Die Schwäche eröffnet unbewußt oder halbbewußt, immer ohne es zu wollen, den Dämonen den Zugang, der aber, welcher sich der Hexerei ergeben, reißt sich selbstbewußt aus dem Kreise des Menschlichen los und verbündet sich mit den Mächten des Abgrunds. Diese Vorstellung finden wir auch schon bei den Alten, allein durch den Dualismus des christ¬ lichen Mittelalters wurde sie zu einem förmlichen System der scheußlichsten Phantasieen ausgearbeitet. Im Orient und bei den Alten war das schadenfrohe alte Weib, als der vettelhafte Gegensatz zur ehrwürdigen Matrone, schon zum Typus der Hexe geworden, die mit ihrem bösen Blick, ihren Zaubertränken, ihren Zauberformeln Unheil anrichtete. Hexe soll von Hekate herkommen, der alten Nachtgöttin. Das böse alte Weib, wie Aristophanes es schon so oft in den Thesmophorien, Ekklesiazusen und in der Lysistrate schildert, ist grauenerregend häßlich, nicht sowohl weil auch seine Wangen einfallen, seine Stirn Runzeln bedecken, seine Haare bleichen, sondern weil es als niederträchtige Neiderin des Jugendglücks und der Jugendschönheit auftritt, weil es als Kupplerin die holde Jungfräulichkeit mit satanischer Freude verderbt, weil es, trotz seines Alters, noch von unreinen Begierden gequält wird und auf deren Befriedigung ausgeht. Die böse Alte übt durch Kuppelei eine scheußliche Rache an der Naturfrische, die sie als ihre natürliche Feindin betrach¬ tet, und durch magischen Zwang sucht sie einen Genuß zu erreichen, den die Natur ihr freiwillig nicht mehr zu gewähren geneigt wäre. Diese, man darf wohl sagen, infame Per¬ sönlichkeit macht den fundamentalen Boden der Hexen aus. Nun kommt aber die Vorstellung hinzu, daß sie mit Teufeln, ja mit dem Teufel schlechthin sich eingelassen haben. Die orthodoxe Phantasie der katholischen wie der protestantischen
Die Schwäche eröffnet unbewußt oder halbbewußt, immer ohne es zu wollen, den Dämonen den Zugang, der aber, welcher ſich der Hexerei ergeben, reißt ſich ſelbſtbewußt aus dem Kreiſe des Menſchlichen los und verbündet ſich mit den Mächten des Abgrunds. Dieſe Vorſtellung finden wir auch ſchon bei den Alten, allein durch den Dualismus des chriſt¬ lichen Mittelalters wurde ſie zu einem förmlichen Syſtem der ſcheußlichſten Phantaſieen ausgearbeitet. Im Orient und bei den Alten war das ſchadenfrohe alte Weib, als der vettelhafte Gegenſatz zur ehrwürdigen Matrone, ſchon zum Typus der Hexe geworden, die mit ihrem böſen Blick, ihren Zaubertränken, ihren Zauberformeln Unheil anrichtete. Hexe ſoll von Hekate herkommen, der alten Nachtgöttin. Das böſe alte Weib, wie Ariſtophanes es ſchon ſo oft in den Thesmophorien, Ekkleſiazuſen und in der Lyſiſtrate ſchildert, iſt grauenerregend häßlich, nicht ſowohl weil auch ſeine Wangen einfallen, ſeine Stirn Runzeln bedecken, ſeine Haare bleichen, ſondern weil es als niederträchtige Neiderin des Jugendglücks und der Jugendſchönheit auftritt, weil es als Kupplerin die holde Jungfräulichkeit mit ſataniſcher Freude verderbt, weil es, trotz ſeines Alters, noch von unreinen Begierden gequält wird und auf deren Befriedigung ausgeht. Die böſe Alte übt durch Kuppelei eine ſcheußliche Rache an der Naturfriſche, die ſie als ihre natürliche Feindin betrach¬ tet, und durch magiſchen Zwang ſucht ſie einen Genuß zu erreichen, den die Natur ihr freiwillig nicht mehr zu gewähren geneigt wäre. Dieſe, man darf wohl ſagen, infame Per¬ ſönlichkeit macht den fundamentalen Boden der Hexen aus. Nun kommt aber die Vorſtellung hinzu, daß ſie mit Teufeln, ja mit dem Teufel ſchlechthin ſich eingelaſſen haben. Die orthodoxe Phantaſie der katholiſchen wie der proteſtantiſchen
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><divn="6"><p><pbfacs="#f0390"n="368"/>
Die Schwäche eröffnet unbewußt oder halbbewußt, immer<lb/>
ohne es zu wollen, den Dämonen den Zugang, der aber,<lb/>
welcher ſich der Hexerei ergeben, reißt ſich ſelbſtbewußt aus<lb/>
