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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894.

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wir mit einiger Mühe bunten Schmuck im Kamp; es fanden sich Piki-Aepfelchen,
einige orangerote Blumen und Bergkristalle; die Spitze, einer Paepalanthusstaude
entnommen, bildete eine Krone, starrend von Kugeln, die am Ende langer
Stachelspitzen sassen. Mit den Kerzen brauchten wir jetzt nicht mehr zu sparen.
Nach Eintritt der Dunkelheit stellten wir das Kunstwerk in Perrot's Zelt, zündeten
die Lichter an und gaben nach riograndenser Art einige Schüsse ab.

Das strahlende Bäumchen in der Zeltecke machte sich ganz allerliebst.
Weniger glänzend sah es mit den Geschenken aus. Doch hatten wir zweierlei
für diesen Abend im tiefsten Grund der Blechkästen durch alle Unbilden der
Reise hindurchgerettete Herrlichkeiten zu bescheeren. Herr Ernesto Vahl in
Desterro hatte uns ein Packet bulgarischen Zigarrettentabaks mit dem ausdrück-
lichen Zusatz "Weihnachten" mitgegeben, und Vogel hatte mit gleicher Be-
stimmung in seinem heimatlichen Nest Uehlfeld in Franken beim Abschied eine
Schachtel "extrafeiner, runder Lebkuchen" von dem Zuckerbäcker "Wilhelm
Büttner am Markt" erhalten, sich selbst freilich nicht die Seelenstärke zugetraut,
bis zum 24. Dezember zu warten, sondern schon in Cuyaba die Verantwortung
mir übertragen. Heil den edelmütigen Spendern! Ich glaube nicht, dass sie
selbst an diesem Abend wertvollere Geschenke erhalten haben. Als brave
Philister tranken wir köstlichen Mokka und sangen, obwol nur Wilhelm singen
konnte, zum Kaffee redlich die "Wacht am Rhein" und das in der Fremde
doppelt voll ertönende "Deutschland, Deutschland über Alles". Und der Ex-
peditionsdichter klagte wehmütig:

Kein Tannenbaum mit goldnen Nüssen,
Kein frischer Schnee, kein Festgeläut --
In Sonnenglut und Regengüssen
Begehen wir die Weihnachtsfreud.
Ein Teller Spekulaz, Makronen,
Ein Marzipanherz -- eitler Traum!
Das Christkind hängt nur braune Bohnen
Und Speck an unsern Lichterbaum.

Ein Weihnachten hatte ich in Japan, eins in Mexiko verbracht, eins im
antarktischen Südgeorgien, und dieses an der von quakenden Fröschen erfüllten
Lagoa Comprida, der langen Lagune, war nun das dritte auf südamerikanischem
Festland.

Am 25. Dezember überstieg die Eintönigkeit der Landschaft das Mass
alles Erlaubten. Während der 35 Kilometer unseres Marsches zählte ich die
lebenden Wesen, die ich bemerken konnte: 1 Raubvogel, 1 kleinen Kampvogel,
eine raschelnde Eidechse, 3 Bienen. Zahlreiche rote Kegel von Termitenbauten,
wie groteske Grabhügel. Ein Holzkreuz mit drei aufgemalten Kreuzen; hier
musste Einer vor Langeweile gestorben sein. 25 Kilometer der Strecke ohne Wasser;
am Lagerplatz war der Trank gut und kühl für unsere Ansprüche, 24, 6°.

Am 27. Dezember erreichten wir die Fazenda von Ponte alta, ein grosses
Haus mit einem Mühlrad und Maisstampfer in einer schönen Thalschlucht. Dort

wir mit einiger Mühe bunten Schmuck im Kamp; es fanden sich Pikí-Aepfelchen,
einige orangerote Blumen und Bergkristalle; die Spitze, einer Paepalanthusstaude
entnommen, bildete eine Krone, starrend von Kugeln, die am Ende langer
Stachelspitzen sassen. Mit den Kerzen brauchten wir jetzt nicht mehr zu sparen.
Nach Eintritt der Dunkelheit stellten wir das Kunstwerk in Perrot’s Zelt, zündeten
die Lichter an und gaben nach riograndenser Art einige Schüsse ab.

Das strahlende Bäumchen in der Zeltecke machte sich ganz allerliebst.
Weniger glänzend sah es mit den Geschenken aus. Doch hatten wir zweierlei
für diesen Abend im tiefsten Grund der Blechkästen durch alle Unbilden der
Reise hindurchgerettete Herrlichkeiten zu bescheeren. Herr Ernesto Vahl in
Desterro hatte uns ein Packet bulgarischen Zigarrettentabaks mit dem ausdrück-
lichen Zusatz »Weihnachten« mitgegeben, und Vogel hatte mit gleicher Be-
stimmung in seinem heimatlichen Nest Uehlfeld in Franken beim Abschied eine
Schachtel »extrafeiner, runder Lebkuchen« von dem Zuckerbäcker »Wilhelm
Büttner am Markt« erhalten, sich selbst freilich nicht die Seelenstärke zugetraut,
bis zum 24. Dezember zu warten, sondern schon in Cuyabá die Verantwortung
mir übertragen. Heil den edelmütigen Spendern! Ich glaube nicht, dass sie
selbst an diesem Abend wertvollere Geschenke erhalten haben. Als brave
Philister tranken wir köstlichen Mokka und sangen, obwol nur Wilhelm singen
konnte, zum Kaffee redlich die »Wacht am Rhein« und das in der Fremde
doppelt voll ertönende »Deutschland, Deutschland über Alles«. Und der Ex-
peditionsdichter klagte wehmütig:

Kein Tannenbaum mit goldnen Nüssen,
Kein frischer Schnee, kein Festgeläut —
In Sonnenglut und Regengüssen
Begehen wir die Weihnachtsfreud.
Ein Teller Spekulaz, Makronen,
Ein Marzipanherz — eitler Traum!
Das Christkind hängt nur braune Bohnen
Und Speck an unsern Lichterbaum.

