Von der edlen Liberalität, mit welcher die Großen ihre Häuser und Landsitze dem Ver- gnügen des Publikums widmen, sind in den vorhergehenden Abschnitten schon so viele Bey- spiele angeführt, daß es überflüßig scheint, hier noch etwas darüber zu sagen. Gewiß in keinem Lande ist dieser populäre Aufwand größer.
Mit eben der guten Art, mit welcher Leute aus den höchsten Ständen Jedermann bey sich zu empfangen gewohnt sind, nehmen sie auch Einladungen von Geringeren an. Es ist et- was sehr gewöhnliches, Minister und Generale vom ersten Range bey ihren Untergeordneten, bey Kaufleuten und Bürgern speisen zu sehn. Die Großen, die hier so gut wie irgendwo die Rechte ihres Standes kennen und geltend zu machen wissen, glauben sich durch diese Po- pularität nicht, wie anderswo, etwas zu ver- geben; ihre Würde verliert nichts dabey, und Niemand wird sich dadurch zu einer Vernach- läßigung berechtigt halten; aber die Kluft, welche in Deutschland die höhern Stände von den niedern trennt, ist hier durch Sitten und Gebräuche ausgeglichen. Nicht nur in den
Von der edlen Liberalitaͤt, mit welcher die Großen ihre Haͤuſer und Landſitze dem Ver- gnuͤgen des Publikums widmen, ſind in den vorhergehenden Abſchnitten ſchon ſo viele Bey- ſpiele angefuͤhrt, daß es uͤberfluͤßig ſcheint, hier noch etwas daruͤber zu ſagen. Gewiß in keinem Lande iſt dieſer populaͤre Aufwand groͤßer.
Mit eben der guten Art, mit welcher Leute aus den hoͤchſten Staͤnden Jedermann bey ſich zu empfangen gewohnt ſind, nehmen ſie auch Einladungen von Geringeren an. Es iſt et- was ſehr gewoͤhnliches, Miniſter und Generale vom erſten Range bey ihren Untergeordneten, bey Kaufleuten und Buͤrgern ſpeiſen zu ſehn. Die Großen, die hier ſo gut wie irgendwo die Rechte ihres Standes kennen und geltend zu machen wiſſen, glauben ſich durch dieſe Po- pularitaͤt nicht, wie anderswo, etwas zu ver- geben; ihre Wuͤrde verliert nichts dabey, und Niemand wird ſich dadurch zu einer Vernach- laͤßigung berechtigt halten; aber die Kluft, welche in Deutſchland die hoͤhern Staͤnde von den niedern trennt, iſt hier durch Sitten und Gebraͤuche ausgeglichen. Nicht nur in den
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Von der edlen Liberalitaͤt, mit welcher die
Großen ihre Haͤuſer und Landſitze dem Ver-
gnuͤgen des Publikums widmen, ſind in den
vorhergehenden Abſchnitten ſchon ſo viele Bey-
ſpiele angefuͤhrt, daß es uͤberfluͤßig ſcheint,
hier noch etwas daruͤber zu ſagen. Gewiß in
keinem Lande iſt dieſer populaͤre Aufwand
groͤßer.
Mit eben der guten Art, mit welcher Leute
aus den hoͤchſten Staͤnden Jedermann bey ſich
zu empfangen gewohnt ſind, nehmen ſie auch
Einladungen von Geringeren an. Es iſt et-
was ſehr gewoͤhnliches, Miniſter und Generale
vom erſten Range bey ihren Untergeordneten,
bey Kaufleuten und Buͤrgern ſpeiſen zu ſehn.
Die Großen, die hier ſo gut wie irgendwo
die Rechte ihres Standes kennen und geltend
zu machen wiſſen, glauben ſich durch dieſe Po-
pularitaͤt nicht, wie anderswo, etwas zu ver-
geben; ihre Wuͤrde verliert nichts dabey, und
Niemand wird ſich dadurch zu einer Vernach-
laͤßigung berechtigt halten; aber die Kluft,
welche in Deutſchland die hoͤhern Staͤnde von
den niedern trennt, iſt hier durch Sitten und
Gebraͤuche ausgeglichen. Nicht nur in den
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Storch, Heinrich Friedrich von: Gemählde von St. Petersburg. Bd. 2. Riga, 1794, S. 477. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storch_petersburg02_1794/495>, abgerufen am 23.11.2024.
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