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Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846.

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in eine große Wirthshausstube denken, an einem Kirchtage oder bei einer Hochzeit, wo alles wimmelt von starken Buben und blühenden Mädchen, wo die Tische voll Gläser sind und die Köpfe voll Wein. In einer Ecke steht eine große Kornkiste und auf dieser bemerken wir im Geiste Zither, Hackbrett, Schwegel, ein paar Geigen, den großen Baß, Maultrommeln u. s. w. sammt den dazu gehörigen Spielleuten, was alles zusammen die Spielleuttruhe genannt wird. Wenn's nun von neuem angehen soll, so tritt einer der Tänzer mit seinem Mädchen zur Spielleuttruhe vor und wirft dieser sein schnödes Silber zu, bald mehr bald weniger, je nach Stand und Vermögen, oder auch nach Eitelkeit und Ehrgeiz. Dieß heißt einen Tanz anfrümen (bestellen) und im Unterinnthale wurden dazumal für einen einzigen Ländler oft mehrere Kronthaler auf die Truhe geworfen. Dafür durfte nun jenes Paar für sich allein tanzen, und die andern mußten zusehen, bis der angefrümte Ländler vorüber war. Wer sich indessen nicht so viel herausnahm, sondern sein Geschäftchen still und anspruchlos mit den andern fortmachte, der zahlte einen Groschen für den Tag und nochmal einen nach dem Ave Maria Läuten. Aus einer schätzbaren Notiz bei Peter Prosch ist zu entnehmen, daß man zu der Zeit, als dieser jung war, wenn man sich sehen lassen wollte, vier Kreuzer gab. Nachdem also ausgezahlt war, stimmte der Tänzer in einer selbstgewählten Melodie sein Schnaderhüpfel an, und die Musik fiel alsogleich begleitend ein - woraus sich denn deutlich ergibt, daß das Schnaderhüpfel der bojoarische Vertreter der romanischen Ballade ist.

"Eine andere Gelegenheit, die erwähnten Liedchen zu singen, bietet den Buben das Gasselgehen oder Anfensterln, dasselbe, was man im Bregenzerwalde die Stubet nennt. Wenn nämlich der theure Junge von einem solchen Liebesabentheuer zurückkehrt, stimmt er auf dem Heimwege sein Gassellied an und begleitet es mit einem Jauchzen, wovon die Gebirge wiederhallen. Vor dem Besuche hütet er sich gerne seine Gefühle laut werden zu lassen, besonders auf dem Gang in entferntere Orte, da die Bursch (so heißt die Gesammtheit

in eine große Wirthshausstube denken, an einem Kirchtage oder bei einer Hochzeit, wo alles wimmelt von starken Buben und blühenden Mädchen, wo die Tische voll Gläser sind und die Köpfe voll Wein. In einer Ecke steht eine große Kornkiste und auf dieser bemerken wir im Geiste Zither, Hackbrett, Schwegel, ein paar Geigen, den großen Baß, Maultrommeln u. s. w. sammt den dazu gehörigen Spielleuten, was alles zusammen die Spielleuttruhe genannt wird. Wenn’s nun von neuem angehen soll, so tritt einer der Tänzer mit seinem Mädchen zur Spielleuttruhe vor und wirft dieser sein schnödes Silber zu, bald mehr bald weniger, je nach Stand und Vermögen, oder auch nach Eitelkeit und Ehrgeiz. Dieß heißt einen Tanz anfrümen (bestellen) und im Unterinnthale wurden dazumal für einen einzigen Ländler oft mehrere Kronthaler auf die Truhe geworfen. Dafür durfte nun jenes Paar für sich allein tanzen, und die andern mußten zusehen, bis der angefrümte Ländler vorüber war. Wer sich indessen nicht so viel herausnahm, sondern sein Geschäftchen still und anspruchlos mit den andern fortmachte, der zahlte einen Groschen für den Tag und nochmal einen nach dem Ave Maria Läuten. Aus einer schätzbaren Notiz bei Peter Prosch ist zu entnehmen, daß man zu der Zeit, als dieser jung war, wenn man sich sehen lassen wollte, vier Kreuzer gab. Nachdem also ausgezahlt war, stimmte der Tänzer in einer selbstgewählten Melodie sein Schnaderhüpfel an, und die Musik fiel alsogleich begleitend ein – woraus sich denn deutlich ergibt, daß das Schnaderhüpfel der bojoarische Vertreter der romanischen Ballade ist.

„Eine andere Gelegenheit, die erwähnten Liedchen zu singen, bietet den Buben das Gasselgehen oder Anfensterln, dasselbe, was man im Bregenzerwalde die Stubet nennt. Wenn nämlich der theure Junge von einem solchen Liebesabentheuer zurückkehrt, stimmt er auf dem Heimwege sein Gassellied an und begleitet es mit einem Jauchzen, wovon die Gebirge wiederhallen. Vor dem Besuche hütet er sich gerne seine Gefühle laut werden zu lassen, besonders auf dem Gang in entferntere Orte, da die Bursch (so heißt die Gesammtheit

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Zitationshilfe: Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846, S. 562. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steub_tirol_1846/566>, abgerufen am 23.11.2024.