Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846.Freude nicht gar klein ist. Es verstand sich daher fast ohne Verabredung, daß wir den Abend mit allen Genüssen anständiger Geselligkeit auszuschmücken gedachten und den Anfang nur so lange verschoben, bis wir das Nachtmahl eingenommen hatten. Nachdem aber dieses geschehen, zeigte sichs welcher Vortheil uns der Umstand brachte, daß wir verschiedenen deutschen Völkerschaften angehörten, denn wenn die bayerischen Studenten nicht dabei gewesen, so hätten wir nicht die schönen Alpenlieder gehört, die der eine, der treffliche Jodler, mit den drei Mädchen zusammensang, unter süßer Begleitung der Zither, welche Gertl so weich, so wehmüthig und so fröhlich zu spielen wußte - und hätten wir die Sachsen nicht gehabt, so wären die Bayern wahrscheinlich nicht auf den Gedanken verfallen, von Traudl und ihren Freundinnen pinzgauerisch tanzen zu lernen, um so weniger, als sie's schon konnten, da es nichts anderes ist, als was sonst ländlerisch oder bäuerisch genannt wird, der eigentliche Tanz der Alpen nämlich, wobei Bue und Mädel nicht, wie bei dem deutschen, den man im Casino tanzt, unauflöslich aneinander kleben, sondern meistens in gelösten Kreisen sich umschweben. Das ist so die Art des alten nationalen Tanzes im Gebirg, daß der Tänzer alsbald seine Dirne in die Freiheit läßt, diese dann milde lächelnd, mit gesenkten Augen sich um ihn her bewegt, er aber vor ihren verschämten Blicken alle die erlaubten Wahnsinnigkeiten rhythmisch ausführt, wie sie Jugendkraft, Sehnsucht und Liebesfreude einem jungen Aelpler eingeben können. Da dreht er sich also pfeifend, schnalzend oder singend wie ein Planet um seine Sonne, die aber auch ihre Wirbel zieht, stampft mit den Füßen, klopft mit den Händen im Tacte auf Knie und Fußabsätze, macht einen Burzelbaum, schlägt Räder, springt über das Mädchen hinüber, läßt sie unter seinem Arme sich durchdrehen, dreht sich unter dem ihren durch, nimmt sie aber nur selten, wenn auch feurig, in die Arme, und zuletzt, wenn es einer ist, der alte Traditionen ehrt, schwingt er sie in die Höhe, hoch über sein Haupt und läßt sie - aber wer das Ende dieser Figur erfahren will, muß in der Gegend von Miesbach nachfragen. Freude nicht gar klein ist. Es verstand sich daher fast ohne Verabredung, daß wir den Abend mit allen Genüssen anständiger Geselligkeit auszuschmücken gedachten und den Anfang nur so lange verschoben, bis wir das Nachtmahl eingenommen hatten. Nachdem aber dieses geschehen, zeigte sichs welcher Vortheil uns der Umstand brachte, daß wir verschiedenen deutschen Völkerschaften angehörten, denn wenn die bayerischen Studenten nicht dabei gewesen, so hätten wir nicht die schönen Alpenlieder gehört, die der eine, der treffliche Jodler, mit den drei Mädchen zusammensang, unter süßer Begleitung der Zither, welche Gertl so weich, so wehmüthig und so fröhlich zu spielen wußte – und hätten wir die Sachsen nicht gehabt, so wären die Bayern wahrscheinlich nicht auf den Gedanken verfallen, von Traudl und ihren Freundinnen pinzgauerisch tanzen zu lernen, um so weniger, als sie’s schon konnten, da es nichts anderes ist, als was sonst ländlerisch oder bäuerisch genannt wird, der eigentliche Tanz der Alpen nämlich, wobei Bue und Mädel nicht, wie bei dem deutschen, den man im Casino tanzt, unauflöslich aneinander kleben, sondern meistens in gelösten Kreisen sich umschweben. Das ist so die Art des alten nationalen Tanzes im Gebirg, daß der Tänzer alsbald seine Dirne in die Freiheit läßt, diese dann milde lächelnd, mit gesenkten Augen sich um ihn her bewegt, er aber vor ihren verschämten Blicken alle die erlaubten Wahnsinnigkeiten rhythmisch ausführt, wie sie Jugendkraft, Sehnsucht und Liebesfreude einem jungen Aelpler eingeben können. Da dreht er sich also pfeifend, schnalzend oder singend wie ein Planet um seine Sonne, die aber auch ihre Wirbel zieht, stampft mit den Füßen, klopft mit den Händen im Tacte auf Knie und Fußabsätze, macht einen Burzelbaum, schlägt Räder, springt über das Mädchen hinüber, läßt sie unter seinem Arme sich durchdrehen, dreht sich unter dem ihren durch, nimmt sie aber nur selten, wenn auch feurig, in die Arme, und zuletzt, wenn es einer ist, der alte Traditionen ehrt, schwingt er sie in die Höhe, hoch über sein Haupt und läßt sie – aber wer das Ende dieser Figur erfahren will, muß in der Gegend von Miesbach nachfragen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0584" n="580"/> Freude nicht gar klein ist. Es verstand sich daher fast ohne Verabredung, daß wir den Abend mit