Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Storch, Heinrich Friedrich von: Gemählde von St. Petersburg. Bd. 2. Riga, 1794.

Bild:
<< vorherige Seite

periode überstanden ist, giebt man die Kinder
in den Pensionen ab, wo man große Sum-
men für sie bezahlt und damit alles gethan zu
haben glaubt. Die Zwischenzeiten in welchen
sie das väterliche Haus besuchen, werden ih-
nen durch Zerstreuungen, Geschenke, Ergötzlich-
keiten und durch die Aeußerungen einer miß-
verstandenen Zärtlichkeit so werth gemacht,
daß sie nur mit Widerwillen zu ihren Erzie-
hern zurückkehren. Man wirft den hiesigen
Pensionen vor, daß sie aus den jungen Mäd-
chen weniger gute Hauswirthinnen als Damen
nach dem Ton zu bilden suchen. In der That
ist dieser Vorwurf gerecht, aber wer kann es
den Unternehmern solcher Anstalten verdenken,
daß sie sich nicht mit einer Waare versehen,
die nirgend Käufer finden würde? Jenen
Zweck, den Verstand und das Aeußere zu kul-
tiviren, erreicht diese Art von Erziehung ge-
wöhnlich sehr gut, da Beyspiel und Nacheife-
rung hier vorzüglich mitwirken.

Sobald die Töchter aus den Pensionen
und die Söhne aus den Schulen und öffentli-
chen Erziehungsanstalten heraustreten, finden
sie sich plötzlich auf dem Schauplatz der gro-

periode uͤberſtanden iſt, giebt man die Kinder
in den Penſionen ab, wo man große Sum-
men fuͤr ſie bezahlt und damit alles gethan zu
haben glaubt. Die Zwiſchenzeiten in welchen
ſie das vaͤterliche Haus beſuchen, werden ih-
nen durch Zerſtreuungen, Geſchenke, Ergoͤtzlich-
keiten und durch die Aeußerungen einer miß-
verſtandenen Zaͤrtlichkeit ſo werth gemacht,
daß ſie nur mit Widerwillen zu ihren Erzie-
hern zuruͤckkehren. Man wirft den hieſigen
Penſionen vor, daß ſie aus den jungen Maͤd-
chen weniger gute Hauswirthinnen als Damen
nach dem Ton zu bilden ſuchen. In der That
iſt dieſer Vorwurf gerecht, aber wer kann es
den Unternehmern ſolcher Anſtalten verdenken,
daß ſie ſich nicht mit einer Waare verſehen,
die nirgend Kaͤufer finden wuͤrde? Jenen
Zweck, den Verſtand und das Aeußere zu kul-
tiviren, erreicht dieſe Art von Erziehung ge-
woͤhnlich ſehr gut, da Beyſpiel und Nacheife-
rung hier vorzuͤglich mitwirken.

Sobald die Toͤchter aus den Penſionen
und die Soͤhne aus den Schulen und oͤffentli-
chen Erziehungsanſtalten heraustreten, finden
ſie ſich ploͤtzlich auf dem Schauplatz der gro-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0481" n="463"/>
periode u&#x0364;ber&#x017F;tanden i&#x017F;t, giebt man die Kinder<lb/>
in den Pen&#x017F;ionen ab, wo man große Sum-<lb/>
men fu&#x0364;r &#x017F;ie bezahlt und damit alles gethan zu<lb/>
haben glaubt. Die Zwi&#x017F;chenzeiten in welchen<lb/>
&#x017F;ie das va&#x0364;terliche Haus be&#x017F;uchen, werden ih-<lb/>
nen durch Zer&#x017F;treuungen, Ge&#x017F;chenke, Ergo&#x0364;tzlich-<lb/>
keiten und durch die Aeußerungen einer miß-<lb/>
ver&#x017F;tandenen Za&#x0364;rtlichkeit &#x017F;o werth gemacht,<lb/>
daß &#x017F;ie nur mit Widerwillen zu ihren Erzie-<lb/>
hern zuru&#x0364;ckkehren. Man wirft den hie&#x017F;igen<lb/>
Pen&#x017F;ionen vor, daß &#x017F;ie aus den jungen Ma&#x0364;d-<lb/>
chen weniger gute Hauswirthinnen als Damen<lb/>
nach dem Ton zu bilden &#x017F;uchen. In der That<lb/>
i&#x017F;t die&#x017F;er Vorwurf gerecht, aber wer kann es<lb/>
den Unternehmern &#x017F;olcher An&#x017F;talten verdenken,<lb/>
daß &#x017F;ie &#x017F;ich nicht mit einer Waare ver&#x017F;ehen,<lb/>
die nirgend Ka&#x0364;ufer finden wu&#x0364;rde? Jenen<lb/>
Zweck, den Ver&#x017F;tand und das Aeußere zu kul-<lb/>
tiviren, erreicht die&#x017F;e Art von Erziehung ge-<lb/>
wo&#x0364;hnlich &#x017F;ehr gut, da Bey&#x017F;piel und Nacheife-<lb/>
rung hier vorzu&#x0364;glich mitwirken.</p><lb/>
          <p>Sobald die To&#x0364;chter aus den Pen&#x017F;ionen<lb/>
und die So&#x0364;hne aus den Schulen und o&#x0364;ffentli-<lb/>
chen Erziehungsan&#x017F;talten heraustreten, finden<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;ich plo&#x0364;tzlich auf dem Schauplatz der gro-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[463/0481] periode uͤberſtanden iſt, giebt man die Kinder in den Penſionen ab, wo man große Sum- men fuͤr ſie bezahlt und damit alles gethan zu haben glaubt. Die Zwiſchenzeiten in welchen ſie das vaͤterliche Haus beſuchen, werden ih- nen durch Zerſtreuungen, Geſchenke, Ergoͤtzlich- keiten und durch die Aeußerungen einer miß- verſtandenen Zaͤrtlichkeit ſo werth gemacht, daß ſie nur mit Widerwillen zu ihren Erzie- hern zuruͤckkehren. Man wirft den hieſigen Penſionen vor, daß ſie aus den jungen Maͤd- chen weniger gute Hauswirthinnen als Damen nach dem Ton zu bilden ſuchen. In der That iſt dieſer Vorwurf gerecht, aber wer kann es den Unternehmern ſolcher Anſtalten verdenken, daß ſie ſich nicht mit einer Waare verſehen, die nirgend Kaͤufer finden wuͤrde? Jenen Zweck, den Verſtand und das Aeußere zu kul- tiviren, erreicht dieſe Art von Erziehung ge- woͤhnlich ſehr gut, da Beyſpiel und Nacheife- rung hier vorzuͤglich mitwirken. Sobald die Toͤchter aus den Penſionen und die Soͤhne aus den Schulen und oͤffentli- chen Erziehungsanſtalten heraustreten, finden ſie ſich ploͤtzlich auf dem Schauplatz der gro-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/storch_petersburg02_1794
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/storch_petersburg02_1794/481
Zitationshilfe: Storch, Heinrich Friedrich von: Gemählde von St. Petersburg. Bd. 2. Riga, 1794, S. 463. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storch_petersburg02_1794/481>, abgerufen am 23.11.2024.