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Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846.

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manche andre Arten mehr. Nicht wenige Bauern haben zu ihrem Hausbedarf einen eigenen Brennofen. Im Zillerthale ist für viele Leute, wenigstens weiblichen Geschlechts, das Graben und Brennen der Meister- und Enzianwurzen ein ordentlicher Erwerbszweig. Sie bleiben den ganzen Sommer hindurch auf dem höchsten Gebirge, wo sie eigene Hütten haben. Viele ziehen in dieser Absicht ins südliche Tirol, auch nach Kärnthen, Steiermark und Schwaben. Beinahe jeder Knecht und jede Bauernmagd hat ein Fläschchen solchen Lebensgeistes in der Gewandtruhe verborgen. Es werden auch förmliche Branntweingesellschaften oder Branntweinhoangasten (Heimgarten) abgehalten, bei welchen sich die jungen Leute der Nachbarschaft, besonders in hohen Gebirgsgegenden, wo keine Wirthshäuser sind, in einem Bauernhause durch Trinken, Tanzen oder ländliche Spiele zu belustigen pflegen; gegen diese Branntweingelage sind ebenfalls schon verschiedene obrigkeitliche Maßnahmen ergangen, doch eigentlich nur für die flachen Landesgegenden; denn auf dem Gebirge, dessen Bewohner hie und da im Winter nicht einmal zu ihrer Kirche kommen können und ihre Todten in einer Kammer bis zum Anfange des Frühlings aufbewahren müssen, ist es wohl nicht ahndungswürdig, wenn sie die langen Abende durch diese einzige Unterhaltung abzukürzen suchen."

An einem andern Orte wird die herbstliche Heimfahrt von der Alm geschildert wie folgt: Der Melcher mit einem Stocke bewaffnet, tritt langsamen Schrittes und unter wunderlichen Geberden voran; sein Stolz steht in genauem Verhältnisse mit der Anzahl der Heerde und ihrer Schönheit. Hinter ihm drein, an erster Stelle geht jene Kuh, welche das Jahr hindurch auf der Alm bei den oftmals veranstalteten Kuhgefechten die meisten Siege erfochten hat. Sie heißt die Mairkuh und unterscheidet sich von den übrigen durch ihren Kopfputz und eine am Halse hängende ungeheure Schelle, ihres dumpfen Tones wegen der Hafen genannt. Hierauf folgen die übrigen Kühe nach der Ordnung. Im Unterinnthale beläuft sich deren Anzahl bei einem einzigen Bauern manchmal auf hundert Stücke. Ein großer Theil derselben ist ebenfalls mit Schellen, Glocken,

manche andre Arten mehr. Nicht wenige Bauern haben zu ihrem Hausbedarf einen eigenen Brennofen. Im Zillerthale ist für viele Leute, wenigstens weiblichen Geschlechts, das Graben und Brennen der Meister- und Enzianwurzen ein ordentlicher Erwerbszweig. Sie bleiben den ganzen Sommer hindurch auf dem höchsten Gebirge, wo sie eigene Hütten haben. Viele ziehen in dieser Absicht ins südliche Tirol, auch nach Kärnthen, Steiermark und Schwaben. Beinahe jeder Knecht und jede Bauernmagd hat ein Fläschchen solchen Lebensgeistes in der Gewandtruhe verborgen. Es werden auch förmliche Branntweingesellschaften oder Branntweinhoangasten (Heimgarten) abgehalten, bei welchen sich die jungen Leute der Nachbarschaft, besonders in hohen Gebirgsgegenden, wo keine Wirthshäuser sind, in einem Bauernhause durch Trinken, Tanzen oder ländliche Spiele zu belustigen pflegen; gegen diese Branntweingelage sind ebenfalls schon verschiedene obrigkeitliche Maßnahmen ergangen, doch eigentlich nur für die flachen Landesgegenden; denn auf dem Gebirge, dessen Bewohner hie und da im Winter nicht einmal zu ihrer Kirche kommen können und ihre Todten in einer Kammer bis zum Anfange des Frühlings aufbewahren müssen, ist es wohl nicht ahndungswürdig, wenn sie die langen Abende durch diese einzige Unterhaltung abzukürzen suchen.“

