Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846.wurde er auch zum Freiherrn erhoben. Gut angesehen bei dem Kaiser und dem Hofe, weil man ihm großen Einfluß bei den Tirolern zutraut, ist er geachtet und gefürchtet bei den Landsleuten, weil man glaubt, er gelte viel zu Wien. Was seine ständische Wirksamkeit betrifft, so hat er seinen tirolischen Patriotismus nie verläugnet. Darauf gestützt, wagte er zuweilen sogar zu opponiren und lästigen Anforderungen vorsichtig zu widerstehen. Für seine Verdienste genoß er den Vorzug, daß ihm wenig übel genommen wurde. Wie es nun in patriarchalisch regierten Reichen öfter geschieht, so hat sich auch in Tirol seit den Friedensjahren und seit der Wiedererlangung der alten Freiheiten viel unmännliche Herzensschwäche und viel sanfter Servilismus eingestellt. Es gibt dort, im Landhause ganz unabhängige Leute, welche, wenn sie überhaupt etwas sagen, nur etwas solches wagen, wofür schon ein Andrer die Verantwortlichkeit übernommen. Für solche Collegen galt seit langen Jahren der Brauch, das zu sagen, was der Giovanelli gesagt. Damit wußte man, daß man gut fahren werde. Herr von Giovanelli war seiner Zeit ein strebsamer Jüngling gewesen, lebenslustig, der deutschen Literatur geneigt, mehr noch dem alten Horaz, den er auswendig weiß, selbst einmal ein Dichter, dessen Verse wenig Blödigkeit verrathen. Mit den Jahren indessen legte sich der Humor; er überließ sich jenen andächtigen Strömungen, die nun das Land überfluten, und gerieth allmählich in einen compacten Bigottismus hinein und in einen sauern Haß gegen alles was protestantisch ist. Er fing an den Knaben, auf deren Erziehung er Einfluß hatte, Schiller und Matthisson wegnehmen zu lassen und erklärte überhaupt alles "Lutt'rische" für unnütz und verwerflich. Dabei wurde er immer strenger in seinen Anforderungen an die Kirchlichkeit seines Vaterlandes und kam zuletzt so weit, daß er, wie allgemein behauptet wird, vortrefflich charakterisirt ist in einem Sonette, das ihm in den Mund gelegt, also schließt: wurde er auch zum Freiherrn erhoben. Gut angesehen bei dem Kaiser und dem Hofe, weil man ihm großen Einfluß bei den Tirolern zutraut, ist er geachtet und gefürchtet bei den Landsleuten, weil man glaubt, er gelte viel zu Wien. Was seine ständische Wirksamkeit betrifft, so hat er seinen tirolischen Patriotismus nie verläugnet. Darauf gestützt, wagte er zuweilen sogar zu opponiren und lästigen Anforderungen vorsichtig zu widerstehen. Für seine Verdienste genoß er den Vorzug, daß ihm wenig übel genommen wurde. Wie es nun in patriarchalisch regierten Reichen öfter geschieht, so hat sich auch in Tirol seit den Friedensjahren und seit der Wiedererlangung der alten Freiheiten viel unmännliche Herzensschwäche und viel sanfter Servilismus eingestellt. Es gibt dort, im Landhause ganz unabhängige Leute, welche, wenn sie überhaupt etwas sagen, nur etwas solches wagen, wofür schon ein Andrer die Verantwortlichkeit übernommen. Für solche Collegen galt seit langen Jahren der Brauch, das zu sagen, was der Giovanelli gesagt. Damit wußte man, daß man gut fahren werde. Herr von Giovanelli war seiner Zeit ein strebsamer Jüngling gewesen, lebenslustig, der deutschen Literatur geneigt, mehr noch dem alten Horaz, den er auswendig weiß, selbst einmal ein Dichter, dessen Verse wenig Blödigkeit verrathen. Mit den Jahren indessen legte sich der Humor; er überließ sich jenen andächtigen Strömungen, die nun das Land überfluten, und gerieth allmählich in einen compacten Bigottismus hinein und in einen sauern Haß gegen alles was protestantisch ist. Er fing an den Knaben, auf deren Erziehung er Einfluß hatte, Schiller und Matthisson wegnehmen zu lassen und erklärte überhaupt alles „Lutt’rische“ für unnütz und verwerflich. Dabei wurde er immer strenger in seinen Anforderungen an die Kirchlichkeit seines Vaterlandes und kam zuletzt so weit, daß er, wie allgemein behauptet wird, vortrefflich charakterisirt ist in einem Sonette, das ihm in den Mund gelegt, also schließt: <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0638" n="634"/> wurde er auch zum Freiherrn erhoben. 