Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

mein's krampfhaft zu, wurde ganz klein, in den Rippen; da-
bei dacht' ich an solchen Plan, an solch Opfer des Schick-
sals; und laut schrie ich, ich mußte, das Herz wäre mir sonst
todt geblieben. Und zum erstenmal war Goethe feindlich für
mich da. Solche Worte muß man nicht schreiben; er nicht.
Er kannte ihre Süße, ihre Bedeutung; hatte selbst schon ge-
blutet. Gewalt anthun ist nicht so arg. Sieh, so geht es
mir. "Aus der Leidenschaft kann ich nicht;" im Gegentheil,
das Herz wird schwächer. Gentz hat Recht. Nun von Gentz,
mein treuer Freund! den ich liebe, und immer wieder lieben
muß; nicht weil du grade mein Freund bist; nein, weil du
solch ein Freund sein kannst. Deine Empörung über Gentz
ist richtig, nur den Zorn ist er nicht werth, der dir selbst scha-
den kann. -- In mir hat er sich doch geirrt; weil kein Affe
ein menschlich Herz beurtheilen kann, und dies gehört mit
zum Verstande. -- Ich gehe wo du magst und kannst: und
hoffe mit dir noch auf deinen ersten Plan in Berlin: es freut
mich, daß der Fürst in diesem Sinne an dich dachte. --




-- Ich komme aus einem Konzert, aus dem rothen Hause;
ein großer, hoher, leerer, dreithüriger Wirthshaussaal mit un-
eleganten gestiefelten Leuten, und Künstler; Flötenspieler, die
ich in Wien hörte, Vater und Sohn; maltraitiren das arme
Hirteninstrument, zu kleinen Gesängen erschaffen: hetzen es zu
großen Konvenienz-Konzerten: dann sang Mad. Graf gut;
aber Häßliches; und dann mit einem Herrn, der nicht Italiä-
nisch kann, und sapi mit einem weichen s fünfzigmal schrie

II. 23

mein’s krampfhaft zu, wurde ganz klein, in den Rippen; da-
bei dacht’ ich an ſolchen Plan, an ſolch Opfer des Schick-
ſals; und laut ſchrie ich, ich mußte, das Herz wäre mir ſonſt
todt geblieben. Und zum erſtenmal war Goethe feindlich für
mich da. Solche Worte muß man nicht ſchreiben; er nicht.
Er kannte ihre Süße, ihre Bedeutung; hatte ſelbſt ſchon ge-
blutet. Gewalt anthun iſt nicht ſo arg. Sieh, ſo geht es
mir. „Aus der Leidenſchaft kann ich nicht;“ im Gegentheil,
das Herz wird ſchwächer. Gentz hat Recht. Nun von Gentz,
mein treuer Freund! den ich liebe, und immer wieder lieben
muß; nicht weil du grade mein Freund biſt; nein, weil du
ſolch ein Freund ſein kannſt. Deine Empörung über Gentz
iſt richtig, nur den Zorn iſt er nicht werth, der dir ſelbſt ſcha-
den kann. — In mir hat er ſich doch geirrt; weil kein Affe
ein menſchlich Herz beurtheilen kann, und dies gehört mit
zum Verſtande. — Ich gehe wo du magſt und kannſt: und
hoffe mit dir noch auf deinen erſten Plan in Berlin: es freut
mich, daß der Fürſt in dieſem Sinne an dich dachte. —




— Ich komme aus einem Konzert, aus dem rothen Hauſe;
ein großer, hoher, leerer, dreithüriger Wirthshausſaal mit un-
eleganten geſtiefelten Leuten, und Künſtler; Flötenſpieler, die
ich in Wien hörte, Vater und Sohn; maltraitiren das arme
Hirteninſtrument, zu kleinen Geſängen erſchaffen: hetzen es zu
großen Konvenienz-Konzerten: dann ſang Mad. Graf gut;
aber Häßliches; und dann mit einem Herrn, der nicht Italiä-
niſch kann, und sapi mit einem weichen s fünfzigmal ſchrie

