſeitigkeit ſtehen. Jemehr es ſich als ein Wechſel¬
wirkendes
darſtellt, um ſo ſchöner iſt es. Soll nun der
beſtimmte Gegenſatz erſcheinen und es wird auf die eine Seite
ſtatt des identiſch Negativen nur etwas Anderes geſetzt, das
zwar auch einer Beziehung, aber keiner immanenten, fähig
iſt, ſo iſt ein ſolches ein blos Verſchiedenes. So iſt z.B.
in der Oper, Robert le diable , der Teufel von ſeinem
Sohne nur verſchieden, denn er ſollte als Teufel ihn haſſen,
aber dieſer „Fremde“ liebt, gegen die Natur des Teufels,
aus der Natur des Vaters heraus, den Sohn; d. h. mit der
Liebe zum Sohn iſt die Idee des Diaboliſchen aufgehoben.
Er kann nicht mit dem Guten contraſtiren, obwohl er es
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[91/0113] wie ſehr ſie auch gehäuft werde, vermag nicht, das Intereſſe zu erſetzen, das uns der beſtimmte Gegenſatz einflößt. Wenn in einem Roman eine Menge von Perſonen auftreten, wenn eine Fülle von Begebenheiten ſich entwickelt, wenn aber nicht eine Contraſtirung der Handelnden und ihrer Schickſale die Menge der Situationen durchgreift, ſo wird uns die Mannig¬ faltigkeit bald ermüden, ja zuletzt anekeln. Oder wenn in einem Gemälde vielerlei Farben prunken, wenn es aber an der Entſchiedenheit eines Farbengegenſatzes fehlt, ſo wird unſer Auge von dem bloßen Durcheinander bald abgeſtumpft werden. Unbeſchadet des Reizes der Verſchiedenartigkeit kann ſehr wohl auch die Entgegenſetzung aus ihr ſich hervorheben. Die poſitive und negative Entgegenſetzung macht erſt den Contraſt d. h. die Gleichheit muß mit ſich ſelbſt ungleich werden und kann bis zum Conflict und bis zur Colliſion fortgehen. Das Unterſchiedene muß alſo irgendwie zugleich identiſch ſein; es muß durch ſeine Einheit mit ſich in Gegenſeitigkeit ſtehen. Jemehr es ſich als ein Wechſel¬ wirkendes darſtellt, um ſo ſchöner iſt es. Soll nun der beſtimmte Gegenſatz erſcheinen und es wird auf die eine Seite ſtatt des identiſch Negativen nur etwas Anderes geſetzt, das zwar auch einer Beziehung, aber keiner immanenten, fähig iſt, ſo iſt ein ſolches ein blos Verſchiedenes. So iſt z.B. in der Oper, Robert le diable , der Teufel von ſeinem Sohne nur verſchieden, denn er ſollte als Teufel ihn haſſen, aber dieſer „Fremde“ liebt, gegen die Natur des Teufels, aus der Natur des Vaters heraus, den Sohn; d. h. mit der Liebe zum Sohn iſt die Idee des Diaboliſchen aufgehoben. Er kann nicht mit dem Guten contraſtiren, obwohl er es immer ſoll; ein ſentimentaler Teufel iſt lächerlich. Es iſt ein verfehlter Contraſt. An die Stelle der ſeinſollenden Ent¬

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/113>, abgerufen am 23.11.2024.