allen Genüssen anständiger Geselligkeit auszuschmücken gedachten und den Anfang nur so lange verschoben, bis wir das Nachtmahl eingenommen hatten. Nachdem aber dieses geschehen, zeigte sichs welcher Vortheil uns der Umstand brachte, daß wir verschiedenen deutschen Völkerschaften angehörten, denn wenn die bayerischen Studenten nicht dabei gewesen, so hätten wir nicht die schönen Alpenlieder gehört, die der eine, der treffliche Jodler, mit den drei Mädchen zusammensang, unter süßer Begleitung der Zither, welche Gertl so weich, so wehmüthig und so fröhlich zu spielen wußte – und hätten wir die Sachsen nicht gehabt, so wären die Bayern wahrscheinlich nicht auf den Gedanken verfallen, von Traudl und ihren Freundinnen pinzgauerisch tanzen zu lernen, um so weniger, als sie’s schon konnten, da es nichts anderes ist, als was sonst ländlerisch oder bäuerisch genannt wird, der eigentliche Tanz der Alpen nämlich, wobei Bue und Mädel nicht, wie bei dem deutschen, den man im Casino tanzt, unauflöslich aneinander kleben, sondern meistens in gelösten Kreisen sich umschweben. Das ist so die Art des alten nationalen Tanzes im Gebirg, daß der Tänzer alsbald seine Dirne in die Freiheit läßt, diese dann milde lächelnd, mit gesenkten Augen sich um ihn her bewegt, er aber vor ihren verschämten Blicken alle die erlaubten Wahnsinnigkeiten rhythmisch ausführt, wie sie Jugendkraft, Sehnsucht und Liebesfreude einem jungen Aelpler eingeben können. Da dreht er sich also pfeifend, schnalzend oder singend wie ein Planet um seine Sonne, die aber auch ihre Wirbel zieht, stampft mit den Füßen, klopft mit den Händen im Tacte auf Knie und Fußabsätze, macht einen Burzelbaum, schlägt Räder, springt über das Mädchen hinüber, läßt sie unter seinem Arme sich durchdrehen, dreht sich unter dem ihren durch, nimmt sie aber nur selten, wenn auch feurig, in die Arme, und zuletzt, wenn es einer ist, der alte Traditionen ehrt, schwingt er sie in die Höhe, hoch über sein Haupt und läßt sie – aber wer das Ende dieser Figur erfahren will, muß in der Gegend von Miesbach nachfragen.</p> </div> </body> </text> </TEI> [580/0584]
Freude nicht gar klein ist. Es verstand sich daher fast ohne Verabredung, daß wir den Abend mit allen Genüssen anständiger Geselligkeit auszuschmücken gedachten und den Anfang nur so lange verschoben, bis wir das Nachtmahl eingenommen hatten. Nachdem aber dieses geschehen, zeigte sichs welcher Vortheil uns der Umstand brachte, daß wir verschiedenen deutschen Völkerschaften angehörten, denn wenn die bayerischen Studenten nicht dabei gewesen, so hätten wir nicht die schönen Alpenlieder gehört, die der eine, der treffliche Jodler, mit den drei Mädchen zusammensang, unter süßer Begleitung der Zither, welche Gertl so weich, so wehmüthig und so fröhlich zu spielen wußte – und hätten wir die Sachsen nicht gehabt, so wären die Bayern wahrscheinlich nicht auf den Gedanken verfallen, von Traudl und ihren Freundinnen pinzgauerisch tanzen zu lernen, um so weniger, als sie’s schon konnten, da es nichts anderes ist, als was sonst ländlerisch oder bäuerisch genannt wird, der eigentliche Tanz der Alpen nämlich, wobei Bue und Mädel nicht, wie bei dem deutschen, den man im Casino tanzt, unauflöslich aneinander kleben, sondern meistens in gelösten Kreisen sich umschweben. Das ist so die Art des alten nationalen Tanzes im Gebirg, daß der Tänzer alsbald seine Dirne in die Freiheit läßt, diese dann milde lächelnd, mit gesenkten Augen sich um ihn her bewegt, er aber vor ihren verschämten Blicken alle die erlaubten Wahnsinnigkeiten rhythmisch ausführt, wie sie Jugendkraft, Sehnsucht und Liebesfreude einem jungen Aelpler eingeben können. Da dreht er sich also pfeifend, schnalzend oder singend wie ein Planet um seine Sonne, die aber auch ihre Wirbel zieht, stampft mit den Füßen, klopft mit den Händen im Tacte auf Knie und Fußabsätze, macht einen Burzelbaum, schlägt Räder, springt über das Mädchen hinüber, läßt sie unter seinem Arme sich durchdrehen, dreht sich unter dem ihren durch, nimmt sie aber nur selten, wenn auch feurig, in die Arme, und zuletzt, wenn es einer ist, der alte Traditionen ehrt, schwingt er sie in die Höhe, hoch über sein Haupt und läßt sie – aber wer das Ende dieser Figur erfahren will, muß in der Gegend von Miesbach nachfragen.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax.
(2012-11-05T13:27:31Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2012-11-05T13:27:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat.
(2012-11-05T13:27:31Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |