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Storch, Heinrich Friedrich von: Gemählde von St. Petersburg. Bd. 2. Riga, 1794.

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gewinnen könnten. -- Niemand wird wol so
einseitig seyn, diese Schilderung so sehr zu
generalisiren, als ob es gar keine Ausnahmen
gäbe; aber solche Ausnahmen sind selten und
setzen sich gewöhnlich in keinen sonderlichen
Kredit bey dem Geschlechte zu welchem sie ge-
hören.

Diese Mängel abgerechnet, hat der Ton
der petersburgischen Gesellschaften auch von
der Kritik des schwierigsten Weltmanns wenig
zu fürchten. Jene liebenswürdige Ungebun-
denheit, welche sich eben so sehr von der steifen
Etikette der Deutschen, als von der allzuweit-
getriebenen Lizenz der Franzosen entfernt, ist
die Seele aller Zirkel vom guten Ton. Die
kleinen Ceremonialgesetze, über welchen man
anderwärts noch immer so strenge hält, sind
hier völlig unbekannt. An ihre Stelle tritt
eine stillschweigende Uebereinkunft, so interes-
sant und so gefällig zu scheinen, und der Ge-
sellschaft so viel von seiner Eigenthümlichkeit
aufzuopfern, als man nur immer vermag.
Dieses zuvorkommende Bestreben, dem Andern
zu seyn, was er wünschen könnte, daß man
ihm seyn möchte, glättet freylich die alltägli-

gewinnen koͤnnten. — Niemand wird wol ſo
einſeitig ſeyn, dieſe Schilderung ſo ſehr zu
generaliſiren, als ob es gar keine Ausnahmen
gaͤbe; aber ſolche Ausnahmen ſind ſelten und
ſetzen ſich gewoͤhnlich in keinen ſonderlichen
Kredit bey dem Geſchlechte zu welchem ſie ge-
hoͤren.

Dieſe Maͤngel abgerechnet, hat der Ton
der petersburgiſchen Geſellſchaften auch von
der Kritik des ſchwierigſten Weltmanns wenig
zu fuͤrchten. Jene liebenswuͤrdige Ungebun-
denheit, welche ſich eben ſo ſehr von der ſteifen
Etikette der Deutſchen, als von der allzuweit-
getriebenen Lizenz der Franzoſen entfernt, iſt
die Seele aller Zirkel vom guten Ton. Die
kleinen Ceremonialgeſetze, uͤber welchen man
anderwaͤrts noch immer ſo ſtrenge haͤlt, ſind
hier voͤllig unbekannt. An ihre Stelle tritt
eine ſtillſchweigende Uebereinkunft, ſo intereſ-
ſant und ſo gefaͤllig zu ſcheinen, und der Ge-
ſellſchaft ſo viel von ſeiner Eigenthuͤmlichkeit
aufzuopfern, als man nur immer vermag.
Dieſes zuvorkommende Beſtreben, dem Andern
zu ſeyn, was er wuͤnſchen koͤnnte, daß man
ihm ſeyn moͤchte, glaͤttet freylich die alltaͤgli-

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[424/0442] gewinnen koͤnnten. — Niemand wird wol ſo einſeitig ſeyn, dieſe Schilderung ſo ſehr zu generaliſiren, als ob es gar keine Ausnahmen gaͤbe; aber ſolche Ausnahmen ſind ſelten und ſetzen ſich gewoͤhnlich in keinen ſonderlichen Kredit bey dem Geſchlechte zu welchem ſie ge- hoͤren. Dieſe Maͤngel abgerechnet, hat der Ton der petersburgiſchen Geſellſchaften auch von der Kritik des ſchwierigſten Weltmanns wenig zu fuͤrchten. Jene liebenswuͤrdige Ungebun- denheit, welche ſich eben ſo ſehr von der ſteifen Etikette der Deutſchen, als von der allzuweit- getriebenen Lizenz der Franzoſen entfernt, iſt die Seele aller Zirkel vom guten Ton. Die kleinen Ceremonialgeſetze, uͤber welchen man anderwaͤrts noch immer ſo ſtrenge haͤlt, ſind hier voͤllig unbekannt. An ihre Stelle tritt eine ſtillſchweigende Uebereinkunft, ſo intereſ- ſant und ſo gefaͤllig zu ſcheinen, und der Ge- ſellſchaft ſo viel von ſeiner Eigenthuͤmlichkeit aufzuopfern, als man nur immer vermag. Dieſes zuvorkommende Beſtreben, dem Andern zu ſeyn, was er wuͤnſchen koͤnnte, daß man ihm ſeyn moͤchte, glaͤttet freylich die alltaͤgli-

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Zitationshilfe: Storch, Heinrich Friedrich von: Gemählde von St. Petersburg. Bd. 2. Riga, 1794, S. 424. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storch_petersburg02_1794/442>, abgerufen am 23.11.2024.