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Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846.

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verloren. Fromme Gemüther zogen noch immer lieber der Waldrast zu, und beteten dort vor einer Copie des alten Gnadenbildes, ja die Opfer flossen so reichlich, daß mit Anfang dieses Jahrhunderts schon wieder an die Wiederherstellung der Wallfahrt gedacht wurde. Indessen war aber das Bild zu Absam bei Hall aufgekommen und jenes hielt die Concurrenz nicht aus; auch die Regierung war nicht zu gewinnen. So steht denn die Waldraster Muttergottes nunmehr verlassen und wenig besucht in der Kirche zu Mieders.

Von Mieders aus erreicht man die Brennerstraße bei dem Dorfe Schönberg, wo ein Posthaus ist. Hier geht der böse Weg über den Schönberg hinunter gegen Innsbruck zu, der ehemals so viel Schweiß und Mühe kostete. Hier wurden, wenn es aufwärts ging, an die schweren Frachtwagen acht und zehn Pferde vorgelegt, und wenn sie abwärts fuhren, so war es ein grausliches Ansehen, wie trotz der zwei und drei Radschuhe der Wagen so dämonisch dahinrollte, kaum aufzuhalten durch die stärksten Rosse, die, die Gefahr im Rücken ahnend, mit leuchtenden Augen und schäumendem Rachen zu zögern strebten, so viel sie vermochten, während der beängstigte Fuhrmann sie mit Drohungen und Flüchen unaufhörlich besprach. Jetzt ist die neue Straße fertig und vom 1 October 1844 an steht sie dem Verkehre offen. Sie hat die alte Richtung, die gerade über die Höhe des Schönbergs ging, ganz aufgegeben und läuft nunmehr dicht über der brausenden Sill an einer Böschung hin, in langem Zuge die "Ellenbögen" abzeichnend, welche die Seitenwand des Berges hier bildet. Sie ist zierlich und fein gearbeitet und von italienischen Werkleuten ausgeführt worden. An der Entfernung hat man nichts gewonnen, vielmehr ist der neue Straßenzug um ein Gutes länger als der alte; doch wird dieß wieder hereingebracht durch die sanfte Senkung, welche abwärts ohne Radschuh im Trabe zu fahren erlaubt. Eine Einbuße für den Reisenden der das Land im Eilwagen durchfliegt, ist es immerhin, daß er die herrliche Schau verloren hat, welche sich von der Schönberger Höhe gegen die Stubeier Ferner öffnet. Sie war für

verloren. Fromme Gemüther zogen noch immer lieber der Waldrast zu, und beteten dort vor einer Copie des alten Gnadenbildes, ja die Opfer flossen so reichlich, daß mit Anfang dieses Jahrhunderts schon wieder an die Wiederherstellung der Wallfahrt gedacht wurde. Indessen war aber das Bild zu Absam bei Hall aufgekommen und jenes hielt die Concurrenz nicht aus; auch die Regierung war nicht zu gewinnen. So steht denn die Waldraster Muttergottes nunmehr verlassen und wenig besucht in der Kirche zu Mieders.

Von Mieders aus erreicht man die Brennerstraße bei dem Dorfe Schönberg, wo ein Posthaus ist. Hier geht der böse Weg über den Schönberg hinunter gegen Innsbruck zu, der ehemals so viel Schweiß und Mühe kostete. Hier wurden, wenn es aufwärts ging, an die schweren Frachtwagen acht und zehn Pferde vorgelegt, und wenn sie abwärts fuhren, so war es ein grausliches Ansehen, wie trotz der zwei und drei Radschuhe der Wagen so dämonisch dahinrollte, kaum aufzuhalten durch die stärksten Rosse, die, die Gefahr im Rücken ahnend, mit leuchtenden Augen und schäumendem Rachen zu zögern strebten, so viel sie vermochten, während der beängstigte Fuhrmann sie mit Drohungen und Flüchen unaufhörlich besprach. Jetzt ist die neue Straße fertig und vom 1 October 1844 an steht sie dem Verkehre offen. Sie hat die alte Richtung, die gerade über die Höhe des Schönbergs ging, ganz aufgegeben und läuft nunmehr dicht über der brausenden Sill an einer Böschung hin, in langem Zuge die „Ellenbögen“ abzeichnend, welche die Seitenwand des Berges hier bildet. Sie ist zierlich und fein gearbeitet und von italienischen Werkleuten ausgeführt worden. An der Entfernung hat man nichts gewonnen, vielmehr ist der neue Straßenzug um ein Gutes länger als der alte; doch wird dieß wieder hereingebracht durch die sanfte Senkung, welche abwärts ohne Radschuh im Trabe zu fahren erlaubt. Eine Einbuße für den Reisenden der das Land im Eilwagen durchfliegt, ist es immerhin, daß er die herrliche Schau verloren hat, welche sich von der Schönberger Höhe gegen die Stubeier Ferner öffnet. Sie war für

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Zitationshilfe: Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846, S. 497. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steub_tirol_1846/501>, abgerufen am 23.11.2024.