An einem andern Orte wird die herbstliche Heimfahrt von der Alm geschildert wie folgt: Der Melcher mit einem Stocke bewaffnet, tritt langsamen Schrittes und unter wunderlichen Geberden voran; sein Stolz steht in genauem Verhältnisse mit der Anzahl der Heerde und ihrer Schönheit. Hinter ihm drein, an erster Stelle geht jene Kuh, welche das Jahr hindurch auf der Alm bei den oftmals veranstalteten Kuhgefechten die meisten Siege erfochten hat. Sie heißt die Mairkuh und unterscheidet sich von den übrigen durch ihren Kopfputz und eine am Halse hängende ungeheure Schelle, ihres dumpfen Tones wegen der Hafen genannt. Hierauf folgen die übrigen Kühe nach der Ordnung. Im Unterinnthale beläuft sich deren Anzahl bei einem einzigen Bauern manchmal auf hundert Stücke. Ein großer Theil derselben ist ebenfalls mit Schellen, Glocken,

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[569/0573] manche andre Arten mehr. Nicht wenige Bauern haben zu ihrem Hausbedarf einen eigenen Brennofen. Im Zillerthale ist für viele Leute, wenigstens weiblichen Geschlechts, das Graben und Brennen der Meister- und Enzianwurzen ein ordentlicher Erwerbszweig. Sie bleiben den ganzen Sommer hindurch auf dem höchsten Gebirge, wo sie eigene Hütten haben. Viele ziehen in dieser Absicht ins südliche Tirol, auch nach Kärnthen, Steiermark und Schwaben. Beinahe jeder Knecht und jede Bauernmagd hat ein Fläschchen solchen Lebensgeistes in der Gewandtruhe verborgen. Es werden auch förmliche Branntweingesellschaften oder Branntweinhoangasten (Heimgarten) abgehalten, bei welchen sich die jungen Leute der Nachbarschaft, besonders in hohen Gebirgsgegenden, wo keine Wirthshäuser sind, in einem Bauernhause durch Trinken, Tanzen oder ländliche Spiele zu belustigen pflegen; gegen diese Branntweingelage sind ebenfalls schon verschiedene obrigkeitliche Maßnahmen ergangen, doch eigentlich nur für die flachen Landesgegenden; denn auf dem Gebirge, dessen Bewohner hie und da im Winter nicht einmal zu ihrer Kirche kommen können und ihre Todten in einer Kammer bis zum Anfange des Frühlings aufbewahren müssen, ist es wohl nicht ahndungswürdig, wenn sie die langen Abende durch diese einzige Unterhaltung abzukürzen suchen.“ An einem andern Orte wird die herbstliche Heimfahrt von der Alm geschildert wie folgt: Der Melcher mit einem Stocke bewaffnet, tritt langsamen Schrittes und unter wunderlichen Geberden voran; sein Stolz steht in genauem Verhältnisse mit der Anzahl der Heerde und ihrer Schönheit. Hinter ihm drein, an erster Stelle geht jene Kuh, welche das Jahr hindurch auf der Alm bei den oftmals veranstalteten Kuhgefechten die meisten Siege erfochten hat. Sie heißt die Mairkuh und unterscheidet sich von den übrigen durch ihren Kopfputz und eine am Halse hängende ungeheure Schelle, ihres dumpfen Tones wegen der Hafen genannt. Hierauf folgen die übrigen Kühe nach der Ordnung. Im Unterinnthale beläuft sich deren Anzahl bei einem einzigen Bauern manchmal auf hundert Stücke. Ein großer Theil derselben ist ebenfalls mit Schellen, Glocken,

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Zitationshilfe: Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846, S. 569. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steub_tirol_1846/573>, abgerufen am 23.11.2024.