Ein Weihnachten hatte ich in Japan, eins in Mexiko verbracht, eins im
antarktischen Südgeorgien, und dieses an der von quakenden Fröschen erfüllten
Lagoa Comprida, der langen Lagune, war nun das dritte auf südamerikanischem
Festland.

Am 25. Dezember überstieg die Eintönigkeit der Landschaft das Mass
alles Erlaubten. Während der 35 Kilometer unseres Marsches zählte ich die
lebenden Wesen, die ich bemerken konnte: 1 Raubvogel, 1 kleinen Kampvogel,
eine raschelnde Eidechse, 3 Bienen. Zahlreiche rote Kegel von Termitenbauten,
wie groteske Grabhügel. Ein Holzkreuz mit drei aufgemalten Kreuzen; hier
musste Einer vor Langeweile gestorben sein. 25 Kilometer der Strecke ohne Wasser;
am Lagerplatz war der Trank gut und kühl für unsere Ansprüche, 24, 6°.

Am 27. Dezember erreichten wir die Fazenda von Ponte alta, ein grosses
Haus mit einem Mühlrad und Maisstampfer in einer schönen Thalschlucht. Dort

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[150/0190] wir mit einiger Mühe bunten Schmuck im Kamp; es fanden sich Pikí-Aepfelchen, einige orangerote Blumen und Bergkristalle; die Spitze, einer Paepalanthusstaude entnommen, bildete eine Krone, starrend von Kugeln, die am Ende langer Stachelspitzen sassen. Mit den Kerzen brauchten wir jetzt nicht mehr zu sparen. Nach Eintritt der Dunkelheit stellten wir das Kunstwerk in Perrot’s Zelt, zündeten die Lichter an und gaben nach riograndenser Art einige Schüsse ab. Das strahlende Bäumchen in der Zeltecke machte sich ganz allerliebst. Weniger glänzend sah es mit den Geschenken aus. Doch hatten wir zweierlei für diesen Abend im tiefsten Grund der Blechkästen durch alle Unbilden der Reise hindurchgerettete Herrlichkeiten zu bescheeren. Herr Ernesto Vahl in Desterro hatte uns ein Packet bulgarischen Zigarrettentabaks mit dem ausdrück- lichen Zusatz »Weihnachten« mitgegeben, und Vogel hatte mit gleicher Be- stimmung in seinem heimatlichen Nest Uehlfeld in Franken beim Abschied eine Schachtel »extrafeiner, runder Lebkuchen« von dem Zuckerbäcker »Wilhelm Büttner am Markt« erhalten, sich selbst freilich nicht die Seelenstärke zugetraut, bis zum 24. Dezember zu warten, sondern schon in Cuyabá die Verantwortung mir übertragen. Heil den edelmütigen Spendern! Ich glaube nicht, dass sie selbst an diesem Abend wertvollere Geschenke erhalten haben. Als brave Philister tranken wir köstlichen Mokka und sangen, obwol nur Wilhelm singen konnte, zum Kaffee redlich die »Wacht am Rhein« und das in der Fremde doppelt voll ertönende »Deutschland, Deutschland über Alles«. Und der Ex- peditionsdichter klagte wehmütig: Kein Tannenbaum mit goldnen Nüssen, Kein frischer Schnee, kein Festgeläut — In Sonnenglut und Regengüssen Begehen wir die Weihnachtsfreud. Ein Teller Spekulaz, Makronen, Ein Marzipanherz — eitler Traum! Das Christkind hängt nur braune Bohnen Und Speck an unsern Lichterbaum. Ein Weihnachten hatte ich in Japan, eins in Mexiko verbracht, eins im antarktischen Südgeorgien, und dieses an der von quakenden Fröschen erfüllten Lagoa Comprida, der langen Lagune, war nun das dritte auf südamerikanischem Festland. Am 25. Dezember überstieg die Eintönigkeit der Landschaft das Mass alles Erlaubten. Während der 35 Kilometer unseres Marsches zählte ich die lebenden Wesen, die ich bemerken konnte: 1 Raubvogel, 1 kleinen Kampvogel, eine raschelnde Eidechse, 3 Bienen. Zahlreiche rote Kegel von Termitenbauten, wie groteske Grabhügel. Ein Holzkreuz mit drei aufgemalten Kreuzen; hier musste Einer vor Langeweile gestorben sein. 25 Kilometer der Strecke ohne Wasser; am Lagerplatz war der Trank gut und kühl für unsere Ansprüche, 24, 6°. Am 27. Dezember erreichten wir die Fazenda von Ponte alta, ein grosses Haus mit einem Mühlrad und Maisstampfer in einer schönen Thalschlucht. Dort

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Zitationshilfe: Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/190>, abgerufen am 23.11.2024.