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Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846.

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sich, wogegen die Mädchen unter einer Lehrerin stehen, welche ebenfalls ein Bauernkind von Dux. Dafür verdient er den Winter über vierundsechzig Gulden, den Sommer arbeitet er bei seinen Eltern auf dem Felde und im Hause, wie ihn denn die Münchner gerade getroffen, als er ein Last Brod für seine Mutter aus dem Zillerthale hereinschleppte. Mir machte er viel Vergnügen mit den Erzählungen aus seiner Bildungsgeschichte. Das große Reich des Wissens und die Bücherschätze, die bei glücklichen Leuten in Deutschland aufgestapelt sind, standen in träumerischer Glorie vor seinem innern Auge. Insbesondere, meinte er, müsse es eine Seligkeit seyn, Friedrich Schillers Werke zu lesen, denn, das habe er schon oft gehört, das sey gar ein schöner Autor, vielleicht der schönste in deutscher Sprache.

Solche bäuerliche Schullehrer sind in den Alpenorten überall zu finden. Die Bestallungen sind sehr dürftig und das Lehramt, das überdieß nur den Winter über geübt wird, kann also für sich seinen Mann nicht nähren. Es wird daher allenthalben von jüngern oder ältern Burschen als Nebenverdienst betrieben, da in der schlimmen Jahreszeit ohnedem auf dem Felde nichts zu thun ist. Die dazu Berufenen sind jene, welche sich schon in der Schule durch Fleiß, Anlagen und Sittsamkeit hervorgethan. Sie bereiten sich einige Zeit auf ihr Amt vor und unterziehen sich dann einer Prüfung. Wenn dieß geschehen, sind sie verfügbare Lehrer, werden von dem Pfarrer den Bauern vorgeschlagen und treten nach freiem Uebereinkommen mit den Betheiligten in den Dienst, einen Winter da, den andern dort. Wenn nämlich auf schroffem Abhange oder in einem entlegenen zur Winterszeit schwer begehbaren Zuthälchen ein halb Duzend Höfe beisammen stehen, so entschließen sich die Bauern gerne einen Schulmeister einzustellen, um ihre Kinder nicht den Gefahren eines weiten Ganges auszusetzen; sind sie dann mit seinen Leistungen nicht zufrieden, so wählen sie nächstesmal einen andern. Wie sich übrigens der Schulmeister als Bauernbursche gibt, so wird er auch als Bauernbursche genommen. Die Aktionäre weisen ihm nacheinander in der Gesindekammer neben

sich, wogegen die Mädchen unter einer Lehrerin stehen, welche ebenfalls ein Bauernkind von Dux. Dafür verdient er den Winter über vierundsechzig Gulden, den Sommer arbeitet er bei seinen Eltern auf dem Felde und im Hause, wie ihn denn die Münchner gerade getroffen, als er ein Last Brod für seine Mutter aus dem Zillerthale hereinschleppte. Mir machte er viel Vergnügen mit den Erzählungen aus seiner Bildungsgeschichte. Das große Reich des Wissens und die Bücherschätze, die bei glücklichen Leuten in Deutschland aufgestapelt sind, standen in träumerischer Glorie vor seinem innern Auge. Insbesondere, meinte er, müsse es eine Seligkeit seyn, Friedrich Schillers Werke zu lesen, denn, das habe er schon oft gehört, das sey gar ein schöner Autor, vielleicht der schönste in deutscher Sprache.

Solche bäuerliche Schullehrer sind in den Alpenorten überall zu finden. Die Bestallungen sind sehr dürftig und das Lehramt, das überdieß nur den Winter über geübt wird, kann also für sich seinen Mann nicht nähren. Es wird daher allenthalben von jüngern oder ältern Burschen als Nebenverdienst betrieben, da in der schlimmen Jahreszeit ohnedem auf dem Felde nichts zu thun ist. Die dazu Berufenen sind jene, welche sich schon in der Schule durch Fleiß, Anlagen und Sittsamkeit hervorgethan. Sie bereiten sich einige Zeit auf ihr Amt vor und unterziehen sich dann einer Prüfung. Wenn dieß geschehen, sind sie verfügbare Lehrer, werden von dem Pfarrer den Bauern vorgeschlagen und treten nach freiem Uebereinkommen mit den Betheiligten in den Dienst, einen Winter da, den andern dort. Wenn nämlich auf schroffem Abhange oder in einem entlegenen zur Winterszeit schwer begehbaren Zuthälchen ein halb Duzend Höfe beisammen stehen, so entschließen sich die Bauern gerne einen Schulmeister einzustellen, um ihre Kinder nicht den Gefahren eines weiten Ganges auszusetzen; sind sie dann mit seinen Leistungen nicht zufrieden, so wählen sie nächstesmal einen andern. Wie sich übrigens der Schulmeister als Bauernbursche gibt, so wird er auch als Bauernbursche genommen. Die Aktionäre weisen ihm nacheinander in der Gesindekammer neben

