nicht entgegen kommt, nicht vor uns liegt, sondern von hin- ten uns über das Haupt strömt. Da wehre sich einmal ei- ner! tausendfältig bedenk' und bestätige ich mir dies, und kann es mit und aus allem, in der Geschichte, und Einzelner Le- ben, bestätigen. Gestern, und das war eigentlich die erste Veranlassung zu der Herzensschwäche, hab' ich so über Goethe geheult, geschrieen, weil mir das Herz borst. Ich nahm ein Bändchen Lieder zur Hand, weil es mir an einem Buche ge- brach, und las maches Lied, mit großem neuen Antheil, weil mir sein Leben, welches ich eben gestern hier wieder ausstu- dirt hatte, ganz gegenwärtig war; und las bis ich an das kam: "Mit einem gemahlten Bande." Ich freute mich, weil er selbst schreibt, er habe das Band gemahlt und der Tochter in Sesenheim geschickt; ich kannte das Gedicht sehr gut; doch war mir nicht alles, und nicht das Ende gegenwärtig. Und so endet's:
"Fühle, was dies Herz empfindet, Reiche frei mir deine Hand, Und das Band, das uns verbindet, Sei kein schwaches Rosenband!"
Wie mit verstarrendem Eis auf dem Herzen blieb ich sitzen! Einen kalten Todesschreck in den Gliedern. Die Gedanken gehemmt. Und als sie wiederkamen, konnt' ich ganz des Mäd- chens Herz empfinden. Es, er mußte sie vergiften. Dem hätte sie nicht glauben sollen? Die Natur war dazu ein- gerichtet. Und wie muß er gewesen sein, er Goethe, hübsch wie er war! Ich fühlte dieser Worte ewiges Umklammern um ihr Herz; ich fühlte, daß die, sich lebendig nicht wie- der losreißen; und wie des Mädchens Herz selbst, klappte
meins
nicht entgegen kommt, nicht vor uns liegt, ſondern von hin- ten uns über das Haupt ſtrömt. Da wehre ſich einmal ei- ner! tauſendfältig bedenk’ und beſtätige ich mir dies, und kann es mit und aus allem, in der Geſchichte, und Einzelner Le- ben, beſtätigen. Geſtern, und das war eigentlich die erſte Veranlaſſung zu der Herzensſchwäche, hab’ ich ſo über Goethe geheult, geſchrieen, weil mir das Herz borſt. Ich nahm ein Bändchen Lieder zur Hand, weil es mir an einem Buche ge- brach, und las maches Lied, mit großem neuen Antheil, weil mir ſein Leben, welches ich eben geſtern hier wieder ausſtu- dirt hatte, ganz gegenwärtig war; und las bis ich an das kam: „Mit einem gemahlten Bande.“ Ich freute mich, weil er ſelbſt ſchreibt, er habe das Band gemahlt und der Tochter in Seſenheim geſchickt; ich kannte das Gedicht ſehr gut; doch war mir nicht alles, und nicht das Ende gegenwärtig. Und ſo endet’s:
„Fühle, was dies Herz empfindet, Reiche frei mir deine Hand, Und das Band, das uns verbindet, Sei kein ſchwaches Roſenband!“
Wie mit verſtarrendem Eis auf dem Herzen blieb ich ſitzen! Einen kalten Todesſchreck in den Gliedern. Die Gedanken gehemmt. Und als ſie wiederkamen, konnt’ ich ganz des Mäd- chens Herz empfinden. Es, er mußte ſie vergiften. Dem hätte ſie nicht glauben ſollen? Die Natur war dazu ein- gerichtet. Und wie muß er geweſen ſein, er Goethe, hübſch wie er war! Ich fühlte dieſer Worte ewiges Umklammern um ihr Herz; ich fühlte, daß die, ſich lebendig nicht wie- der losreißen; und wie des Mädchens Herz ſelbſt, klappte
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nicht entgegen kommt, nicht vor uns liegt, ſondern von hin-
ten uns über das Haupt ſtrömt. Da wehre ſich einmal ei-
ner! tauſendfältig bedenk’ und beſtätige ich mir dies, und kann
es mit und aus allem, in der Geſchichte, und Einzelner Le-
ben, beſtätigen. Geſtern, und das war eigentlich die erſte
Veranlaſſung zu der Herzensſchwäche, hab’ ich ſo über Goethe
geheult, geſchrieen, weil mir das Herz borſt. Ich nahm ein
Bändchen Lieder zur Hand, weil es mir an einem Buche ge-
brach, und las maches Lied, mit großem neuen Antheil, weil
mir ſein Leben, welches ich eben geſtern hier wieder ausſtu-
dirt hatte, ganz gegenwärtig war; und las bis ich an das
kam: „Mit einem gemahlten Bande.“ Ich freute mich, weil
er ſelbſt ſchreibt, er habe das Band gemahlt und der Tochter
in Seſenheim geſchickt; ich kannte das Gedicht ſehr gut; doch
war mir nicht alles, und nicht das Ende gegenwärtig. Und
ſo endet’s:
„Fühle, was dies Herz empfindet,
Reiche frei mir deine Hand,
Und das Band, das uns verbindet,
Sei kein ſchwaches Roſenband!“
Wie mit verſtarrendem Eis auf dem Herzen blieb ich ſitzen!
Einen kalten Todesſchreck in den Gliedern. Die Gedanken
gehemmt. Und als ſie wiederkamen, konnt’ ich ganz des Mäd-
chens Herz empfinden. Es, er mußte ſie vergiften. Dem
hätte ſie nicht glauben ſollen? Die Natur war dazu ein-
gerichtet. Und wie muß er geweſen ſein, er Goethe, hübſch
wie er war! Ich fühlte dieſer Worte ewiges Umklammern
um ihr Herz; ich fühlte, daß die, ſich lebendig nicht wie-
der losreißen; und wie des Mädchens Herz ſelbſt, klappte
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 352. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/360>, abgerufen am 23.11.2024.
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