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Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846.

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Abwege und verlassen daher das Gethier des Waldes und der Luft, um zu den Zillerthalern zurückzukehren.

Das Wesen dieses Thalvolkes schildert sich nun in seinen Schnaderhaggen mit seinen eigenen Worten recht deutlich und greifbar. Es zeigt sich darin eine derbe Sinnlichkeit, viele Freude am Leben und an der Liebe, viele Lust an der eigenen Stärke und am Kampfe, ganz nach Art des bojoarischen Stammes, in dessen Bereiche wie man schon vor sechshundert Jahren wußte:

Von Streiten redet mehr ein Knecht, dann dreißig anderswo.

Die Heiterkeit thut's dem Ernste bei weitem zuvor; die Satire ist viel ausgesprochener, als die Empfindsamkeit. Nach allen ältern Schilderungen dieses Thalvolkes muß man annehmen, daß sich unter ihm jenes altgermanische "Wüten," jene ungebändigte, kräftige Lebenslust am längsten erhalten habe. Viel mag dazu beigetragen haben, daß das Thal fast seit einem Jahrtausend dem Erzstift Salzburg unterthan gewesen und daß man sich in der fernen Hauptstadt um Sitten und Gebräuche der Zillerthaler wenig kümmerte. Manche Gewohnheit und manches Herkommmen ist jetzt verschwunden, ein Abgang, der viel Charakteristisches vernichtet hat, indessen nicht in jedem Stücke zu bedauern ist, da der Gesittung überall ein Recht über die Rohheit zusteht. Wenn man aber alle Fröhlichkeit und jede erlaubte Lebensfreude in Verruf bringen will, so wird das Volk äußerlich zwar trübseliger werden, aber nicht besser. Die Lustbarkeiten des Ziller- Kirchtages hat man abgeschafft und an die Stelle der "eitlen Weltlust" soll allenthalben die Ascese treten; aber seitdem der Jugend die Erholung im Thale verboten ist, kommt sie desto häufiger auf den einsamen Berghöfen zusammen, wo bei einem Fäßchen Branntwein wie in der guten alten Zeit die Zither schallt, und tief in die Nacht hinein der heiße Tanz dauert.

Jene Richtung ist übrigens hier noch zu neu, um bereits wesentlich eingewirkt zu haben, und der Zillerthaler ist mit seinem Nachbar im Unterinnthale noch immer der fröhlichste der Tiroler. Seine heitere Laune hat ihn auch als Handschuhhändler allenthalben empfohlen und ist nicht der verächtlichste

Abwege und verlassen daher das Gethier des Waldes und der Luft, um zu den Zillerthalern zurückzukehren.

Das Wesen dieses Thalvolkes schildert sich nun in seinen Schnaderhaggen mit seinen eigenen Worten recht deutlich und greifbar. Es zeigt sich darin eine derbe Sinnlichkeit, viele Freude am Leben und an der Liebe, viele Lust an der eigenen Stärke und am Kampfe, ganz nach Art des bojoarischen Stammes, in dessen Bereiche wie man schon vor sechshundert Jahren wußte:

     Von Streiten redet mehr ein Knecht, dann dreißig anderswo.

Die Heiterkeit thut’s dem Ernste bei weitem zuvor; die Satire ist viel ausgesprochener, als die Empfindsamkeit. Nach allen ältern Schilderungen dieses Thalvolkes muß man annehmen, daß sich unter ihm jenes altgermanische „Wüten,“ jene ungebändigte, kräftige Lebenslust am längsten erhalten habe. Viel mag dazu beigetragen haben, daß das Thal fast seit einem Jahrtausend dem Erzstift Salzburg unterthan gewesen und daß man sich in der fernen Hauptstadt um Sitten und Gebräuche der Zillerthaler wenig kümmerte. Manche Gewohnheit und manches Herkommmen ist jetzt verschwunden, ein Abgang, der viel Charakteristisches vernichtet hat, indessen nicht in jedem Stücke zu bedauern ist, da der Gesittung überall ein Recht über die Rohheit zusteht. Wenn man aber alle Fröhlichkeit und jede erlaubte Lebensfreude in Verruf bringen will, so wird das Volk äußerlich zwar trübseliger werden, aber nicht besser. Die Lustbarkeiten des Ziller- Kirchtages hat man abgeschafft und an die Stelle der „eitlen Weltlust“ soll allenthalben die Ascese treten; aber seitdem der Jugend die Erholung im Thale verboten ist, kommt sie desto häufiger auf den einsamen Berghöfen zusammen, wo bei einem Fäßchen Branntwein wie in der guten alten Zeit die Zither schallt, und tief in die Nacht hinein der heiße Tanz dauert.

Jene Richtung ist übrigens hier noch zu neu, um bereits wesentlich eingewirkt zu haben, und der Zillerthaler ist mit seinem Nachbar im Unterinnthale noch immer der fröhlichste der Tiroler. Seine heitere Laune hat ihn auch als Handschuhhändler allenthalben empfohlen und ist nicht der verächtlichste

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[574/0578] Abwege und verlassen daher das Gethier des Waldes und der Luft, um zu den Zillerthalern zurückzukehren. Das Wesen dieses Thalvolkes schildert sich nun in seinen Schnaderhaggen mit seinen eigenen Worten recht deutlich und greifbar. Es zeigt sich darin eine derbe Sinnlichkeit, viele Freude am Leben und an der Liebe, viele Lust an der eigenen Stärke und am Kampfe, ganz nach Art des bojoarischen Stammes, in dessen Bereiche wie man schon vor sechshundert Jahren wußte:      Von Streiten redet mehr ein Knecht, dann dreißig anderswo. Die Heiterkeit thut’s dem Ernste bei weitem zuvor; die Satire ist viel ausgesprochener, als die Empfindsamkeit. Nach allen ältern Schilderungen dieses Thalvolkes muß man annehmen, daß sich unter ihm jenes altgermanische „Wüten,“ jene ungebändigte, kräftige Lebenslust am längsten erhalten habe. Viel mag dazu beigetragen haben, daß das Thal fast seit einem Jahrtausend dem Erzstift Salzburg unterthan gewesen und daß man sich in der fernen Hauptstadt um Sitten und Gebräuche der Zillerthaler wenig kümmerte. Manche Gewohnheit und manches Herkommmen ist jetzt verschwunden, ein Abgang, der viel Charakteristisches vernichtet hat, indessen nicht in jedem Stücke zu bedauern ist, da der Gesittung überall ein Recht über die Rohheit zusteht. Wenn man aber alle Fröhlichkeit und jede erlaubte Lebensfreude in Verruf bringen will, so wird das Volk äußerlich zwar trübseliger werden, aber nicht besser. Die Lustbarkeiten des Ziller- Kirchtages hat man abgeschafft und an die Stelle der „eitlen Weltlust“ soll allenthalben die Ascese treten; aber seitdem der Jugend die Erholung im Thale verboten ist, kommt sie desto häufiger auf den einsamen Berghöfen zusammen, wo bei einem Fäßchen Branntwein wie in der guten alten Zeit die Zither schallt, und tief in die Nacht hinein der heiße Tanz dauert. Jene Richtung ist übrigens hier noch zu neu, um bereits wesentlich eingewirkt zu haben, und der Zillerthaler ist mit seinem Nachbar im Unterinnthale noch immer der fröhlichste der Tiroler. Seine heitere Laune hat ihn auch als Handschuhhändler allenthalben empfohlen und ist nicht der verächtlichste

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Zitationshilfe: Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846, S. 574. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steub_tirol_1846/578>, abgerufen am 23.11.2024.