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sich, wogegen die Mädchen unter einer Lehrerin stehen, welche ebenfalls ein Bauernkind von Dux. Dafür verdient er den Winter über vierundsechzig Gulden, den Sommer arbeitet er bei seinen Eltern auf dem Felde und im Hause, wie ihn denn die Münchner gerade getroffen, als er ein Last Brod für seine Mutter aus dem Zillerthale hereinschleppte. Mir machte er viel Vergnügen mit den Erzählungen aus seiner Bildungsgeschichte. Das große Reich des Wissens und die Bücherschätze, die bei glücklichen Leuten in Deutschland aufgestapelt sind, standen in träumerischer Glorie vor seinem innern Auge. Insbesondere, meinte er, müsse es eine Seligkeit seyn, Friedrich Schillers Werke zu lesen, denn, das habe er schon oft gehört, das sey gar ein schöner Autor, vielleicht der schönste in deutscher Sprache.</p>
        <p>Solche bäuerliche Schullehrer sind in den Alpenorten überall zu finden. Die Bestallungen sind sehr dürftig und das Lehramt, das überdieß nur den Winter über geübt wird, kann also für sich seinen Mann nicht nähren. Es wird daher allenthalben von jüngern oder ältern Burschen als Nebenverdienst betrieben, da in der schlimmen Jahreszeit ohnedem auf dem Felde nichts zu thun ist. Die dazu Berufenen sind jene, welche sich schon in der Schule durch Fleiß, Anlagen und Sittsamkeit hervorgethan. Sie bereiten sich einige Zeit auf ihr Amt vor und unterziehen sich dann einer Prüfung. Wenn dieß geschehen, sind sie verfügbare Lehrer, werden von dem Pfarrer den Bauern vorgeschlagen und treten nach freiem Uebereinkommen mit den Betheiligten in den Dienst, einen Winter da, den andern dort. Wenn nämlich auf schroffem Abhange oder in einem entlegenen zur Winterszeit schwer begehbaren Zuthälchen ein halb Duzend Höfe beisammen stehen, so entschließen sich die Bauern gerne einen Schulmeister einzustellen, um ihre Kinder nicht den Gefahren eines weiten Ganges auszusetzen; sind sie dann mit seinen Leistungen nicht zufrieden, so wählen sie nächstesmal einen andern. Wie sich übrigens der Schulmeister als Bauernbursche gibt, so wird er auch als Bauernbursche genommen. Die Aktionäre weisen ihm nacheinander in der Gesindekammer neben
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[516/0520] sich, wogegen die Mädchen unter einer Lehrerin stehen, welche ebenfalls ein Bauernkind von Dux. Dafür verdient er den Winter über vierundsechzig Gulden, den Sommer arbeitet er bei seinen Eltern auf dem Felde und im Hause, wie ihn denn die Münchner gerade getroffen, als er ein Last Brod für seine Mutter aus dem Zillerthale hereinschleppte. Mir machte er viel Vergnügen mit den Erzählungen aus seiner Bildungsgeschichte. Das große Reich des Wissens und die Bücherschätze, die bei glücklichen Leuten in Deutschland aufgestapelt sind, standen in träumerischer Glorie vor seinem innern Auge. Insbesondere, meinte er, müsse es eine Seligkeit seyn, Friedrich Schillers Werke zu lesen, denn, das habe er schon oft gehört, das sey gar ein schöner Autor, vielleicht der schönste in deutscher Sprache. Solche bäuerliche Schullehrer sind in den Alpenorten überall zu finden. Die Bestallungen sind sehr dürftig und das Lehramt, das überdieß nur den Winter über geübt wird, kann also für sich seinen Mann nicht nähren. Es wird daher allenthalben von jüngern oder ältern Burschen als Nebenverdienst betrieben, da in der schlimmen Jahreszeit ohnedem auf dem Felde nichts zu thun ist. Die dazu Berufenen sind jene, welche sich schon in der Schule durch Fleiß, Anlagen und Sittsamkeit hervorgethan. Sie bereiten sich einige Zeit auf ihr Amt vor und unterziehen sich dann einer Prüfung. Wenn dieß geschehen, sind sie verfügbare Lehrer, werden von dem Pfarrer den Bauern vorgeschlagen und treten nach freiem Uebereinkommen mit den Betheiligten in den Dienst, einen Winter da, den andern dort. Wenn nämlich auf schroffem Abhange oder in einem entlegenen zur Winterszeit schwer begehbaren Zuthälchen ein halb Duzend Höfe beisammen stehen, so entschließen sich die Bauern gerne einen Schulmeister einzustellen, um ihre Kinder nicht den Gefahren eines weiten Ganges auszusetzen; sind sie dann mit seinen Leistungen nicht zufrieden, so wählen sie nächstesmal einen andern. Wie sich übrigens der Schulmeister als Bauernbursche gibt, so wird er auch als Bauernbursche genommen. Die Aktionäre weisen ihm nacheinander in der Gesindekammer neben

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Zitationshilfe: Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846, S. 516. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steub_tirol_1846/520>, abgerufen am 23.11.2024.