Storch, Heinrich Friedrich von: Gemählde von St. Petersburg. Bd. 2. Riga, 1794.Beamter sich glücklich dünkte, wenn sein Ge- Genuß ist die große Losung, das Ziel aller Der Tag beginnt für die feinere Welt zu Beamter ſich gluͤcklich duͤnkte, wenn ſein Ge- Genuß iſt die große Loſung, das Ziel aller Der Tag beginnt fuͤr die feinere Welt zu <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0430" n="412"/> Beamter ſich gluͤcklich duͤnkte, wenn ſein Ge-<lb/> halt fuͤnfhundert Rubel betrug, und da dieſe<lb/> zur Ernaͤhrung einer Familie hinreichend wa-<lb/> ren! da der reichſte Bankier in ſeiner einſpaͤn-<lb/> nigen Kariole an die Boͤrſe fuhr und unſere<lb/> Damen ihre Viſiten zu Fuß ablegten! —<lb/> Nirgend vielleicht hat der Luxus mit der Ver-<lb/> feinerung der Sitten ſo gleichen Schritt ge-<lb/> halten; nie hat ein Publikum den Kreislauf<lb/> von der hoͤchſten Simplicitaͤt bis zum hoͤchſten<lb/> Raffinement des Lebensgenuſſes ſo ſchnell<lb/> durchlaufen.</p><lb/> <p>Genuß iſt die große Loſung, das Ziel aller<lb/> Thaͤtigkeit, der Sporn alles Wetteifers, die<lb/> Axe um welche ſich unſer taͤglicher Lebensgang<lb/> dreht. Ein Theil des Publikums freylich ar-<lb/> beitet, um zu genießen; aber auch ein ſehr<lb/> großer Theil genießt, ohne zu arbeiten. Selbſt<lb/> der beſchaͤftigte Petersburger wuͤrde erſchrecken,<lb/> wenn er ſein Tagewerk mit der Laſt verglei-<lb/> chen koͤnnte, die in andern Laͤndern den Ruͤcken<lb/> der arbeitenden Klaſſe von Staatsbuͤrgern<lb/> kruͤmmt.</p><lb/> <p>Der Tag beginnt fuͤr die feinere Welt zu<lb/> ſehr verſchiedenen Zeiten. Es iſt noch fruͤh,<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [412/0430]
Beamter ſich gluͤcklich duͤnkte, wenn ſein Ge-
halt fuͤnfhundert Rubel betrug, und da dieſe
zur Ernaͤhrung einer Familie hinreichend wa-
ren! da der reichſte Bankier in ſeiner einſpaͤn-
nigen Kariole an die Boͤrſe fuhr und unſere
Damen ihre Viſiten zu Fuß ablegten! —
Nirgend vielleicht hat der Luxus mit der Ver-
feinerung der Sitten ſo gleichen Schritt ge-
halten; nie hat ein Publikum den Kreislauf
von der hoͤchſten Simplicitaͤt bis zum hoͤchſten
Raffinement des Lebensgenuſſes ſo ſchnell
durchlaufen.
Genuß iſt die große Loſung, das Ziel aller
Thaͤtigkeit, der Sporn alles Wetteifers, die
Axe um welche ſich unſer taͤglicher Lebensgang
dreht. Ein Theil des Publikums freylich ar-
beitet, um zu genießen; aber auch ein ſehr
großer Theil genießt, ohne zu arbeiten. Selbſt
der beſchaͤftigte Petersburger wuͤrde erſchrecken,
wenn er ſein Tagewerk mit der Laſt verglei-
chen koͤnnte, die in andern Laͤndern den Ruͤcken
der arbeitenden Klaſſe von Staatsbuͤrgern
kruͤmmt.
Der Tag beginnt fuͤr die feinere Welt zu
ſehr verſchiedenen Zeiten. Es iſt noch fruͤh,
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