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Spyri, Johanna: Heidi's Lehr- und Wanderjahre. Gotha, 1880.

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und immer mehr, als er nun von ihr selbst hörte, sie sei
so wohl wie immer und sie sei so froh, daß er gekommen
sei, daß es ihr jetzt ganz recht sei, daß ein Geist im Haus
herumfahre, weil er doch daran schuld sei, daß der Papa
heimkommen mußte.

"Und wie führt sich das Gespenst weiter auf, Fräulein
Rottenmeier?" fragte nun Herr Sesemann mit einem lustigen
Ausdruck in den Mundwinkeln.

"Nein, Herr Sesemann", entgegnete die Dame ernst,
"es ist kein Scherz; ich zweifle nicht daran, daß morgen
Herr Sesemann nicht mehr lachen wird, denn was in dem
Hause vorgeht, deutet auf Fürchterliches, das hier in ver¬
gangener Zeit muß vorgegangen und verheimlicht worden
sein."

"So, davon weiß ich nichts", bemerkte Herr Sese¬
mann, "muß aber bitten, meine völlig ehrenvollen Ahnen
nicht verdächtigen zu wollen. Und nun rufen Sie mir den
Sebastian in's Eßzimmer, ich will allein mit ihm reden."

Herr Sesemann ging hinüber und Sebastian erschien.
Es war Herrn Sesemann nicht entgangen, daß Sebastian
und Fräulein Rottenmeier sich nicht eben mit Zuneigung
betrachteten; so hatte er seine Gedanken.

"Komm' Er her, Bursche", winkte er dem Eintretenden
entgegen, "und sag' Er mir nun ganz ehrlich: hat Er nicht
etwa selbst ein wenig Gespenst gespielt, so um Fräulein
Rottenmeier etwas Kurzweil zu machen, nu?"

und immer mehr, als er nun von ihr ſelbſt hörte, ſie ſei
ſo wohl wie immer und ſie ſei ſo froh, daß er gekommen
ſei, daß es ihr jetzt ganz recht ſei, daß ein Geiſt im Haus
herumfahre, weil er doch daran ſchuld ſei, daß der Papa
heimkommen mußte.

„Und wie führt ſich das Geſpenſt weiter auf, Fräulein
Rottenmeier?“ fragte nun Herr Seſemann mit einem luſtigen
Ausdruck in den Mundwinkeln.

„Nein, Herr Seſemann“, entgegnete die Dame ernſt,
„es iſt kein Scherz; ich zweifle nicht daran, daß morgen
Herr Seſemann nicht mehr lachen wird, denn was in dem
Hauſe vorgeht, deutet auf Fürchterliches, das hier in ver¬
gangener Zeit muß vorgegangen und verheimlicht worden
ſein.“

„So, davon weiß ich nichts“, bemerkte Herr Seſe¬
mann, „muß aber bitten, meine völlig ehrenvollen Ahnen
nicht verdächtigen zu wollen. Und nun rufen Sie mir den
Sebaſtian in's Eßzimmer, ich will allein mit ihm reden.“

Herr Seſemann ging hinüber und Sebaſtian erſchien.
Es war Herrn Seſemann nicht entgangen, daß Sebaſtian
und Fräulein Rottenmeier ſich nicht eben mit Zuneigung
betrachteten; ſo hatte er ſeine Gedanken.

„Komm' Er her, Burſche“, winkte er dem Eintretenden
entgegen, „und ſag' Er mir nun ganz ehrlich: hat Er nicht
etwa ſelbſt ein wenig Geſpenſt geſpielt, ſo um Fräulein
Rottenmeier etwas Kurzweil zu machen, nu?“

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[183/0193] und immer mehr, als er nun von ihr ſelbſt hörte, ſie ſei ſo wohl wie immer und ſie ſei ſo froh, daß er gekommen ſei, daß es ihr jetzt ganz recht ſei, daß ein Geiſt im Haus herumfahre, weil er doch daran ſchuld ſei, daß der Papa heimkommen mußte. „Und wie führt ſich das Geſpenſt weiter auf, Fräulein Rottenmeier?“ fragte nun Herr Seſemann mit einem luſtigen Ausdruck in den Mundwinkeln. „Nein, Herr Seſemann“, entgegnete die Dame ernſt, „es iſt kein Scherz; ich zweifle nicht daran, daß morgen Herr Seſemann nicht mehr lachen wird, denn was in dem Hauſe vorgeht, deutet auf Fürchterliches, das hier in ver¬ gangener Zeit muß vorgegangen und verheimlicht worden ſein.“ „So, davon weiß ich nichts“, bemerkte Herr Seſe¬ mann, „muß aber bitten, meine völlig ehrenvollen Ahnen nicht verdächtigen zu wollen. Und nun rufen Sie mir den Sebaſtian in's Eßzimmer, ich will allein mit ihm reden.“ Herr Seſemann ging hinüber und Sebaſtian erſchien. Es war Herrn Seſemann nicht entgangen, daß Sebaſtian und Fräulein Rottenmeier ſich nicht eben mit Zuneigung betrachteten; ſo hatte er ſeine Gedanken. „Komm' Er her, Burſche“, winkte er dem Eintretenden entgegen, „und ſag' Er mir nun ganz ehrlich: hat Er nicht etwa ſelbſt ein wenig Geſpenſt geſpielt, ſo um Fräulein Rottenmeier etwas Kurzweil zu machen, nu?“

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Zitationshilfe: Spyri, Johanna: Heidi's Lehr- und Wanderjahre. Gotha, 1880, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spyri_heidi_1880/193>, abgerufen am 23.11.2024.