II. 23
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0361" n="353"/>
mein&#x2019;s krampfhaft zu, wurde ganz klein, in den Rippen; da-<lb/>
bei dacht&#x2019; ich an <hi rendition="#g">&#x017F;olchen</hi> Plan, an <hi rendition="#g">&#x017F;olch</hi> Opfer des Schick-<lb/>
&#x017F;als; und <hi rendition="#g">laut</hi> &#x017F;chrie ich, ich mußte, das Herz wäre mir &#x017F;on&#x017F;t<lb/>
todt geblieben. Und zum er&#x017F;tenmal war Goethe feindlich für<lb/>
mich da. Solche Worte muß man <hi rendition="#g">nicht</hi> &#x017F;chreiben; <hi rendition="#g">er</hi> nicht.<lb/>
Er kannte ihre Süße, ihre Bedeutung; hatte &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;chon ge-<lb/>
blutet. Gewalt anthun i&#x017F;t <hi rendition="#g">nicht</hi> &#x017F;o arg. Sieh, &#x017F;o geht es<lb/>
mir. &#x201E;Aus der Leiden&#x017F;chaft kann ich nicht;&#x201C; im Gegentheil,<lb/>
das Herz wird &#x017F;chwächer. <hi rendition="#g">Gentz</hi> hat Recht. Nun von Gentz,<lb/>
mein treuer Freund! den ich liebe, und immer wieder lieben<lb/>
muß; nicht weil du grade mein Freund bi&#x017F;t; nein, weil du<lb/>
&#x017F;olch ein Freund &#x017F;ein kann&#x017F;t. Deine Empörung über Gentz<lb/>
i&#x017F;t richtig, nur <hi rendition="#g">den</hi> Zorn i&#x017F;t er nicht werth, der dir &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;cha-<lb/>
den kann. &#x2014; In mir hat er &#x017F;ich doch geirrt; weil kein Affe<lb/>
ein men&#x017F;chlich Herz beurtheilen kann, und dies gehört <hi rendition="#g">mit</hi><lb/>
zum Ver&#x017F;tande. &#x2014; Ich gehe wo du mag&#x017F;t und kann&#x017F;t: und<lb/>
hoffe <hi rendition="#g">mit</hi> dir noch auf deinen er&#x017F;ten Plan in Berlin: es freut<lb/>
mich, daß der Für&#x017F;t in die&#x017F;em Sinne an dich dachte. &#x2014;</p>
          </div><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <div n="3">
            <dateline> <hi rendition="#et">16. Oktober 1815.</hi> </dateline><lb/>
            <p>&#x2014; Ich komme aus einem Konzert, aus dem rothen Hau&#x017F;e;<lb/>
ein großer, hoher, leerer, dreithüriger Wirthshaus&#x017F;aal mit un-<lb/>
eleganten ge&#x017F;tiefelten Leuten, und Kün&#x017F;tler; Flöten&#x017F;pieler, die<lb/>
ich in Wien hörte, Vater und Sohn; maltraitiren das arme<lb/>
Hirtenin&#x017F;trument, zu kleinen Ge&#x017F;ängen er&#x017F;chaffen: hetzen es zu<lb/>
großen Konvenienz-Konzerten: dann &#x017F;ang Mad. Graf gut;<lb/>
aber Häßliches; und dann mit einem Herrn, der nicht Italiä-<lb/>
ni&#x017F;ch kann, und <hi rendition="#aq">sapi</hi> mit einem weichen <hi rendition="#aq">s</hi> fünfzigmal &#x017F;chrie<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#aq">II.</hi> 23</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[353/0361] mein’s krampfhaft zu, wurde ganz klein, in den Rippen; da- bei dacht’ ich an ſolchen Plan, an ſolch Opfer des Schick- ſals; und laut ſchrie ich, ich mußte, das Herz wäre mir ſonſt todt geblieben. Und zum erſtenmal war Goethe feindlich für mich da. Solche Worte muß man nicht ſchreiben; er nicht. Er kannte ihre Süße, ihre Bedeutung; hatte ſelbſt ſchon ge- blutet. Gewalt anthun iſt nicht ſo arg. Sieh, ſo geht es mir. „Aus der Leidenſchaft kann ich nicht;“ im Gegentheil, das Herz wird ſchwächer. Gentz hat Recht. Nun von Gentz, mein treuer Freund! den ich liebe, und immer wieder lieben muß; nicht weil du grade mein Freund biſt; nein, weil du ſolch ein Freund ſein kannſt. Deine Empörung über Gentz iſt richtig, nur den Zorn iſt er nicht werth, der dir ſelbſt ſcha- den kann. — In mir hat er ſich doch geirrt; weil kein Affe ein menſchlich Herz beurtheilen kann, und dies gehört mit zum Verſtande. — Ich gehe wo du magſt und kannſt: und hoffe mit dir noch auf deinen erſten Plan in Berlin: es freut mich, daß der Fürſt in dieſem Sinne an dich dachte. — 16. Oktober 1815. — Ich komme aus einem Konzert, aus dem rothen Hauſe; ein großer, hoher, leerer, dreithüriger Wirthshausſaal mit un- eleganten geſtiefelten Leuten, und Künſtler; Flötenſpieler, die ich in Wien hörte, Vater und Sohn; maltraitiren das arme Hirteninſtrument, zu kleinen Geſängen erſchaffen: hetzen es zu großen Konvenienz-Konzerten: dann ſang Mad. Graf gut; aber Häßliches; und dann mit einem Herrn, der nicht Italiä- niſch kann, und sapi mit einem weichen s fünfzigmal ſchrie II. 23

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/361
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 353. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/361>, abgerufen am 23.11.2024.