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Damit wußte man, daß man gut fahren werde.</p> <p>Herr von Giovanelli war seiner Zeit ein strebsamer Jüngling gewesen, lebenslustig, der deutschen Literatur geneigt, mehr noch dem alten Horaz, den er auswendig weiß, selbst einmal ein Dichter, dessen Verse wenig Blödigkeit verrathen. Mit den Jahren indessen legte sich der Humor; er überließ sich jenen andächtigen Strömungen, die nun das Land überfluten, und gerieth allmählich in einen compacten Bigottismus hinein und in einen sauern Haß gegen alles was protestantisch ist. Er fing an den Knaben, auf deren Erziehung er Einfluß hatte, Schiller und Matthisson wegnehmen zu lassen und erklärte überhaupt alles „Lutt’rische“ für unnütz und verwerflich. Dabei wurde er immer strenger in seinen Anforderungen an die Kirchlichkeit seines Vaterlandes und kam zuletzt so weit, daß er, wie allgemein behauptet wird, vortrefflich charakterisirt ist in einem Sonette, das ihm in den Mund gelegt, also schließt:</p> </div> </body> </text> </TEI> [634/0638]
wurde er auch zum Freiherrn erhoben. Gut angesehen bei dem Kaiser und dem Hofe, weil man ihm großen Einfluß bei den Tirolern zutraut, ist er geachtet und gefürchtet bei den Landsleuten, weil man glaubt, er gelte viel zu Wien.
Was seine ständische Wirksamkeit betrifft, so hat er seinen tirolischen Patriotismus nie verläugnet. Darauf gestützt, wagte er zuweilen sogar zu opponiren und lästigen Anforderungen vorsichtig zu widerstehen. Für seine Verdienste genoß er den Vorzug, daß ihm wenig übel genommen wurde. Wie es nun in patriarchalisch regierten Reichen öfter geschieht, so hat sich auch in Tirol seit den Friedensjahren und seit der Wiedererlangung der alten Freiheiten viel unmännliche Herzensschwäche und viel sanfter Servilismus eingestellt. Es gibt dort, im Landhause ganz unabhängige Leute, welche, wenn sie überhaupt etwas sagen, nur etwas solches wagen, wofür schon ein Andrer die Verantwortlichkeit übernommen. Für solche Collegen galt seit langen Jahren der Brauch, das zu sagen, was der Giovanelli gesagt. Damit wußte man, daß man gut fahren werde.
Herr von Giovanelli war seiner Zeit ein strebsamer Jüngling gewesen, lebenslustig, der deutschen Literatur geneigt, mehr noch dem alten Horaz, den er auswendig weiß, selbst einmal ein Dichter, dessen Verse wenig Blödigkeit verrathen. Mit den Jahren indessen legte sich der Humor; er überließ sich jenen andächtigen Strömungen, die nun das Land überfluten, und gerieth allmählich in einen compacten Bigottismus hinein und in einen sauern Haß gegen alles was protestantisch ist. Er fing an den Knaben, auf deren Erziehung er Einfluß hatte, Schiller und Matthisson wegnehmen zu lassen und erklärte überhaupt alles „Lutt’rische“ für unnütz und verwerflich. Dabei wurde er immer strenger in seinen Anforderungen an die Kirchlichkeit seines Vaterlandes und kam zuletzt so weit, daß er, wie allgemein behauptet wird, vortrefflich charakterisirt ist in einem Sonette, das ihm in den Mund gelegt, also schließt:
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