nur ein Ende aller Fragen. Gleichviel, schrie er: Frei¬ heit oder keine Freiheit, Religion oder keine Religion, Moral oder keine Moral; es ist Alles einerlei; liberte, egalite, dabei bleibt es; und daß jetzt nur Keiner mehr das Maul darüber aufthue, und sich anders rühre, als man es ihn heißt; denn wie es nun ist, so sollte es werden, und so muß es bleiben! -- Dieselbe Rede, nur nach den Umständen ein wenig verändert, hat der große Mann seitdem an das ganze Europa gerichtet: Das einzige noch übrig gebliebene Jakobinernest, Eng¬ land, soll zerstört werden, und dann wird es sich mit dem unverschämten Selbstdenken und Selbstwollen überall wohl geben, und alles draußen sich ebenso gemächlich fügen, wie es im Innern sich wirklich schon gefügt hat. Mit dem deutschen Vorwitz hat es ohnedies nichts zu sagen; man droht nur mit dem Stock und sogleich ist alles still." Auch in der Folge hörte Schlabrendorf nicht auf, gegen Napoleon immerfort mit allem Nach¬ druck seiner unbestechlichen Wahrheitsliebe sich auszu¬ sprechen. Der dänische Dichter Baggesen wurde durch ihn in gleicher Richtung vorzüglich bestärkt und ange¬ feuert. Schlabrendorf entging der Verfolgung des Macht¬ habers vielleicht nur durch die Zurückgezogenheit und Sonderbarkeit seiner Lebensweise, die für ihn das vor¬ theilhafte Zeugniß der Unschädlichkeit ablegen mochte. Im Hotel des Deux-Siciles in der Rue Richelieu, wo der Postillon ihn bei seiner Ankunft aus England
nur ein Ende aller Fragen. Gleichviel, ſchrie er: Frei¬ heit oder keine Freiheit, Religion oder keine Religion, Moral oder keine Moral; es iſt Alles einerlei; liberté, égalité, dabei bleibt es; und daß jetzt nur Keiner mehr das Maul daruͤber aufthue, und ſich anders ruͤhre, als man es ihn heißt; denn wie es nun iſt, ſo ſollte es werden, und ſo muß es bleiben! — Dieſelbe Rede, nur nach den Umſtaͤnden ein wenig veraͤndert, hat der große Mann ſeitdem an das ganze Europa gerichtet: Das einzige noch uͤbrig gebliebene Jakobinerneſt, Eng¬ land, ſoll zerſtoͤrt werden, und dann wird es ſich mit dem unverſchaͤmten Selbſtdenken und Selbſtwollen uͤberall wohl geben, und alles draußen ſich ebenſo gemaͤchlich fuͤgen, wie es im Innern ſich wirklich ſchon gefuͤgt hat. Mit dem deutſchen Vorwitz hat es ohnedies nichts zu ſagen; man droht nur mit dem Stock und ſogleich iſt alles ſtill.“ Auch in der Folge hoͤrte Schlabrendorf nicht auf, gegen Napoleon immerfort mit allem Nach¬ druck ſeiner unbeſtechlichen Wahrheitsliebe ſich auszu¬ ſprechen. Der daͤniſche Dichter Baggeſen wurde durch ihn in gleicher Richtung vorzuͤglich beſtaͤrkt und ange¬ feuert. Schlabrendorf entging der Verfolgung des Macht¬ habers vielleicht nur durch die Zuruͤckgezogenheit und Sonderbarkeit ſeiner Lebensweiſe, die fuͤr ihn das vor¬ theilhafte Zeugniß der Unſchaͤdlichkeit ablegen mochte. Im Hôtel des Deux-Siciles in der Rue Richelieu, wo der Poſtillon ihn bei ſeiner Ankunft aus England
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nur ein Ende aller Fragen. Gleichviel, ſchrie er: Frei¬
heit oder keine Freiheit, Religion oder keine Religion,
Moral oder keine Moral; es iſt Alles einerlei; liberté,
égalité, dabei bleibt es; und daß jetzt nur Keiner
mehr das Maul daruͤber aufthue, und ſich anders ruͤhre,
als man es ihn heißt; denn wie es nun iſt, ſo ſollte
es werden, und ſo muß es bleiben! — Dieſelbe Rede,
nur nach den Umſtaͤnden ein wenig veraͤndert, hat der
große Mann ſeitdem an das ganze Europa gerichtet:
Das einzige noch uͤbrig gebliebene Jakobinerneſt, Eng¬
land, ſoll zerſtoͤrt werden, und dann wird es ſich mit
dem unverſchaͤmten Selbſtdenken und Selbſtwollen uͤberall
wohl geben, und alles draußen ſich ebenſo gemaͤchlich
fuͤgen, wie es im Innern ſich wirklich ſchon gefuͤgt
hat. Mit dem deutſchen Vorwitz hat es ohnedies nichts
zu ſagen; man droht nur mit dem Stock und ſogleich
iſt alles ſtill.“ Auch in der Folge hoͤrte Schlabrendorf
nicht auf, gegen Napoleon immerfort mit allem Nach¬
druck ſeiner unbeſtechlichen Wahrheitsliebe ſich auszu¬
ſprechen. Der daͤniſche Dichter Baggeſen wurde durch
ihn in gleicher Richtung vorzuͤglich beſtaͤrkt und ange¬
feuert. Schlabrendorf entging der Verfolgung des Macht¬
habers vielleicht nur durch die Zuruͤckgezogenheit und
Sonderbarkeit ſeiner Lebensweiſe, die fuͤr ihn das vor¬
theilhafte Zeugniß der Unſchaͤdlichkeit ablegen mochte.
Im Hôtel des Deux-Siciles in der Rue Richelieu,
wo der Poſtillon ihn bei ſeiner Ankunft aus England
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/166>, abgerufen am 23.11.2024.
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