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Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846.

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und dem Schullehrer und seinem Bruder, bat sie alle, sie möchten mir das schwarzlackirte Müller-Töchterlein, wenn es wieder einmal in Heimgarten käme, schönstens grüßen und zog davon.

Den Rautenstrauch betreffend, so mag hier eine schöne Sitte des Hochlandes hervorgehoben werden. Wenn nämlich ein Gast sey es auch nur kurze Zeit unter fremdem Dache zugebracht und die Zuneigung der Hausleute gewonnen hat, so wird ihm zum Abschiede von der Tochter des Hauses ein Blumenstrauß überreicht. Im höhern Gebirge, wo die Gartenblumen seltener sind, wird statt derselben die Edelraute gewählt und dem Gaste auf den Hut geheftet. Es ist ein unscheinbares Kraut mit blaßgrünen Blättchen und winzigen gelben Blüthchen, dem man anfangs gar nicht ansieht, was es denn eigentlich wolle, denn auch der Geruch ist sehr schwach. Wenn die Raute aber trocken geworden, verbreitet sie einen herrlichen Duft und nun läßt man sichs gerne gefallen, daß die Aelpler sie so hoch in Ehren und für das vornehmste Gewächs auf Erden halten.

Als ich Lannersbach damals verließ, lag also das schöne Maidele im Bette und als ich zwei Jahre darauf wieder hinkam, lag sie im Grabe. Sie war, ich glaube an einer Brustentzündung, wenige Monate vorher gestorben. Es war ein kaltes Herbstwetter und der Kirchtag schon vorüber. Im Wirthshause herrschte große Stille. Jörgel war schon schlafen gegangen, denn er geht jetzt frühzeitig zur Ruhe; er singt mit seiner Tochter und dem Organisten keine schönen Lieder mehr. Am andern Morgen erschien er und sprach traurig seine Sehnsucht nach dem Maidele aus: "So viel mängeln thu' ich das Madel!" Wir waren zu zwei und besuchten den Kirchhof. Dort hat ihr der Vater einen Grabstein setzen lassen, den schönsten im stillen Gefilde. Im Thale erzählt noch Jung und Alt von ihr; sie hatten sie alle sehr lieb gehabt.

Von Lannersbach geht der Weg durch ein Tobelthal in zwei guten Stunden nach Finkenberg. Dies ist ein freundliches Dorf, das zwischen Obstbäumen auf einem hügeligen Gereute steht, und man hat von da aus eine liebe Aussicht

und dem Schullehrer und seinem Bruder, bat sie alle, sie möchten mir das schwarzlackirte Müller-Töchterlein, wenn es wieder einmal in Heimgarten käme, schönstens grüßen und zog davon.

Den Rautenstrauch betreffend, so mag hier eine schöne Sitte des Hochlandes hervorgehoben werden. Wenn nämlich ein Gast sey es auch nur kurze Zeit unter fremdem Dache zugebracht und die Zuneigung der Hausleute gewonnen hat, so wird ihm zum Abschiede von der Tochter des Hauses ein Blumenstrauß überreicht. Im höhern Gebirge, wo die Gartenblumen seltener sind, wird statt derselben die Edelraute gewählt und dem Gaste auf den Hut geheftet. Es ist ein unscheinbares Kraut mit blaßgrünen Blättchen und winzigen gelben Blüthchen, dem man anfangs gar nicht ansieht, was es denn eigentlich wolle, denn auch der Geruch ist sehr schwach. Wenn die Raute aber trocken geworden, verbreitet sie einen herrlichen Duft und nun läßt man sichs gerne gefallen, daß die Aelpler sie so hoch in Ehren und für das vornehmste Gewächs auf Erden halten.

Als ich Lannersbach damals verließ, lag also das schöne Maidele im Bette und als ich zwei Jahre darauf wieder hinkam, lag sie im Grabe. Sie war, ich glaube an einer Brustentzündung, wenige Monate vorher gestorben. Es war ein kaltes Herbstwetter und der Kirchtag schon vorüber. Im Wirthshause herrschte große Stille. Jörgel war schon schlafen gegangen, denn er geht jetzt frühzeitig zur Ruhe; er singt mit seiner Tochter und dem Organisten keine schönen Lieder mehr. Am andern Morgen erschien er und sprach traurig seine Sehnsucht nach dem Maidele aus: „So viel mängeln thu’ ich das Madel!“ Wir waren zu zwei und besuchten den Kirchhof. Dort hat ihr der Vater einen Grabstein setzen lassen, den schönsten im stillen Gefilde. Im Thale erzählt noch Jung und Alt von ihr; sie hatten sie alle sehr lieb gehabt.

Von Lannersbach geht der Weg durch ein Tobelthal in zwei guten Stunden nach Finkenberg. Dies ist ein freundliches Dorf, das zwischen Obstbäumen auf einem hügeligen Gereute steht, und man hat von da aus eine liebe Aussicht

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[533/0537] und dem Schullehrer und seinem Bruder, bat sie alle, sie möchten mir das schwarzlackirte Müller-Töchterlein, wenn es wieder einmal in Heimgarten käme, schönstens grüßen und zog davon. Den Rautenstrauch betreffend, so mag hier eine schöne Sitte des Hochlandes hervorgehoben werden. Wenn nämlich ein Gast sey es auch nur kurze Zeit unter fremdem Dache zugebracht und die Zuneigung der Hausleute gewonnen hat, so wird ihm zum Abschiede von der Tochter des Hauses ein Blumenstrauß überreicht. Im höhern Gebirge, wo die Gartenblumen seltener sind, wird statt derselben die Edelraute gewählt und dem Gaste auf den Hut geheftet. Es ist ein unscheinbares Kraut mit blaßgrünen Blättchen und winzigen gelben Blüthchen, dem man anfangs gar nicht ansieht, was es denn eigentlich wolle, denn auch der Geruch ist sehr schwach. Wenn die Raute aber trocken geworden, verbreitet sie einen herrlichen Duft und nun läßt man sichs gerne gefallen, daß die Aelpler sie so hoch in Ehren und für das vornehmste Gewächs auf Erden halten. Als ich Lannersbach damals verließ, lag also das schöne Maidele im Bette und als ich zwei Jahre darauf wieder hinkam, lag sie im Grabe. Sie war, ich glaube an einer Brustentzündung, wenige Monate vorher gestorben. Es war ein kaltes Herbstwetter und der Kirchtag schon vorüber. Im Wirthshause herrschte große Stille. Jörgel war schon schlafen gegangen, denn er geht jetzt frühzeitig zur Ruhe; er singt mit seiner Tochter und dem Organisten keine schönen Lieder mehr. Am andern Morgen erschien er und sprach traurig seine Sehnsucht nach dem Maidele aus: „So viel mängeln thu’ ich das Madel!“ Wir waren zu zwei und besuchten den Kirchhof. Dort hat ihr der Vater einen Grabstein setzen lassen, den schönsten im stillen Gefilde. Im Thale erzählt noch Jung und Alt von ihr; sie hatten sie alle sehr lieb gehabt. Von Lannersbach geht der Weg durch ein Tobelthal in zwei guten Stunden nach Finkenberg. Dies ist ein freundliches Dorf, das zwischen Obstbäumen auf einem hügeligen Gereute steht, und man hat von da aus eine liebe Aussicht

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Zitationshilfe: Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846, S. 533. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steub_tirol_1846/537>, abgerufen am 23.11.2024.