dem Kreiſe des Menſchlichen los und verbündet ſich mit den<lb/>
Mächten des Abgrunds. Dieſe Vorſtellung finden wir auch<lb/>ſchon bei den Alten, allein durch den Dualismus des chriſt¬<lb/>
lichen Mittelalters wurde ſie zu einem förmlichen Syſtem<lb/>
der ſcheußlichſten Phantaſieen ausgearbeitet. Im Orient und<lb/>
bei den Alten war das ſchadenfrohe alte Weib, als der<lb/>
vettelhafte Gegenſatz zur ehrwürdigen Matrone, ſchon zum<lb/>
Typus der Hexe geworden, die mit ihrem böſen Blick, ihren<lb/>
Zaubertränken, ihren Zauberformeln Unheil anrichtete. Hexe<lb/>ſoll von Hekate herkommen, der alten Nachtgöttin. Das<lb/>
böſe alte Weib, wie Ariſtophanes es ſchon ſo oft in den<lb/>
Thesmophorien, Ekkleſiazuſen und in der Lyſiſtrate ſchildert,<lb/>
iſt grauenerregend häßlich, nicht ſowohl weil auch ſeine<lb/>
Wangen einfallen, ſeine Stirn Runzeln bedecken, ſeine Haare<lb/>
bleichen, ſondern weil es als niederträchtige Neiderin des<lb/>
Jugendglücks und der Jugendſchönheit auftritt, weil es als<lb/>
Kupplerin die holde Jungfräulichkeit mit ſataniſcher Freude<lb/>
verderbt, weil es, trotz ſeines Alters, noch von unreinen<lb/>
Begierden gequält wird und auf deren Befriedigung ausgeht.<lb/>
Die böſe Alte übt durch Kuppelei eine ſcheußliche Rache an<lb/>
der Naturfriſche, die ſie als ihre natürliche Feindin betrach¬<lb/>
tet, und durch magiſchen Zwang ſucht ſie einen Genuß zu<lb/>
erreichen, den die Natur ihr freiwillig nicht mehr zu gewähren<lb/>
geneigt wäre. Dieſe, man darf wohl ſagen, infame Per¬<lb/>ſönlichkeit macht den fundamentalen Boden der Hexen aus.<lb/>
Nun kommt aber die Vorſtellung hinzu, daß ſie mit Teufeln,<lb/>
ja mit dem Teufel ſchlechthin ſich eingelaſſen haben. Die<lb/>
orthodoxe Phantaſie der katholiſchen wie der proteſtantiſchen<lb/></p></div></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[368/0390]
Die Schwäche eröffnet unbewußt oder halbbewußt, immer
ohne es zu wollen, den Dämonen den Zugang, der aber,
welcher ſich der Hexerei ergeben, reißt ſich ſelbſtbewußt aus
dem Kreiſe des Menſchlichen los und verbündet ſich mit den
Mächten des Abgrunds. Dieſe Vorſtellung finden wir auch
ſchon bei den Alten, allein durch den Dualismus des chriſt¬
lichen Mittelalters wurde ſie zu einem förmlichen Syſtem
der ſcheußlichſten Phantaſieen ausgearbeitet. Im Orient und
bei den Alten war das ſchadenfrohe alte Weib, als der
vettelhafte Gegenſatz zur ehrwürdigen Matrone, ſchon zum
Typus der Hexe geworden, die mit ihrem böſen Blick, ihren
Zaubertränken, ihren Zauberformeln Unheil anrichtete. Hexe
ſoll von Hekate herkommen, der alten Nachtgöttin. Das
böſe alte Weib, wie Ariſtophanes es ſchon ſo oft in den
Thesmophorien, Ekkleſiazuſen und in der Lyſiſtrate ſchildert,
iſt grauenerregend häßlich, nicht ſowohl weil auch ſeine
Wangen einfallen, ſeine Stirn Runzeln bedecken, ſeine Haare
bleichen, ſondern weil es als niederträchtige Neiderin des
Jugendglücks und der Jugendſchönheit auftritt, weil es als
Kupplerin die holde Jungfräulichkeit mit ſataniſcher Freude
verderbt, weil es, trotz ſeines Alters, noch von unreinen
Begierden gequält wird und auf deren Befriedigung ausgeht.
Die böſe Alte übt durch Kuppelei eine ſcheußliche Rache an
der Naturfriſche, die ſie als ihre natürliche Feindin betrach¬
tet, und durch magiſchen Zwang ſucht ſie einen Genuß zu
erreichen, den die Natur ihr freiwillig nicht mehr zu gewähren
geneigt wäre. Dieſe, man darf wohl ſagen, infame Per¬
ſönlichkeit macht den fundamentalen Boden der Hexen aus.
Nun kommt aber die Vorſtellung hinzu, daß ſie mit Teufeln,
ja mit dem Teufel ſchlechthin ſich eingelaſſen haben. Die
orthodoxe Phantaſie der katholiſchen wie der proteſtantiſchen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 368. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/390>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.